11 Milliarden Menschen

Weltbevölkerungsentwicklung & Ernährung der Weltbevölkerung: Zwei gute Nachrichten inmitten der vielen schlechten.


Ein oft bemühtes, aber dennoch vollkommen falsches Man-kann-ohnehin-nichts-machen-Argument ist das von der
angeblichen Bevölkerungsexplosion. Diese fällt aus.

Gute Nachricht:
Weltbevölkerungsentwicklung

  • „Wir Menschen traten als Spezies vor ungefähr 200.000 Jahren auf den Plan. In geologischer Zeit gerechnet, ist das nicht mehr als ein Wimpernschlag. Noch vor 10.000 Jahren lebte eine Million Menschen auf der Erde. Um 1800, vor gerade mal [rund] 200 Jahren, war es eine Milliarde“ (Emmott 2020, 17).

Daten zur Weltbevölkerungsentwicklung, in Generationen gedacht:

  • 1924 1,9 Mrd. (1.931.439.861) (Geburtsjahr meines Opas)
  • 1950 2,5 Mrd. (2.525.149.312) (Geburtsjahr meiner Mutter)
  • 1971 3,8 Mrd. (3.757.734.668) (mein Geburtsjahr)
  • 1998 6,0 Mrd. (5.971.882.825) (Geburtsjahr der jungerwachsenen Generation) (vgl. Roser 2019)
  • Aktuell 8,09 Mrd. (Stand: 06/2023) (vgl. Countrymeters 2023)1
  • 2050 9,7 Mrd. (vgl. Tagesspiegel 2019)
  • 2100 UN-Prognose ca. 11 Mrd. – „Die UN geht davon aus, dass sich die Weltbevölkerung im Jahr 2100 zwischen 10 und 12 Milliarden einpendeln wird“ (Rosling 2018, 106).

Eine aktuelle UN-Studie vom Juni 2019 prognostiziert „10,9 Milliarden Menschen im Jahr 2100“ (Stöcker 2019).

Das sind natürlich eine Menge Menschen, aber der entscheidende Punkt ist, dass die Kurve eben NICHT exponentiell nach oben zeigt, sondern sich mehr und mehr abflacht. 

Details: Erläuterungen zu (1)

Der Psychoanalytiker Dietmar Schmeiser ergänzt im Zusammenhang mit dem latenten Wissen, dass unser Leben nicht mehr so weiter gehen kann wie bisher: „Hinzu kommen Milliarden Nutztiere, die Nahrung brauchen und ebenfalls die Natur verschmutzen“ (2020). 


Der Background:

Hans Rosling, Arzt und Experte für internationale Gesundheit, hebt hervor, bis etwa ins Jahr 2000 immer mehr junge Erwachsene (langsam aber sicher) immer weniger Kinder bekommen haben. Zuvor war es nach Rosling so, dass immer größere Eltern-Generationen jeweils viele Kinder zur Welt brachten. Zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren es weltweit im Schnitt fünf Kinder pro Frau – aber: Nach 1965 sank diese Zahl allmählich und überaus deutlich auf knapp 2,5 Kinder. Parallel dazu wurde die gesundheitliche Versorgung extrem verbessert, die Überlebensrate von Kindern stieg stark an – und die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben nahm stark ab (vgl. 2018, 107).

Rosling führt aus:

  • „Die überwiegende Mehrheit der Milliarden Menschen, die ihre extreme Armut hinter sich lassen konnten, entschied sich dafür, weniger Kinder zu haben. Sie benötigten nicht mehr die Großfamilie und die Arbeitskraft zahlreicher Kinder, um die familiäre Landwirtschaft betreiben zu können. Und man brauchte auch keine kinderreiche Familie mehr, um sich gegen die Kindersterblichkeit abzusichern. Männer wie Frauen bekamen Zugang zu Bildung und begannen, besser ausgebildete und besser ernährte Kinder haben zu wollen, und weniger davon zu haben war die offensichtliche Lösung“ (Rosling 2018, 107-108).


Stabiles Niveau der Weltbevölkerung = 2,1 Kinder pro Frau (Stotz 2019)

Von Rosling stark vereinfacht (und hier nochmals simplifiziert) ausgedrückt, leben seit etwa dem Jahr 2000 stets zwei Milliarden Kinder im Alter von 0 bis 15 Jahren auf der Erde. Die UN prognostiziert, dass dies auch im Jahr 2100 so sein wird. Ergebnis: Die Zahl der Kinder steigt nicht mehr an.
Und das bedeutet etwas – vom Mechanismus her – sehr Einfaches:

  • Nachdem einige Generationen lang mit jeder Generation mehr Menschen auf der Erde leben, weil eben jeweils erstmals eine 2-Milliarden-Generation die nächste Alterskohorte erreicht, nivelliert sich dies, wenn die erste 2-Milliarden-Generation aus dem Jahre 2000 die nunmehr älteste Kohorte darstellt, auf 10 Milliarden – d.h. fünf 15-Jahres-Generationen à zwei Milliarden Menschen.

2-Mrd.-0-bis-15- Jahre-Kohorte
‚ersetzt‘
1-Mrd.-Kohorte-Senior*innen
2-Mrd.-0-bis-15- Jahre-Kohorte
‚ersetzt‘
1-Mrd.-Kohorte-Senior*innen
2-Mrd.-0-bis-15- Jahre-Kohorte
‚ersetzt‘
1-Mrd.-Kohorte-Senior*innen
2-Mrd.-0-bis-15- Jahre-Kohorte
‚ersetzt‘
1-Mrd.-Kohorte-Senior*innen
2-Mrd.-0-bis-15- Jahre-Kohorte
‚ersetzt‘
1-Mrd.-Kohorte-Senior*innen
2-Mrd.-0-bis-15- Jahre-Kohorte
‚ersetzt‘
2-Mrd.-Kohorte-Senior*innen
200020152030204520602075
Eigene Darstellung, beruhend auf Gedankengebäude, Daten und Grafik von Rosling 2018, 109


Noch einmal anders ausgedrückt:

  • Fünf 15-Jahres-Generationen lang wird diese Zahl ‚Zwei Mrd. Menschen‘ durch die (zuvor nur eine Mrd. Menschen umfassenden) Altersklassen weitergereicht, sodass hiermit nach fünf Generationen – etwa im Jahre 2060 – ein Plateau erreicht wird.


Hinzu kommt:

  • Die UN rechnet damit, „dass die Lebenserwartung sich bis zum Jahr 2100 etwa um elf Jahre verlängert haben dürfte, wodurch bis etwa 2075 eine [weitere] Milliarde ältere Menschen hinzukommen…“ (Rosling 2018, 110) – sodass die Weltbevölkerung bei etwa 11 Milliarden Menschen plus/minus eine Milliarde eingepegelt ist.

Hans Rosling:

  • „Es wird erwartet, dass der dramatische Rückgang an Geburten pro Frau sich fortsetzen wird, solange mehr Menschen aus der extremen Armut herausfinden und mehr Frauen Zugang zu Bildung, sexueller Aufklärung und Verhütungsmitteln bekommen. Drastische Maßnahmen sind nicht nötig…. [D]ie globale jährliche Anzahl an Geburten [hat] bereits aufgehört, weiter anzusteigen, was bedeutet, dass die Phase des schnellen Bevölkerungswachstums bald vorbei sein wird. Wir erreichen gerade ‚peak child‘, die maximale Kinderzahl“ (Rosling 2018, 108-109).


Manchmal wird – gerade auch in der Medienberichterstattung – eine Bevölkerungsexplosion das Wort geredet, mit der Begründung, Menschen würden die Verwendung von Verhütungsmitteln z.B. aus religiösen Gründen ablehnen. Rosling bezeichnet derartige Medienberichterstattungen zu besonders kinderreichen Gegenden bzw. zu der Verweigerung von Verhütungsmitteln aus religiösen Gründen als: Ausnahmen (vgl. ebd., 112f.).

>> Hier geht es i.d.R. um nicht durchschnittliche Alltagsgeschichten, sondern um das Haschen nach sensationellen Stories, die als ‚exemplarische Argumentation‘ nicht wirklich hilfreich sind, vgl. S. 680.


In diesem Sinne verweist der Demograf Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, darauf, dass der

  • „Iran… den schnellsten Fertilitätsrückgang weltweit erlebt – von 6,5 auf 1,8 Kinder innerhalb einer Generation. Kluge Politik ist unabhängig von der Religionszugehörigkeit“ (Schmundt 2019a, 113).


Im gleichen Zusammenhang weist Rosling darauf hin, dass das Überleben von Kindern durch bessere medizinische Versorgung zu weniger geborenen Kindern führt:

  • „Sobald die Eltern… sehen, dass die Kinder überleben, sobald die Kinder nicht mehr als Arbeitskräfte benötigt werden und sobald Frauen eine gewisse Bildung haben und über Verhütungsmittel Bescheid wissen und Zugang zu diesen haben, werden Männer und Frauen [wie bislang überall auf der Welt] Kultur- und Religions-übergreifend danach streben, weniger, aber dafür gut ausgebildete Kinder zu haben“ (Rosling 2018, 115).

Es könnte laut dem Club of Rome sogar noch besser laufen für die Menschheit:

  • „Eine … Studie von KC und Lutz [aus dem Jahre 2014] schätzt, dass eine bessere Bildung zu einer Milliarde weniger Menschen im Jahr 2050 führen kann, als dies derzeit erwartet wird“ (Weizsäcker et al. 2017, 70-71).

Im Mai 2019 zitiert der Spiegel ein zu einem ähnlichen Ergebnis gelangendes Buch von Darell Bricker und John Ibbitson namens „Empty Planet“ sowie noch eine weitere Studie, deren „Autorenliste … sich [liest] wie ein Who’s who der Demografenbranche“ (Schmundt 2019b, 103).

  • Beide Forscherteams – KC und Lutz sowie Bricker/Ibbitson – kritisieren die UNO-Zahlen als deutlich zu hoch und klagen,
    • dass die UNO dem Faktor ‚Bildung‘ eine zu geringe Berücksichtigung schenke und zudem
    • übersehe, dass „[g]egen Mitte des Jahrhunderts… der [Bevölkerungs-]Schwund [analog zu den Industrienationen]… auch riesige Schwellenländer wie Chile, Indonesien oder Brasilien [erfasst]“ (ebd.).

Einer der Autoren der erstgenannten Studie, Demograf Lutz, geht von dem Weltbevölkerungsmaximum von neun Milliarden Menschen aus und erklärt:

  • „Das Gehirn ist das wichtigste Reproduktionsorgan… Schon wenig Bildung macht einen Unterschied. Wenn Frauen verstehen, dass Kinderkriegen nicht gottgegeben ist, sondern eine bewusste Entscheidung sein kann, ihre Entscheidung, bekommen sie automatisch weniger Kinder. Je besser sie die sozialen und ökonomischen Kosten verstehen, die ein Kind mit sich bringt, desto strategischer planen sie. Teenager-Schwangerschaften werden weniger, Frauen beginnen zu verhüten, und da sie ihrem Nachwichs die besten Chancen ermöglichen wollen, fördern sie lieber wenige Kinder viel als viele Kinder wenig“ (Berbner 2019, 17).


Ein weiterer, auf die Geburtenrate wirkender Faktor ist die Urbanisierung.

  • Bezogen auf die Landflucht im Zeichen der Industrialisierung Europas aber auch auf die heutige Entwicklung hält Bastian Berbner in der Zeit fest:
    • „Auf dem Land waren Kinder hilfreich gewesen. Zwei Hände mehr zum Säen und Ernten. In der Stadt lebten viele Arbeiter in winzigen Wohnungen… Beim Geldverdienen konnten Kinder kaum helfen, essen mussten sie aber trotzdem“ (ebd., 16).


Die Urbanisierung schreitet fort:

  • „Keine Region der Welt wird sich laut Prognosen der Vereinten Nationen schneller urbanisieren als Afrika“ (ebd., 16).
Rosling, Hans (2014): „Will saving poor children lead to overpopulation?“ in: Gapminder Foundation, 20.1.2014, online unter https://youtu.be/BkSO9pOVpRM (Abrufdatum 15.11.2019)


Zurück zu Hans Rosling, der wie oben ausgeführt zeigt, dass das Überleben von Kindern durch bessere medizinische Versorgung zu weniger geborenen Kindern führt. Im Ergebnis reduziert die medizinisch ermöglichte Überlebensrate von Kindern sogar das globale Bevölkerungswachstum:

  • „Die einzige Methode, die sich bei der Reduzierung des Bevölkerungswachstums bewährt hat, besteht darin, extreme Armut zu beseitigen und den Menschen ein besseres Leben, einschließlich Zugang zu Bildung und Verhütungsmitteln, zu ermöglichen. Überall auf der Welt haben Eltern dann für sich selbst beschlossen, weniger Kinder zu bekommen. Aber dieser Wandel trat nie ein, wenn es nicht gelang, die Kindersterblichkeit zu senken“ (Rosling 2018, 115).


Nun, diese einfache und m.E. naheliegende Methode hätte auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts funktioniert. Mit etwas mehr Weitsicht, relativ wenig Geld und durch Vermeidung einer (neo-)kolonialistische Politik hätte man die Kurve der Weltbevölkerungszunahme deutlich flacher halten können, was natürlich viele weitere Weltprobleme – darunter die hier analysierte Zwillingskrise – positiv beeinflusst hätte. Ein weiterer Grund, weshalb man dem 20. Jahrhundert nicht nachtrauern sollte.


In diesem Sinne stellt auch Reiner Klingholz fest:

  • Wer die Kindersterblichkeit senkt, „[w]er in Gesundheit, Bildung und Jobs investiert, wer darüber hinaus die Familienplanung unterstützt und sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, kann gar nicht verhindern das der Wohlstand wächst und die Geburtenziffer sinkt“  (Schmundt 2019, 112).
    • „Staatlicher Zwang [wie bei der Ein-Kind-Politik Chinas] ist weder erstrebenswert noch nötig.
    • Thailand hat den gleichen Geburtenrückgang wie China erlebt – ohne Zwangsmaßnahmen. In Thailand haben sich drei Instrumente bewährt…: Gesundheitsversorgung, Bildung und Jobs“ (ebd.).

>> Anmerkung: Zu Zeiten der Ein-Kind-Politik hat die Chinesin Yanghua Wu vier Kinder bekommen, weil sie sie wollte. Weil sie sich seinerzeit der Zwangsabtreibung entzieht, „plündern [die Beamten]… das Haus …[,] zertrampeln die wenigen Besitztümer der Familie“ und belegen die Familie mit exorbitanten Geldstrafen und absurden Zahlungsfristen (24h), siehe: Jin, Justin (2018): „Eine Frau, vier Kinder. Ein Traum“. in: Geo Perspektive 2018, S. 22ff.


So gelingt gemäß Reiner Klingholz der sog. ‚demografische Übergang‘:

  • „Der demografische Übergang ist die einzige Theorie, welche die sozio-ökonomische Entwicklung sämtlicher Länder weltweit erklärt – von Deutschland bis Dschibuti. Grob vereinfacht beschreibt das Modell die Entwicklung von einer bäuerlich geprägten Gesellschaft mit vielen Kindern und hoher Sterblichkeit zu einer Gesellschaft mit geringen Kinderzahlen, hoher Bildung, Wohlstand und hoher Lebenserwartung“ (Schmundt 2019, 113).
  • „In Südkorea kommen all die Effekte, die zu einem Rückgang der Bevölkerung führen, wie unter einem Brennglas zusammen. Bildungshunger. Aufstiegslust. Urbanisierung. Teure Wohnungen. Wohlstandsegoismus. Südkorea ist die extreme Ausprägung eines Effekts, der sich inzwischen fast überall auf der Welt zeigt.“


Interessanterweise funktioniert es i.d.R. nicht, die über o.g. Werte geprägte Bevölkerung angesichts der drohenden Überalterung und Unterbevölkerung dazu zu bringen, wieder mehr Kinder zu bekommen.

>> vgl. Beispiele bei Berbner wie u.a. der „‚National Night’…, in der Paare [in Singapur] Sex haben sollen“

  • „‚Jetzt müsste sich das Land strategisch verkleinern‘, sagt … [der Demograf Lee Sang Lim]. ‚Aber das haben wir nicht gelernt…. Südkorea ist der Testballon für andere. Leider sieht es im Moment so aus, als werde er platzen.‘“ Und: „Diese Gesellschaft wird zerstört werden“ (Berbner 2019, 17).
  • „In einige Regionen wird es … noch [Bevölkerungs-]Wachstum geben, während die meisten Gesellschaften schon mit der Alterung kämpfen. Spätestens dann dürfte der Wettbewerb um Einwanderer einsetzen. Um die letzten jungen Leute. Sie werden aus Afrika kommen… – zumindest für einige Jahrzehnte. Bis auch Afrika schrumpft“ (ebd.).

>> In anderen Worten beschreibt auch Patrick Stotz im Spiegel die hier skizzierte globale Bevölkerungsentwicklung, siehe
> Stotz, Patrick (2019): „Globale Bevölkerungsentwicklung Ist die Welt bald zu voll?“. in: Der Spiegel, 13.11.2019, online unter https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/warum-waechst-die-weltbevoelkerung-bei-sinkender-geburtenquote-a-1292974.html (Abrufdatum 14.11.2019)


Diese in den voranstehenden Absätzen aufgestellte Bevölkerungsentwicklungs-Rechnung funktioniert selbstredend nur, wenn künftig allen Menschen neben o.g. Rahmenbedingungen weiterhin (noch mehr) moderne Verhütungsmittel zur Verfügung stehen:

  • Dies wird bedauerlicherweise derzeit von den USA sabotiert, die noch 2015 viertgrößter Geldgeber (75 Mio US-$) für UNFPA, dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, dessen Aufgabe es ist, „sicherzustellen, dass jede Schwangerschaft erwünscht ist, jede Geburt sicher und das Potenzial jedes Kindes erfüllt wird“ (NZZ 2017), waren und 2017 unter dem 45. US-Präsident die Gelder komplett strichen (vgl. auch Welt 2017).

Wie dramatisch diese Kürzung ist, verdeutlicht dieses Statement:

  • „Meeting the unmet need for modern contraception of women aged 15-19 would reduce unintended pregnancies among this age-group by 6.0 million annually. That would mean averting 2.1 million unplanned births, 3.2 million abortions and 5.600 maternal deaths“ (Darooch et al. 2016).
1:45 min – SheDecides: The Manifesto (July, 2017), online unter https://youtu.be/Z_gf1FV2Pwo (Abrufdatum 26.11.2021)

Als Reaktion auf diese Anordnung des damaligen US-Präsidenten, entstand die internationale Bewegung SheDecides, die über Spenden versucht, „die vielen guten Angebote zu retten, deren Existenz nun bedroht ist“ (Breen 2021, 113). Das auf der Website shedecides.com publizierte Manifest, dass Sie gerne unterzeichnen können, fasst sehr gut zusammen, was m.E. eigentlich vollkommen selbstverständlich ist.

>> https://www.shedecides.com/manifesto/ u. https://www.shedecides.com/manifesto-video/ (Abrufdatum 26.11.2021)


Bevölkerungsentwicklung und Biodiversitäts-/Klimakrise

Die vorgenannten Ausführungen zum Thema ‚Geburtenrate‘ bzw. ‚Weltbevölkerungsentwicklung‘ erweiternd ist herauszustellen, dass die Geburtenrate im Südsudan oder sonst wo im Globalen Süden nicht das Grundproblem unserer Welt ist.

Franziska Bulban fasst das treffend wie folgt zusammen:

  • „[D]ie Tatsache, dass die Menschheit über ihre Verhältnisse lebt, kann man nicht Menschen in Südsudan unterschieben.1
    • Wenn wir alle wie sie lebten, kämen wir mit unseren Ressourcen aus … – hätten aber auch oftmals keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, Elektrizität oder Bildung.
    • Wenn hingegen alle auf der Welt ungefähr so lebten wie Menschen in Deutschland, wäre es um die Welt schlechter bestellt. Mit meinem Verbrauch (mittelgroße Wohnung in Hamburg, Fahrrad, eine große Urlaubsreise pro Jahr und etwa vier paar Schuhe) bräuchte es beispielsweise schon drei Erden… [vgl. Aspekt Earth Overshoot Day, S. 450f.]
  • Wenn es also darum geht, die Zahl an Menschen zu reduzieren, um den Planeten zu retten, dann hätten weniger Menschen in Industrienationen den größten Einfluss auf die Rettung der Welt“ (Bulban 2019).

Details: Erläuterungen zu (1)

1 Stefan Lessenich weist daher überaus treffend darauf hin, dass wir Industrienationler*innen keineswegs über unsere Verhältnisse leben: „Wir leben über die Verhältnisse der anderen“ (2018, Buchrücken).


Im Gleichklang damit konstatiert auch Bastian Berbner:

  • „Sollte die Welt daran scheitern, den Klimawandel zu stoppen, dann wird das nicht an den zusätzlichen Menschen im Niger liegen, sondern daran, dass die Industrieländer es nicht schaffen, rechtzeitig ihre Emissionen zu senken“ (2019, 16).


Franz Alt wählt ein anderes Beispiel:

  • „Allein im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen werden mehr Autos gefahren als in allen 56 afrikanischen Ländern zusammen. Das Problem sind wir, nicht die Afrikaner oder die Inder“ (2020b).

Drastischer formuliert es Graeme Maxton:

  • „Ein Kind, das heute in Europa oder Nordamerika geboren wird, belastet die Umwelt um ein Dreißigfaches mehr als ein Kind, das in einem armen Land zur Welt kommt“ (2018, 67).


Womit der Autor dieses Handbuches nicht dem Antinatilismus das Wort reden möchte, sondern nur klarstellt, dass das entsprechende Vorurteil ‚Bevölkerungsexplosion im Globalen Süden aus religiösen Gründen‘ eben nur das ist, was es ist: Ein Ablenkungsmanöver, eine billige Ausrede.



„Unser größtes Problem ist die nicht übergroße Anzahl an Menschen, sondern unser Mangel an Menschlichkeit.“ (Franz Alt 2020a)

Eine zweite gute Nachricht:
Ernährung der Weltbevölkerung

Auch die prognostizierten 11 Milliarden Menschen können dauerhaft (und zwar selbstredend besser und zuverlässiger als die Menschheit derzeit) ernährt werden, indem der Fokus auf pflanzliche Ernährung gelegt wird. Das ergibt sich ganz simpel aus der Tatsache, dass zurzeit extrem große Ackerflächen für Massentierhaltung und die entsprechende Tiernahrung genutzt werden – etwa 80% (vgl. S. 621).

>> vgl. Aspekt Planetary Health Diet, S. 188


Umgekehrt funktioniert eine ‚Fleisch für alle‘-Taktik definitiv nicht:

  • „Weltweit steigt die Nachfrage nach Agrarprodukten. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft spricht von 60 Prozent bis 2050. Damit einher gehe eine Ausweitung der Agrarflächen – abhängig von den zunehmenden Erträgen pro Hektar – um bis zu 100 Millionen Hektar. Diese Entwicklung muss aber nicht so kommen. Wenn in Industrieländern weniger Fleisch gegessen wird und Agrarprodukte nicht weiter als Treibstoff verwendet werden, könnte das den Druck auf die Flächen entscheidend verringern“ (Chemnitz 2020, 15).


Die 2016er Studie Human appropriation of land for food: The role of diet, die in den IPCC-Sonderbericht Climate Change and Land aufgenommen wurde, stellt heraus, dass

  • nur die Hälfte der aktuellen Felder benötigt würden, wenn alle Menschen sich so ernähren würden wie die Bürger*innen Indiens – und
  • nahezu die dreifache Menge an Feldern, wenn die Menschheit die Essgewohnheiten der US-Amerikaner*innen übernehmen würden (vgl. Alexander et al. 2016 u. Mast 2019).


So wird es auch in der 2015er Film-Doku Cowspiracy dargestellt. Auf der Facts-Webpage zum Film finden sich folgende Zahlen:

  • „1.5 acres can produce 37,000 pounds of plant-based food.“
  • „1.5 acres can produce 375 pounds of beef.“
    und:
  • „15x more protein on any given area of land with plants, rather than cows“ (Kip/Kuhn 2015).
  • Monokulturen für Tierfutter machen „inzwischen fast 40 Prozent der globalen Ackerfläche [aus]… Nur zwei Drittel der globalen Pflanzenernte wird als Lebensmittel genutzt; knapp ein Viertel wird zu Tierfutter und knapp ein Zehntel zu Agrotreibstoff“ (Scheub/Schwarzer 2017, 56).
  • „[T]äglich werden pro Kopf etwa 4.600 Kalorien produziert, doppelt so viel wie nötig“ (ebd., 57).

Auch die Zeit konstatiert:

„Schon heute wird genug Nahrung für elf Milliarden Menschen produziert.“ (Berbner 2019, 16)


Wir sind aber ‚nur‘ acht Milliarden Menschen (vgl. S. 613), haben genug Nahrungsmittel für elf Milliarden und bekommen es trotzdem nicht hin, alle Menschen satt zu bekommen. Rund 800 Millionen Menschen gelten als chronisch unterernährt, d.h. hungern1.

Wie deprimierend ist das denn?

> 800 Mio Menschen = mehr als 1/10 der Menschheit.
> Jeder zehnte Mensch hat nicht genug zu essen.
> 10% der Menschen hungern.
> 10 von 100 Menschen sind dauerhaft hungrig.


Details: Erläuterungen zu (1)

1 vgl. Gonstalla 2019, 96. Lesch/Kamphausen nennen die Zahl 815 Mio hungernde Menschen 2016, vgl. 2018, 303. Über 2019 schätzt die FAO: „Insgesamt litten 2019 fast 9 Prozent der Menschen, rund 690 Millionen, dauerhaft Hunger, insgesamt rund 2 Milliarden zumindest zeitweise. Für 1 weitere Milliarde Menschen ist gesundes Essen unbezahlbar, sie kommen gerade so über die Runden. Übrigens leben laut FAO auch in Deutschland 600.000 Menschen, die ernste Schwierigkeiten haben, sich genug Nahrung zu leisten“ (Arzt 2020, 8). „[D]er ökonomische Einbruch durch Covid-19 treibe global 83 bis 132 Millionen Menschen zusätzlich in die Unterernährung“ (ebd.).


Es ist folglich definitiv ein Verteilungsproblem und betrifft die Art der tierischen Ernährung. Und ein Problem des Willens derjenigen, die zu viel haben bzw. ein systemisches Problem des neoliberalen Kapitalismus‘. Aber: Ein Mengen-Problem ist es nicht.

  • „Allein die 300 Millionen Tonnen Nahrungsmittel, die jährlich in den Industrienationen weggeworfen und vernichtet werden, würden ausreichen alle hungernden Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen“ (Lesch/Kamphausen 2018, 304).


Was anhand obiger Zahlen ebenfalls nochmals deutlich wird, ist:

Und so viele Menschen zu ernähren, geht – anders als Agrarlobbyisten es predigen, weil es ihr Job ist – hervorragend ohne westlich-industrielle Landwirtschaft und Gentechnik.

  • Das wird täglich dadurch bewiesen, dass wir jetzt schon genug Lebensmittel für 11 Mrd. Menschen haben, obwohl 80% der Äcker in irgendeiner Form für Massentierhaltung statt für die sachgerechte Ernährung aller Menschen genutzt werden.
  • Des Weiteren leisten wir es uns in Deutschland, 30 bis 40 Prozent aller Lebensmittel im Müll landen zu lassen:

    „In Deutschland sind es pro Jahr knapp sieben Millionen Tonnen. Landwirte, Handel, Gastronomie und Haushalte vernichten damit zusammen jährlich größtenteils noch genießbare Speisen im Wert von bis zu 21,6 Milliarden Euro… Weltweit kostet der Nahrungsmittelmüll jährlich rund 400 Milliarden Dollar“ (Kopatz 2016, 110).

>> All diese weggeschmissenen Lebensmittel kosten Ressourcen und verursachen Treibhausgase.


Und es muss auch so sein, dass es ohne industrielle Landwirtschaft geht, denn industrielle Landwirtschaft laugt die Böden aus, wie der Co-Präsident des Club of Rome (bis 2018) Ernst Ulrich von Weizsäcker explizit herausstellt:

  • „Die intensive Bewirtschaftung durch Monokulturen laugt die Böden aus, sodass sie nur noch in geringem Umfang CO₂ aufnehmen können. Dabei sind gesunde Böden einer der größten Absorbierer von CO₂, das wiederum ihre Fruchtbarkeit stärkt“ (zit. in Ruppel 2017).

>> siehe ausführlich Abschnitt Bodenbewahrende Agrarkultur vs. konventionelle industrielle Landwirtschaft, S. 567, Aspekt Nur regenerative Agrarkultur ernährt den Planeten, S. 569f.


Daneben verunreinigt der Einsatz von Kunstdünger bzw. Fäkalien das Trinkwasser mit Nitrat.

>> vgl. Abschnitt Nitratbelastung des Trinkwassers, S. 591f.

  • Industrielle Landwirtschaft bedeutet nicht weniger als das, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.

>> Der Biologe und Philosoph Andreas Weber weist bzgl. des „am eigenen Ast sägen“-Bildes darauf hin, dass wir eben nicht nur jenen Ast absägen, auf dem wir sitzen. Im Sinne des Postulats dieses Handbuches „Wir sind Erde“ (S. 46 u. 699) schreibt er: „Wir sägen des Ast ab, der wir sind“ (2020, 22).


Zu dem Aspekt ‚industrielle Landwirtschaft löst das Problem nicht‘ meint der Agrarökologe Nick Green:

„Im Moment ernähren Kleinbauern mit Familienbetrieben die Welt.

Äußerst produktive Kleinstbetriebe liefern weltweit den Hauptanteil der Nahrung. Von industriellen Betrieben kommt nur ein Bruchteil. Was die Produktion angeht, sind industrielle Betriebe total ineffizient. Sie sind gut darin, Geld zu machen. Und schlechten darin, Nahrung anzubauen. Wenn die Leute selbst das Land besitzen, produzieren sie viel mehr.“

  • „Es stimmt nicht, dass nur industrielle Landwirtschaft die Welt ernähren kann. … Es ist ein Märchen, das uns die Chemieindustrie, die Hersteller landwirtschaftlicher Geräte und die Banken erzählen müssen, damit sie selbst überleben. Aber es ist nicht wahr. Es ist gelogen.“
  • (Laurent/Dion 2016, ab Minute 19:36)


‚Goliath‘ erzeugt etwa 30% der globalen Lebensmittel. David ca. 70%.
(vgl. Scheub/Schwarzer 2017, 14)

  • „Die Mehrheit der ‚Davids‘ ist übrigens weiblich“ (Scheub/Schwarzer 2017, 16) –

Mit anderen Worten: Die Förderung einer bodenbewahrenden Agrarkultur bedeutet auch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu Parität, Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen.

>> s.a. Abschnitt Klima, Ökofeminismus und Parität, S. 423, Aspekt Frauen sind von der Klimakrise stärker betroffen als Männer, S. 423.

Ohne Fisch wird's düster.
Ohne Fisch wird’s düster.

Vor dem Hintergrund, dass die Böden degradieren stellt der zweite Vorsitzende des Weltagrarberichts (IAASTD), Hans Herren:

  • „Ob Bio die Welt ernähren kann, ist nicht die Frage. Bio muss die Welt ernähren“ (Lesch/Kamphausen 2018, 308).

Hilfreich wäre es indes, die Ozeane am Leben zu lassen – möglichst mit Fischen darin:

„Das Meer ist noch immer die größte Nahrungsquelle der Welt, auf die mehr als eine Milliarde Menschen direkt angewiesen sind.“ (Jarchau et al. 2019)

Ohne Fisch wird’s düster.


Fazit und Schlussgedanke zum Abschnitt 11 Milliarden Menschen

Die Bevölkerungsentwicklung pendelt sich also – so es zu keiner großen Klimakatastrophe kommt – bei 11 Milliarden Menschen ein. Das ist eine gute Nachricht – und eine wichtige Nachricht, weil sie ein ‚Allgemeinnichtwissen‘ korrigiert. Noch eine bessere Nachricht ist, dass wir – sofern es zu keinem katastrophalen Klimawandel kommt und wir die bodenbewahrende Agrarkultur fördern, diese Menschen auch ernähren können.

  • Diese beiden an sich guten Nachrichten sollten aber nicht dahin wegtäuschen, dass 11 Milliarden Menschen auf dem Planeten „ohne aktive Emissionsreduktion … zu einer Treibhausgaskonzentration von 1370 ppm führen (RCP 8.5) [würde]“ (Gonstalla 2019, 31), – was unweigerlich und deutlich vor 2100 zur Katastrophe führen würde.
Details: Erläuterungen zu IPCC-Szenarien wie z.B. RCP 8.5

Der IPCC zeichnet in seinen Berichten Szenarien, wie es im Falle einer deutlichen CO2-Reduktion, wie es bei einem ‚Weiter so‘ und wie es bei einer noch größeren Emittierung von CO2 auf dem Planeten aussehen würde. Seit dem fünften IPCC-Bericht verwendet man die sog. repräsentativen Konzentrationspfade (RCPs). Die Zahl hinter RCP steht für die Energie, die im Treibhaus ‚Erde‘ überschüssig verbleibt (vgl. Fußnote auf S. 53). Im Falle des pessimistischen RCP 8.5 würden also gegenüber einer ausgeglichenen Energiebilanz 8,5 W/m2 für eine starke Aufheizung des Planeten sorgen, siehe dazu eine Szenario-Beschreibung des Deutschen Klimarechenzentrums https://www.dkrz.de/kommunikation/klimasimulationen/de-cmip5-ipcc-ar5/ergebnisse/meereis/rcp8.5 (Abrufdatum 17.8.2020).

>> vgl. Abschnitt Eckdaten: °C, CO₂ & Co, Aspekt CO₂-Gehalt der Atmosphäre, S. 49f..

  • Direkt daran anknüpfend ist festzuhalten, dass man davon ausgeht, „dass ein Temperaturanstieg von nur vier Grad die Ernteerträge um ganze 60 Prozent reduzieren könnte“ (Wallace-Wells 2019, 262).

Würden die beiden letztgenannten Punkte Realität, wird es keine 11 Milliarden Menschen auf dem Planeten geben (können).

  • In diesem Fall schätzt Maxton, dass „[d]ie Weltbevölkerung … nie die 10 oder 11 Milliarden erreichen [wird], die von den Vereinten Nationen einst prognostiziert wurden“;
  • Rahmstorf weist ähnlich wie Maxton darauf hin, dass viele Kolleg*innen davon ausgehen, dass „wir niemals auf vier Grad Erwärmung kommen würden, weil uns vorher die Wirtschaft zusammenbricht und die Welt in Konflikten versinken würde“;
  • Schellnhuber nennt die Zahl „Eine Milliarde Überlebende“;
  • Welzer vermutet: „Eine Milliarde Menschen vielleicht. Eher weniger“ – und
  • Kevin Anderson spricht von einer Weltbevölkerung von nur 500 Millionen.

>> Zahlen stammen aus Abschnitt Klimakrisen-Folgen zu Lebzeiten der derzeitigen Entscheider*innengeneration – in Deutschland, S. 114, Abschnitt Sind wir nicht (fast) alle mehr oder weniger kleine oder gar große Klimawissenschaftsleugner*innen?, S. 216 sowie Abschnitt Konfliktpotenziale der Klimakrise: Armut, Klimakriege, ‚Natur‘-Katastrophen, Flucht, S. 632.


Quellen des Abschnitts 11 Milliarden Menschen



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