Agrarkultur/Landwirtschaft

>> Der Abschnitt Agrarkultur/Landwirtschaft ist der bodenbewahrenden Agrarkultur gewidmet inkl. der Aspekte Gülle, Stickstoffe, sauberes Trinkwasser, globale Landwirtschaft.
>> Die weiteren Aspekte der Massentierhaltung finden sich im Abschnitt Fleisch, Fisch & Ernährung.


Bodenbewahrende Agrarkultur

Inhalt:


„[J]eder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit.“
Karl Marx

Bodenbewahrende Agrarkultur vs. konventionelle industrielle Landwirtschaft

Die konventionelle industrielle Landwirtschaft hat weltweit einen Anteil von etwa 25-30% an den CO2e-Emissionen (vgl. Gonstalla 2019, 54), maßgeblich über (die in CO2e umgerechneten) Methan- und Lachgasemissionen.

Und:

  • „Ein Drittel aller Agrarflächen ist von Bodendegration betroffen, das heißt ihre Ökosystemfunktionen sind eingeschränkt, bis hin zum vollständigen Verlust“ (ebd.).
  • „24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens gehen jährlich verloren“ (Hartmann 2018, 17).


Vorweg:

  • „Als wichtigsten Faktor des Artensterbens benennt der [2019er] Bericht [des Weltbiodiversitätsrats (IPBES)] die Auswirkungen durch die Landwirtschaft… [Einer der Leitautoren des Berichts, Josef Settele, hebt hervor:] Auch wenn die Landwirtschaft als Hauptverursacher beschrieben sei, sollten sich Bauern nicht als Buhmann fühlen. ‚Sie werden durch die Subventionen behindert oder gar bestraft‘, wenn sie umweltfreundlich wirtschafteten. Das gelte es zu ändern“ (Schwägerl 2019).

Dieser Ansicht schließe ich mich hiermit und im Lichte der folgenden Ausführungen unbedingt an.


Konventionelle industrielle Landwirtschaft

Grundzug der industriellen Landwirtschaft ist, mit

  • schweren Maschinen, die der Bodenstruktur schaden,
  • tiefem Pflügen,
  • synthetischem, auf der Basis von Erdgas (Methan) hergestelltem Stickstoffdünger (Kunstdünger),
  • Pestiziden, d.h. sog. Pflanzenschutzmitteln, unterteilt in
  • Herbizide à la Glyphosat (= Roundup) gegen ‚Beikräuter‘
  • Insektizide gegen schädliche Insekten
  • Fungizide gegen Pilze
  • gentechnisch veränderten Pflanzen (in fast allen Regionen der Welt)

auf großflächigen Monokulturen unter erheblichen Kapitaleinsatz standardisierte Lebensmittel per Massenproduktion herzustellen.

  • „Weltweit ist die Menge der eingesetzten Pestizide seit 1950 um das Fünfzigfache gestiegen“ (Wenz 2020, 18).

>> Die Folgen sind eklatant, siehe Abschnitt Massenaussterben | Biodiversitätsverlust Aspekt Insekten- und Bienensterben, S. 673f.

An dieser Stelle sei hier hinsichtlich des Insekten- und Bienensterbens nur kurz darauf verwiesen, dass das Insektensterben sogar an Kuhfladen abzulesen ist, die mittlerweile gern mal als ‚Betonfladen‘ tituliert werden, weil sie sich vielerorts aufgrund des Fehlens von Dungkäfern nicht mehr zersetzen (vgl. Sparmann 2020, 17).

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Alexandra-Maria Klein merkt darüber hinaus an, dass „[o]hne die auf sie spezialisierten Käfer … der Boden mit Dungplatten übersät [wäre]. Dieses ökologische Problem gab es schon einmal: Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts Rinder in Australien eingeführt wurden, fehlten die Dungkäfer dort. Erst als auch sie importiert wurden, war das Problem behoben“ (2020, 45).

  • „Als eine der Ursachen gelten Insektizidrückstände im Kraftfutter, die mit dem Kot von Nutztieren ausgeschieden werden – um dann ihre tödliche Wirkung bei den nützlichen Käfern zu entfalten“ (ebd., 17).

Man kann sich leicht vorstellen, dass eine „Weidehaltung [ohne Insekten] … nur schwer möglich [wäre]. Insektenlarven beugen gemeinsam mit Regenwürmern und Mikroorganismen der Erosion vor, indem sie die Böden stabilisieren“ (Klein 2020, 45).


Europa ist der letzte gentechnikfreie Kontinent (vgl. Asendorpf 2017), sodass außerhalb Europas noch der Einsatz von genveränderten Pflanzen, zu denen es ‚passende‘ chemische Produkte gibt, die alles Leben außer der gentechnisch veränderten Pflanzen abtöten, hinzukommt und der eine m.E. erschreckende Normalität besitzt

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So sehr sich europäische Verbraucher*innen an dem Gedanken stören gentechnisch manipulierte Pflanzen essen, so emotional unempfindlich sind sie gleichzeitig gegenüber der Tatsache, dass sie Milch trinken oder Fleisch essen von Nutztieren, deren Ernährung vorwiegend oder ganz aus Gen-Soja besteht.

1:32 h – Film-Doku ‚Roundup – der Prozess‘. [Eine Doku mit einem symbolischen Tribunal gegen Monsanto inkl. diverser Fakten zum Thema ‚Glyphosat‘/‚Roundup‘]. ARTE 2017, s. https://youtu.be/PRsP_Plj5R4 (Abrufdatum 28.11.2023)

>> Empfehlung: Film-Doku ‚Roundup – der Prozess‘. [Eine Doku mit einem symbolischen Tribunal gegen Monsanto inkl. diverser Fakten zum Thema ‚Glyphosat‘/‚Roundup‘]. ARTE 2017, s. https://youtu.be/PRsP_Plj5R4 (Abrufdatum 28.11.2023)

Während Glyphosat auf einem gentechnikfreien Feld ausschließlich vor der Wachstumsphase der Nutzpflanzen zum Einsatz kommt, geschieht dies bei dem gegen Glyphosat resistenten Genpflanzen etc. darüber hinaus auch während der Wachstumszeit. Hier wird also i.d.R. noch mehr und zu einem hinsichtlich möglicher Rückstände in Nahrungsmitteln (noch) kritischerem Zeitpunkt ‚gespritzt‘ – zum Nachteil von Mensch, Tieren inkl. Insekten und allem ‚Ackerleben‘.


Das geplante Freihandelsabkommen EU-Mercosur (vgl. S. 414) zwischen Schlüsselländern Südamerikas und der EU soll u.a. die Sojamärkte für Europas industrielle Massentierhaltung sichern.

  • „[K]aum bekannt [jedoch] ist, dass das Abkommen auch eine weitreichende Liberalisierung des Handels mit Chemikalien umfasst. Die größten Pestizidkonzerne der Welt – die deutschen Unternehmen Bayer und BASF sowie Syngenta aus der Schweiz – wird das freuen. Die Insektenwelt der Mercosur-Länder nicht“ (Santos 2020, 21).

Hiermit ist nun grob die typische Vorgehensweise der industriell-konventionellen Landwirtschaft umrissen.

Weitverbreitet ist die Sichtweise, dass allein dieser konventionelle, agrarindustrielle Ansatz die (globale) Nahrungssicherheit gewähre und somit alternativlos sei.

Details

Dieses Argument wird auch verbunden mit der Behauptung, Bio sei stets weniger ertragreich als Konventionell. Nun, das wird in vielen Fällen auf dem Papier so sein, weil konventionell ja auch die Faktoren ‚Ausbeutung‘ und ‚Externalisierung‘ beinhaltet, doch gibt es – auch davon unbenommen – diverse Zahlen und Studien, die das die These so nicht haltbar erscheinen lassen. „Ein Langzeitversuch von [der in Bereich Bio-Agrikultur forschenden NGO] Rodale ergab, dass gerade in Trockenzeiten Öko-Ernten höher ausfallen, bei Biomais waren sie fast ein Drittel höher als bei konventionellem“ (Scheub/Schwarzer 2017, 63). Eine Metastudie der Uni Michigan errechnete, dass Ernteerträge in den gemäßigten Klimazonen lediglich 92%, in den tropischen hingegen über 180% in Relation zu den konventionellen Erträgen betrugen (vgl. ebd., 82). Besonders ertragreich scheinen Permakulturen (vgl. ‚Nahrungswald‘) zu sein, was sowohl Scheub/Schwarzer als auch die Film-Doku Tomorrow anhand des Beispiels Bec Hellouin in Frankreich hervorheben, deren Produktivität „das Zehnfache einer traktorbetriebenen Biofarm [beträgt]“ (Scheub/Schwarzer 2017, 101, vgl. Laurent/Dion 2016, s.a. https://www.fermedubec.com/english/ (Abrufdatum 7.7.2020).

Tatsächlich ist es umgekehrt:

Die Alternative ist gar keine Alternative, sondern der einzige dauerhaft gangbare Weg.

Warum?

Weil die industrielle Landwirtschaft mittelfristig die Ackerböden zerstört und damit ihre – und damit auch unsere – Existenzgrundlage.


Ohne Humus kein Homo Sapiens. Wir sind der Homo Humus.
Und nebenbei ist es nicht ganz unbedeutend und garantiert kein Zufall, dass unser Planet genau so heißt wie der Boden auf dem wir stehen: Erde ist in jeder Hinsicht unsere Lebensgrundlage.

>> Der Begriff ‚Homo Humus‘ entstammt einer Artikelüberschrift von Ingo Arend in Der Freitag, 2001.


Die industrielle Landwirtschaft befördert zudem massiv die Klimakrise und das Artensterben.


Unter anderem durch die…


3 min – DUH: „Vom wertvollen Nährstoff zum Umweltproblem – warum weniger Stickstoff die Lösung vieler Probleme ist“, online unter https://youtu.be/hMLA7Yhq_rY (Abrufdatum 3.12.2021)

Stickstoffdüngung in der industriellen Landwirtschaft

Stickstoffdünger ist das, was man gemeinhin als Kunstdünger bezeichnet.

Der Name trifft zu, denn Kunstdünger ist wie z.B. auch Kunststoff ein Produkt der Petrochemie: Er entsteht u.a. mit dem Haber-Bosch-Verfahren in sehr energieintensiven mit hohen Temperaturen (bis zu 500 °C) einhergehenden Produktionsprozessen, meist auf der Basis von Erdgas (Methan) sowie mit – je nach Produktionsvariante – schwerem Heizöl und zusätzlichem Strombedarf (vgl. Bundestag 2018, 4-5).

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„Mit größter Energie widmet er [Fritz Haber] sich [1914] dem Aufbau der Ammoniakproduktion der BASF, mit der Deutschland große Mengen Sprengstoff und Kunstdünger herstellen und den Krieg über Jahre durchhalten konnte. Für das dabei eingesetzte Haber-Bosch-Verfahren wird er 1919 den Nobelpreis für Chemie erhalten – eine bis heute umstrittene Entscheidung“ (Sietz 2014), auch weil Haber maßgeblich den Einsatz von Chlorgas im Ersten Weltkrieg ermöglicht, gefördert und vor Ort begleitet hat (vgl. ebd.).

Bei der Ammoniak-Synthese, die Teil des Produktionsprozesses ist, werden „[p]ro Tonne produziertem NH3 [Ammoniak] … zwei Tonnen klimaschädliches Kohlenstoffdioxid CO2 freigesetzt. (Bundestag 2018, 4).

  • „Mit einem Anteil von einem bis drei Prozent am weltweiten Energiebedarf ist die Ammoniaksynthese einer der größten industriellen Energieverbraucher“ (Bundestag 2018, 4).
  • „Insgesamt entfallen global gut 2% der Treibhausgase auf die Produktion von mineralischen Stickstoffdüngern und deren Anwendung [auf dem Feld –] sowie 3,8 % auf organische N-Quellen[, d.h. organische Stickstoff-Quellen wie z.B. Gülle]“ (BLW 2013).
  • „Kunstdünger bleibt nur kurz[e Zeit] im Boden. 40 Prozent wird als Nitrat ausgewaschen, insgesamt rund 55 Prozent als Lachgas und Stickstoff oder als Ammoniak [– Stichwort: Feinstaubbildung –] in die Atmosphäre abgegeben“ (Scherber 2020, 26)

Das bedeutet auch, dass ein relevanter Teil des global geförderten Erdgases [=Methan] für die Düngemittelproduktion verwendet wird.

  • „Die eingesetzten fossilen Brennstoffe (Erdgas, Erdöl, Kohle) dienen der Bereitstellung des Wasserstoffs für das Haber-Bosch-Verfahren“ (Bundestag 2018, 4). Dieser Wasserstoff kann und muss künftig durch erneuerbare Energien wie Wasserelektrolyse hergestellt werden – und das ist nur dann möglich, wenn z.B. in Deutschland ausreichend Windenergie- und Solaranlagen (etc.) aufgebaut werden.


Die Düngung mit Stickstoff ermöglichte tatsächlich dort „zwei Halme wachsen zu lassen, wo bisher nur einer wuchs“ – so legt Heinrich Spoerl die Worte Friedrich ‚des Großen‘ in den Mund Hans Pfeiffers in der ‚Feuerzangenbowle‘ – allerdings ist dafür ein Preis zu zahlen, der dauerhaft sehr hoch ausfällt:

Apropos 'Feuerzangenbowle'

In der Feuerzangenbowle (nur in der Film-Produktion) weist Heinz Rühmann/Hans Pfeiffer verkleidet als Professor Crey in der letzten Unterrichtstunde übrigens auf den ‚großen Chemiker‘ hin, der die moderne Agrikulturchemie erfand, der es fertigbrachte zwei Halme wachsen zu lassen, wo bisher nur einer wächst: „Wir können ihn gewissermaßen den Vater des Kunstdüngers nennen“ (Spoerl 1944). Gemeint ist Justus von Liebig (1803-1873), der die Grundlagen für das spätere Haber-Bosch-Verfahren legte.

  • „Die negativen ökologischen Folgen der mineralischen Düngung haben inzwischen ein bedrohliches Ausmaß erreicht. Das betrifft vor allem die Düngung mit Stickstoff. Die Folgen sind Humusabbau, Verlust von Biodiversität, Bodenversauerung und Lachgas-Emissionen, mit negativen Auswirkungen auf die zukünftige Nahrungsproduktion. Die zunehmende Bodenversauerung verringert die Phosphat-Aufnahme, erhöht die Konzentration toxischer Ionen im Boden und hemmt das Pflanzenwachstum; verstärkter Humusabbau im Boden verringert sein Nährstoff-Speichervermögen, und Treibhausgase aus überschüssigem Stickstoff belasten das Klima. So zerstört synthetischer Stickstoff zentrale Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft und gefährdet zukünftige Ernährungssicherung“ (WWF/Böll 2013, 7).

    „Auf synthetischen Stickstoff sollte deshalb [künftig] vollkommen verzichtet werden, andere Nährstoffe müssen in den Kontext einer umfassenden Bodenfruchtbarkeitsstrategie integriert werden. Zentral sind dafür Techniken, die die Erhaltung und den Aufbau von Bodenhumus gewährleisten. Von wesentlicher Bedeutung sind hierbei Kompostierungsverfahren, tierische Dünger, Agroforstwirtschaft, Gründüngung und Intensivbrache“ (ebd.).


Und, noch einmal auf den Punkt gebracht:

  • „[D]ie heutige Stickstoffdüngung gefährdet die Ernährungssicherung von morgen“ (ebd.).

Und nur weil ein Verfahren ab dem frühen 20. Jahrhundert zunächst augenscheinlich gut funktionierte für Ackerböden der gemäßigten Klimazonen, bedeutet das noch lange nicht, dass der umfangreiche Einsatz von Kunstdünger dauerhaft und global eine gute Idee ist:

  • Kunstdünger [hat] auf übernutzten Böden im subsaharischen Afrika kaum Wachstumswirkung“ (Scheub/Schwarzer 2017, 137).
  • „Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass in vielen kleinbäuerlichen Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas die durch Mineraldünger erzielbaren Mehrträge gering sind. Der Grund dafür ist die weit verbreitet geringe Fruchtbarkeit von Böden, die jahrzehntelang übernutzt, ausgelaugt, versauert oder der Erosion preisgegeben wurden. Das Vermögen degradierter Böden, gedüngte Nährstoffe pflanzenverfügbar zu machen und auch sonst günstige Wachstumsbedingungen zu ermöglichen, ist häufig auf ein Minimum reduziert“ (WWF/Böll 2013, 29).


…sodass das ernüchternde Fazit wie folgt lautet bzw. zu lauten hat:

  • Berücksichtigt man Kollateralschäden der industriellen Landwirtschaft wie verstärkte Bodenerosion, das Artensterben oder Wasserverschmutzung, dann ist sie der bäuerlichen Landwirtschaft keineswegs überlegen. Das zumindest ist das Ergebnis des Weltagrarberichts, den 400 Wissenschaftler 2008 für die Weltbank und die Uno erstellt haben. Die Zukunft der Landwirtschaft müsse eher kleinteilig, vielfältig und regional sein“ (Klawitter 2019, 81).


Wenn die Sache so klar ist, warum läuft es dann komplett andersherum?

Landwirtschaft, Energiesektor, Großindustrie, Dieselskandal, Naturschutz – es ist immer das gleiche: Wo zu viel Geld im Spiel ist, sorgen mächtige Lobbys dafür, dass die Logik des Geldes und nicht die der Natur bzw. der Nachhaltigkeit zum Tragen kommt. Man sollte nie übersehen, das sich im derzeitigen System eine nicht-nachhaltige Natur- und Ressourcenausbeutung lohnt bzw. belohnt wird (vgl. Aspekt ‚Roboterbienen S. 455).

Und: Ein CEO eines börsennotierten Unternehmens kann nur dann tun, was für die Shareholder des Unternehmens maximalen Profit abwirft. Es sei denn, Gesetze und Regulierungen sorgen dafür, dass das Unternehmen samt Konkurrenz entsprechende Auflagen erhält (vgl. Michael Kopatz auf dem Ersten Hamburger Klimagipfel sowie Kopatz 2016).

>> siehe dazu auch LebeLieberLangsam-Beitrag Pressemeldung: Verlust hunderttausender Arbeitsplätze befürchtet, https://blog.lebelieberlangsam.de/pressemeldung-verlust-hunderttausender-arbeitsplaetze-befuerchtet

  • „So schätzen die IPCC-Autoren [des Sonderberichtes Klimaschutz und Landsysteme], dass etwa ein Viertel der eisfreien Landfläche von Bodendegeneration betroffen ist, rund eine halbe Milliarde Menschen lebt in Regionen, in denen die Wüstenbildung voranschreitet. Beides ist vor allem eine Folge nicht-nachhaltiger Nutzung; durch konventionelles [tiefes] Pflügen geht… hundert- bis tausendmal mehr Boden verloren, als neu gebildet wird. Aber auch der Klimawandel beschleunigt… Erosion und Wüstenbildung“ (Weiß 2019, 12).

Und:

  • „Je kürzer [durch Kunstdünger degradierte] Ackerflächen nutzbar sind, desto höher ist der Druck, beispielsweise durch Rodung neue fruchtbare Flächen zu erschließen“ (Berkel 2019).


Es geht also darum, sich als Menschheit nicht mit jedem Jahr, in dem ein Boden agrarindustriell genutzt wird, quasi mit der Sense der Petrochemie den Boden unter den Füßen wegzuschlagen.



Kommen wir also zu der Alternative, die keine ist, sondern unabdingbar – kommen wir zur: bodenbewahrenden Agrarkultur:

Diese ‚Alternative‘, deren Nutzung in ihrer Pluralität der Anbauformen existenziell ist, hat viele Bezeichnungen.

Scheub und Schwarzer (vgl. 2017, 16-18) heben hervor, dass der Begriff ‚Landwirtschaft‘ eben auf ländliche Räume abhebt, während das Wort ‚Agrar‘ neutraler auch städtische Regionen mit einbezieht. In Abgrenzung vom industriellen Prinzip und der Betonung der Förderung des lebendigen, des bewahrenden, des Humus-aufbauenden und des regenerativen sowie des im globalen Maßstab tendenziell kleinbäuerlichen Ansatzes liegt es des Weiteres nahe, dem Begriff ‚Kultur‘ gegenüber ‚Wirtschaft‘ den Vorzug zu geben. Daher wird im Folgenden der Begriff ‚bodenbewahrende Agrarkultur‘ verwendet.


„Kleinbauern kühlen die Erde.“ (Naomi Klein 2015, 189)

Bodenbewahrende Agrarkultur: Humus und Kompost statt Stickstoff

„[I]n most places on Earth, ‚we stand only six inches form desolation, for that ist he thickness of the topsoil layer upon which the entire life depends‘“ (Chiras 2006, 171).

  • „In einer Handvoll gesunder Erde gibt es mehr Lebewesen als Menschen auf dem Planeten, in einer Handvoll agroindustriell behandeltem Boden hingegen nur noch einen Bruchteil davon“ (Scheub/Schwarzer 2017, 11).
    • Neben Regenwürmern, Ameisen, Spinnen, Schnecken, Käfern, Larven, Ohrenkneifern und diversem Kleingetier wie Asseln, Tausendfüßler, Insekten/Kerbtieren inkl. Spinnen ist hier von diversen Mikroorganismen die Rede, darunter Bakterien; symbiotische Mykorrhizia-Pilze, die riesige, den Boden stabilisierende Fädennetze bilden; Algen; Geißeltierchen; Wurzelfüßler/Amöben/ Wechseltierchen; Wimperntierchen; Rädertierchen; Fadenwürmer; Milben; Springschwänze; Borstenwürmer/Ringelwürmer, … etc. (vgl. Scheub/Schwarzer 2017, 125-130) – sie alle bilden eine humusanreichernde Lebensgemeinschaft zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit, welche die Ernteerträge befeuert (vgl. ebd., 131).
    • Von diesen Tieren und Mikroorganismen macht der Agrarindustrie täglich einen großen Teil platt. Es ist irritierend, so viele verschiedene Lebewesen von vorneherein als Feinde der Ernte zu sehen – denn wir haben davon auszugehen, dass die Evolution keine Fehler macht.
    • Die allgemeine Annahme, „der Boden sei ein Gefäß, dem ständig Nährstoffe entzogen werden, welche man wieder nachfüllen muss… [ist falsch und] blendet komplett aus, dass Mikroorganismen und Pflanzen über ihre Wurzeln Nährstoffe freisetzen können. Durch diese biogenen Prozesse stehen in der Regel sogar mehr Nährstoffe zur Verfügung als über Düngemittel. Gründüngung und Zwischenfrüchte sind hier deutlich leistungsfähiger als eine klassische organische Düngung“ (Scheub/Schwarzer 2017, 142).


Gesunde, d.h. fruchtbare Erde ist Humus. „Als Humus wird die Gesamtheit der abgestorbenen und zersetzten organischen Substanz eines Bodens bezeichnet“ (Scheub et al. 2013, 18). Diese gesunde Erde, Humus, enthält alles, was unsere Nahrung-liefernden Pflanzen zu einem kräftigen Wachstum benötigen. Und mehr: Hauptbestandteil von Humus ist Kohlenstoff (vgl. Scheub/Schwarzer 2017, 12).


In dem die Menschheit die erodierten, degenerierten, kohlenstoffarmen Böden regeneriert, zieht sie massiv Kohlenstoff aus der Erdatmosphäre und sichert gleichzeitig die auf diese Weise rekarbonisierten Böden für künftige Generationen als Grundlage der Ernährung der Menschheit.


Ute Scheub und Stefan Schwarzer zitieren den US-Agrarwissenschaftler Timothy LaSalle mit den Worten:

  • „Planetarisches Bio-Engineering sei billig und überall anwendbar – sein Name: Photosynthese. Pflanzen holen Kohlendioxid aus der Luft sowie Wasser und Nährstoffe aus dem Boden, mittels Sonnenenergie produzieren sie daraus lange Kohlenhydratketten: Zucker, Stärke, Zellulose. Einen Teil des Kohlenstoffs verbrachten sie über ihre Wurzeln unter die Erde… Sterben die Pflanzen, gelangt im Rahmen des globalen Kohlenstoffkreislaufs ein Anteil wieder als CO2 in die Atmosphäre, ein anderer verbleibt im Boden und wird unter günstigen Bedingungen zu stabilem Humus“ (2017, 13).


Im weltweiten Maßstab gibt es nicht die eine ideale bodenbewahrende Agraranbaumethode – statt dem unangepassten Gießkannenprinzip der Agrochemie bzw. der industriellen Landwirtschaft gilt es, die jeweils optimale klima- und wetterangepasste Anbaumethode aus einem ganzen Konglomerat bewährter alter und neuer Methoden herauszufinden.

Dazu gehören „Permakultur, Waldgärten, Biointensivkulturen, pfluglose Bodenbearbeitung [‚No-till‘ genannt]1, Untersaaten, Mischkulturen, Agroforstsysteme, Holistisches [=ganzheitliches] Weidemanagement, Wassersammelsysteme bis zu Wüstenbegrünung“ (Scheub/Schwarzer 2017, 14) – „[i]mmer [geht es] um Kreislaufwirtschaft, das Arbeiten mit der Natur und nicht gegen sie“ (ebd., 18).

  • Weitere Aspekte sind kleine Felder mit unterschiedlicher Nutzung, Blühstreifen2, Hecken – sowohl als Rückzugsräume als auch als Windschutz gegen Erosion, Feldraine3, Zwischensaaten/Gründüngung/Intensivbrache z.B. mit Leguminosenanbau4 per stickstoffbindender Lupine, Soja, Ackerbohne, Erbse, Luzerne und Klee, wechselnde Fruchtfolgen, der gezielte Einsatz von Nützlingen, die mechanische (statt chemische) Entfernung von ‚Beikräutern‘, Verwendung von Sorten, die den Bodenverhältnissen entsprechen und zum Klima passen (vgl. Decken 2020, 24-25 u. Wenz 2020, 40).
Details: Erläuterungen zu (1) bis (4)

1 „Nackte Böden, tiefes Pflügen, unangepasste Bodenbewirtschaftung – alle das fördert den Abbau organischer Substanz, Kohlenstoff oxidiert zu CO2“ (Scheub/Schwarzer 2017, 38). An anderer Stelle heben Scheub und Schwarzer hervor, das tiefes Pflügen „den Boden komplett durcheinander [bringt]: Sauerstoffunabhängige Bodenlebewesen geraten in Schichten, wo sie nicht mehr atmen können und ersticken, Sauerstoffunabhängige werden nach oben in die Luft befördert, wo sie ebenfalls absterben. Und liegt der Acker ohne schützende Gründecke da, werden seine Freunde Wasser und Wind zu seinen Feinden, die ihn zerstören“ (2017, 42). Humus-arme Böden sind porenarm und können daher weniger Wasser speichern (vgl. ebd., 48). Zur Wasserhaltefähigkeit tragen auch die Mikroorganismen eines lebendigen Bodens bei (vgl. ebd. 60.), es gilt die Formel „pro Prozentpunkt Humus und Quadratmeter 16 Liter“ (ebd., 150).

2 Blühstreifen sind ein gutes Beispiel dafür, dass ‚gut gemeint‘ nicht unbedingt hilfreich ist und Eingriffe in die Natur eben wohlüberlegt zu sein haben. „Seit dem Volksbegehren [in Bayern] gebe es für die Wildbienen [auch in Städten] gezielte Maßnahmen, wie Flächen mit heimischen Blütenpflanzen. Problem aber sei, dass bei den meisten Blühflächen die ausgesäten Pflanzen häufig nicht die geeigneten sind. ‚Das sieht zwar nett aus, ist aber nur Kosmetik und bringt den Wildbienen gar nichts‘, kritisiert [Wolfgang] Willner [vom Bund Naturschutz (BN)]. Gerade auch, da die Flächen im Herbst umgeackert werden und dadurch die Brut im Boden zerstört wird (Regelein 2020).

3 Diesen Begriff kennt die/der gemeine Städter*in heute wohl nur noch aus Gedichten, die in der Schule durchgenommen werden: Er beschreibt einen Randstreifen oder Grenzstreifen zwischen zwei Äckern.

4 „Leguminosen … sind in der Lage, Stickstoff aus der Luft in Eiweiß zu verwandeln. Doch in Deutschland werden … [sie] kaum noch angebaut“ (Asendorpf 2018b, 2). „Leguminosen [sind] nicht auf Stickstoff im Boden angewiesen. Im Gegenteil: In ihren Wurzelknöllchen siedeln Bakterien, die den Stickstoff direkt aus der Luft aufnehmen und an die Pflanze weitergeben“ (ebd., 6).


Regenerative Agrarkultur unter Extrembedingungen

Burkina Faso, Niger und Mali: Die Rückkehr der Bäume und Agrarkultur

Über die Arbeit von Yacouba Sawadogo wurde schon im Abschnitt Bäume pflanzen/globale Aufforstung (vgl. S. 470f.) berichtet, der in Burkina Faso in der Sahelzone mit Hilfe der von ihm weiterentwickelten Kompost-basierten Zai-Technik aus einer wüstenartigen Region tatsächlich ‚blühende Landschaften‘ machte, sodass durch die Rückkehr von Bäumen und Büschen das lokale Klima und die Böden wieder relevante Agrarkultur zulassen.

2018 erhielt neben Yacouba Sawadogo auch Tony Rinaudo den Right Livelihood Award – den sog. alternativen Nobelpreis.

  • „Als Tony Rinaudo Anfang der [19]80er-Jahre erstmals in den Süden Nigers kam, entdeckte er, dass von Bäumen entblößte Ackerflächen dort biologisch keineswegs tot waren. Vielmehr hatten im Untergrund zahllose Baumwurzeln, Stümpfe und Samen überlebt. Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alte Waldreste, die regelmäßig zur Regenzeit neue Triebe entwickeln. Diese Triebe wurden bis dahin allerdings genauso regelmäßig von Ziegen abgefressen oder beim Abbrennen der Felder vernichtet“ (Kruchem 2018).

Niemand in der Bevölkerung hatte Anlass, daran etwas zu ändern, zumal die Annahme weitverbreitet war, dass „Bäume ihre Böden unfruchtbar machten; dass sie Schlangen und Vögel, die die Saaten fressen, anlockten“ (ebd.). Doch nach einer Hungersnot, viel Überzeugungsarbeit und

  • „[n]ach einer Gesetzesänderung, wonach Bäume ihnen gehören, haben Bauern in Niger seit 1985 ungefähr fünf Millionen Hektar mit Bäumen und Büschen wiederbegrünt. Mit der Vegetation kehrte der Regen zurück, kleine Wasserkreisläufe regenerierten sich“ (Scheub/Schwarzer 2017, 183-184).
  • „Heute stehen im Süden Nigers 280 Millionen Bäume – 40 mal mehr wie vor 30 Jahren“ (Kruchem 2018) – und das ist eine wichtige Voraussetzung für alles weitere, Rinaudo wird an gleicher Stelle zitiert mit dem Hinweis, „Nahrungsmittelproduktion in der Sahelzone funktioniere nur mithilfe von Bäumen“.

Wie wichtig gesetzliche und soziale Rahmenbedingungen sind verdeutlicht eine ähnlich verlaufene Entwicklung in Mali:

  • „In Mali wurde 450.000 Hektar regeneriert, nachdem 1994 das Waldgesetz demokratisiert worden war“ (Scheub/Schwarzer 2017, 183-184).
1:50 min: Der Waldmacher [=Tony Rinaudo] | Offizieller Trailer | Kinostart 7. April 2022

Am 7. April 2022 kommt der Film „Der Waldmacher“ des Oskar-Preisträgers Volker Schlöndorff in die Kinos. Der 83-jährige selbst bezeichnet seine Doku – seine erste Doku überhaupt – als Doku-Essay. Der Film portraitiert Tony Rinaudo sowie das Leben der Menschen, deren Leben im weitesten Sinne mit dem Lebenswerk des „Waldmachers“ verknüpft ist. Ein Film, der das Leben in der Sahelzone in seiner Komplexität darstellt – und zeigt, was auf dem ‚geschundenen‘ Kontinent möglich ist. Prädikat wertvoll. Prädikat wertvoll.


Ägypten: Die Sekem-Farm: Humus schlägt Wüste

Die Sekem-Farm am östlichen Rand von Kairo beeindruckt auf seine Weise ebenfalls sehr stark:

Hier hat Ibrahim Abouleish (1937-2017), der in Österreich und Deutschland Chemie und Medizin studierte, schließlich promovierte sowie mit den Prinzipien der Demeter-Agrarkultur vertraut wurde (vgl. Scheub/Schwarzer 2017, 184) seit 1976 gemeinsam mit einem inzwischen mehr als 2.000 Menschen großem Team (vgl. Pachernegg/Wagner 2019) ein umfangreiches Sozialunternehmen mit Kindergarten, Schule, Theater, Stiftung, einer eigenen Demeter-Produktlinie, Forschungsinstitut und einer gemeinnützigen Universität aufgebaut. Kaum würde dieser Umstand in diesem Kapitel Erwähnung finden, wenn das Ganze nicht im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut wäre: Mittlerweile „sind fast 700 Hektar Wüstensand mit Kompost und Demeter-Präparaten [zu Humus und damit] fruchtbar gemacht worden; hinzu kommen 1.700 Hektar, die von 800 Vertrags-Ökobauern bewirtschaftet werden“ (Scheub/Schwarzer 2017, 184; wikipedia nennt hier die Zahl 200 Kleinbauern, vgl. 2020a).

>> Sekem = altägyptische Hieroglyphe für ‚sonnenhafte Lebenskraft‘ oder auch ‚Lebenskraft der Sonne‘

Machen wir uns das klar:

Wüstensand + Demeter-Kompost + Wasser + jede Menge Arbeit = Humus


>> Sehr empfehlenswerte Film-Doku: Pachernegg, Ramon u. Wagner, Jasmine (2019): Sekem – Das Wunder in der Wüste.

Helmy Abouleish, der Sohn des Gründers, beschreibt den Kompost in der hier erwähnten Doku als auf Demeter-Prinzipien basierendem

  • „Gemisch aus Dünger, Kuh-Dünger und Pflanzenmaterial, welches in unserem Fall dann mit bestimmten Mikroorganismen angereichert wird“ (Pachernegg/Wagner 2019, Min 5ff.), –

und berichtet dann über den Prozess der Wiederbegrünung folgendes:

  • Dieses mit bestimmten Mikroorganismen angereicherte „Gemisch aus Dünger, Kuh-Dünger und Pflanzenmaterial … [verwandelt] sich innerhalb von 60 bis 90 Tagen in ein neues Material namens Kompost …[,] welcher dann, wenn er dem Wüstensand beigefügt wird, über die Jahre einen lebendigen Boden erzeugt. Man sieht es an der Farbe. Der weiß-gelbliche Wüstensand wird zu Erde und allmählich brauner und brauner, bis sie ganz schwarz ist. Aber das dauert mehrere Jahre und es ist immer ein Prozess, in dem man mehr und mehr lebende Organismen in der Erde erzeugt. Diese lebenden Organismen helfen letztendlich der Pflanze beim Wachsen und helfen uns dabei, Themen wie Wasserknappheit zu bewältigen und sie helfen der Pflanze dabei, das Salz aufzunehmen, das immer an der Oberfläche des Wüstenbodens besteht, wenn man ihn künstlich bewässert. Das Wunder braucht sechs, sieben, acht Jahre, bis wirklich sichtbar ist“ (ebd.), aber teilweise dauert es nur 18 Monate, bis wir soweit sind Pflanzen anbauen zu können (vgl. ebd.).

Abouleish konstatiert:

  • „Sekem hat ein neues Biotop kreiert, indem es Wüstensand mittels Kompost und biodynamischen Methoden zu fruchtbaren und lebendigen Böden machte“ (zit. in Scheub/Schwarzer 2017, 184).


Wenn man sich per Google Earth, alte und neue Fotos und auch über Film-Dokus die Landschaft der Sekem-Farm, die Bäume, das Grün, die Blüten und vor allem den, jawohl, saftigen Boden anschaut, erscheint dies tatsächlich wie ein kleines Wunder.

Keine Pestizide.

Keine angeblich alternativlose industrielle Landwirtschaft.

Nur und ausschließlich auf Basis von biodynamischem Demeter-Kompost erschaffen.

Chapeau.

Wenn das geht, erscheint vieles möglich. Und die ewigen Behauptungen, was angeblich alles nicht geht, entpuppen sich als: billige Ausreden.


Kaum verwunderlich, dass im Jahre 2003 auch Ibrahim Abouleish – genau wie Yacouba Sawadogo und Tony Rinaudo – den Right Livelihood Award, d.h. den alternativen Nobelpreis erhalten hat.

>> Die Liste der Preisträger*innen liest sich wie ein Who’s Who der die Menschheit wirklich voranbringenden Menschen: Neben den genannten Menschen erhielt in jüngerer Zeit Greta Thunberg (2019), Davi Kopenawa (2019, Brasilien, Schutz von Ureinwohner*innen), Guo Jianmei (2019, China, Frauenrechte), Aminatou Haidar (2019, Westsahara, gewaltloser Widerstand), Thelma Aldana (2018, Guatemala, Korruption), Iván Velásquez Gómez (2018, Guatemala, Korruption), Yetnebersh Nigussie (2017, Äthiopien, Inklusion), Khadija Ismayilova (2017, Aserbaidschan, Korruption), Robert Bilott (2017, USA, Aufdeckung chemischer Umweltverschmutzung) (vgl. wikipedia (2020b)


Wenn man das Wort ‚Wüste‘ vernimmt, könnte man auf den Gedanken kommen, es gäbe dort (in Sekem) gar kein Wasser. Doch wird es in Sekem, damals, als man anfing, am Rande von Kairo in der Umgebung des Nils, unweit des Mittelmeers, kein unmögliches Unterfangen gewesen sein, an Wasser zu kommen – aber Wasserknappheit herrschte definitiv (vgl. Pachernegg/Wagner 2019, Min 5ff.).

Aus Sekem lässt sich neben vielem Anderen lernen, dass man sich tatsächlich erfolgreich Stück für Stück in die Wüste vorarbeiten kann, um den Boden nach und nach wieder urbar zu machen.

Und nebenbei wird in einem ehemals toten Wüstenboden – Klimaschutz pur – viel Kohlenstoff gebunden. Somit bedeutet der Erfolg des Sekem-Projektes innerhalb dieses Handbuches, dass nicht reich an positiven Befunden ist, eine wirklich gute Nachricht.


China: Das desertifizierte Löss-Plateau ergrünt

Im Nordosten Chinas liegt die Wiege der chinesischen Zivilisation, das Lössplateau. Seinen Namen verdankt das Frankreich-große, etwa 1.000x700km umfassende Hochland dem gelbbraunen Löss, einem verfestigten Flugstaub, der als sehr nährstoffreich bekannt ist, sodass es nicht verwundert, dass hier bereits seit etwa 25.000 Jahren Menschen leben und eine der frühesten Agrarkulturen begründeten (vgl. Liu 2009, ca. Min 5).

Es schloss sich die Übernutzung der Biosphäre an: Der Entwaldung der Täler zugunsten Land- und Holzwirtschaft folgte die Entwaldung der Berghänge; der Rückgang der Ernten durch übernutzte Böden führte als Ersatz zu wiederum immer umfangreicherer (Zaun-loser) Haltung von Ziegen und Schafen, die wieder die Pflanzen und Triebe derart stark abfraßen, dass die einst geschlossene (versteppte) Bodendecke mehr und mehr aufriss und schließlich zu 90% (vgl. Liu, Min 18) zerstört wurde: „[D]ie Erde blieb kahl und fast humuslos zurück“ (Scheub/Schwarzer 2017, 185).

Als Liu 1995 mit seiner Arbeit an der hier vornehmlich als Quelle dienenden Film-Doku begann, fand man einen dersertifizierten, ‚Platz‘, genauer den „most eroded place on earth“ (ebd., Min 7), vor. Ohne Pflanzendecke war der Boden dem Regen schutzlos ausgeliefert – und floss (Humus und Löss mitnehmen) sofort und quasi ohne einzusickern in die Flüsse und von dort in den Gelben Fluss. Jürgen Vögele von der Weltbank schildert das Geschehene äußerst plastisch:

  • „Originally, you had a complete vegetation cover with a fully intact hydrocycle. All the rainfall that fell down, stayed where it was initiall,y it slowly infiltrated into the ground, was absorbed by the whole system, went into the groundwater and eventually drained toin the yellow river, over a long period of time, hundreds of days, between the rainfall and the time in the yellow river. As the vegetation cover was removed gradually, the run-off increased dramatically, every century, every decade, to the point when now when it rains, 95 percent of the water immediatly is lost to the environment where it is coming down. Immediatly it runs off in the valley, takes a lot of the top soil with it and elapses in the yellow river. So we have the situation where literally 95 percent of the water is gone, and this is the reason why this area is so dry, why the rainfall has been decreased, why the vegetation cover can’t hardly be sustained right now, because everything is so dried up“ (Min 12f.).

Die Folge waren bis nach Peking reichende Sandstürme, extreme Sedimentablagerungen an den Ufern des Gelben Flusses, massive, regelmäßige Überschwemmungen während der Regenzeit, gefolgt von ausbleibendem Regen und Dürre in der übrigen Zeit eines Jahres (vgl. Min 15). Hunger, Armut, Obdachlosigkeit, Leid und Tod folgten.

In den 1990er Jahren startete ein Team aus chinesischen und ausländischen Forschern das ‚Loess Plateau Watershed Rehabilitation Project‘:

  • „Over 3 years, Chinese planners from the Ministry of Water Resources and international planners from the World Bank worked together with experts in hydrology, soil dynamics, forestry, agriculture and economics, [and interviewed the local people], to design [involving the farmers and their needs] a workable project plan. The team divided their work into 2 areas: economic and social well being of the people, and ecologic health of the environment“ (EEMP 2013).

Die Expert*innen und Berater*innen zogen durch die Dörfer und vereinbarten nach vielen Gesprächen schließlich vertraglich, einvernehmlich und transparent mit den Bauern, unzählige Bäume zu pflanzen, einige Landstriche nicht landwirtschaftlich zu nutzen, die Schafe und Ziege einzuhegen, das Regenwasser bremsende kleine Dämme an die Hänge und vor allem Terrassen gegen die Erosion zu bauen, wobei letztere die Bauern selbst besitzen und nach Fertigstellung selbst bewirtschaften sollten: „The people‘s participation became the center part of the project“ (Min. 25).

  • „One of the most common arguments against change ist hat poor people are so focused on survial they can’t think about sustainablity or enivironmental conservation. In order to help the local people to make the trsition the Loess Plateau Watershed Rehabilitation Project hired them to implement new practises… The project made their work central tot he restore the ecological balance. In short: The people became the solution“ (Min. 26).

Innerhalb von zehn Jahren konnte man die ‚Früchte der Arbeit‘ sehen. In der Film-Doku wird im Vorher-/Nachher-Schnitt im Abstand von 10 Jahren das gleiche Tal zwei Mal gezeigt (Min 34), einmal in Gelb, einmal in Grün: „It’s hard to recognize this place now“, freut sich ein alter Bauer, der die meiste Zeit seines Lebens vor allem gelben Löss vor Augen hatte (Min 42). Heute gibt es dort eine kontinuierliche Bodendecke, einen immer besser funktionierenden Wasserkreislauf, stabilisierte verwurzelte Böden, eine wesentlich höhere Biodiversität inkl. der Rückkehr zahlreicher Blütenpflanzen und Insekten – und in der Bevölkerung einen funktionierende Ökonomie sowie einen sehr viel höheren Bildungs- und Lebensstandard.

Film-Doku Liu, John D. (2009): „Lessons of the Loess Plateau“. in: YouTube.com, 20.6.2011, online unter https://www.youtube.com/watch?v=HjNDiBCb-mE (Abrufdatum 10.7.2020) – Die Doku „Lessons of the Loess Plateau“ kommt im Gegensatz zu vielen anderen Doku-Filmen nicht hochglanzverpackt daher, aber ich rege an, geben sie ihr Zeit, es lohnt sich.

>> siehe Film-Doku Liu, John D. (2009): „Lessons of the Loess Plateau“. in: YouTube.com, 20.6.2011, online unter https://www.youtube.com/watch?v=HjNDiBCb-mE (Abrufdatum 10.7.2020) – Die Doku „Lessons of the Loess Plateau“ kommt im Gegensatz zu vielen anderen Doku-Filmen nicht hochglanzverpackt daher, aber ich rege an, geben sie ihr Zeit, es lohnt sich.


Burkina Faso, Niger, Mali, Sekem in Ägypten und das Lösshochland in China sind herausragende Beispiele, aber stehen keineswegs allein. Ihnen gemeinsam ist, dass sie zeigen, dass es tatsächlich möglich ist, stark beschädigte Ökosysteme zu regenerieren, den Kreislauf von Regen, Verdunstung und Pflanzenwachstum wieder in Gang zu bringen und sogar aus totem Wüstensand puren, äußerst fruchtbaren Humus zu machen – und auf diese Weise auch den Kohlestoffkreislauf zu befeuern in dem Sinne, dass Kohlenstoff dort landet, wo er vornehmlich hingehört: in die Erde.

Und das dient den Menschen vor Ort. Und allen anderen auch.


Um all dies in Gang zu setzen, wurde teilweise Intuition, ganzheitliche Agrarkultur-Erfahrung (Sekem) und – insbesondere im Lössplateau – wissenschaftliche Expertise benötigt. Nur eines kam eigentlich gar nicht relevant zum Tragen: Die Prinzipien der europäisch geprägten konventionell-industriellen Landwirtschaft.


In Relation zu den vorgenannten Extrembeispielen erscheint die humusaufbauende Regeneration degradierter Böden der konventionell-industriellen Landwirtschaft eine vergleichsweise leichte Aufgabe zu sein, wenngleich eine äußerst große und umfangreiche Aufgabe, weil es hier um die weltweite Regeneration der allermeisten agrarkulturell genutzten Böden geht.

Es ist eines der wichtigsten Klimaschutzprojekte überhaupt – und dient ebenso der Vermeidung eines weiter fortschreitenden sechsten Massenaussterbens.


Auch der Prozess der Regeneration solcher Landflächen, damit sie künftig als Klimaschutzinstrument dienen können, kostet Ressourcen und Energie – Ressourcen und Energie, die wir nicht für andere Dinge übrig haben.

Die Priorität hat auf Zukunft zu liegen.

>> siehe auch Film-Dokus
> Liu, John D. (2009): Hope in a Changing Climate, online unter https://www.youtube.com/watch?v=6iJKiFSQLn4 (Abrufdatum 10.7.2020) und
> Hattum, Rob van und Meyer Swantee, Gijs (2014): Regreening the Desert, online unter https://www.youtube.com/watch?v=OC_Y1ZTZXQ4 (Abrufdatum 10.7.2020)


Historischer Humusaufbau in den Tropen: Terra Preta

Böden in tropischen Gegenden und im Regenwald sind typischerweise rot: Ferrasol (in etwa: Eisen-Aluminium-Boden).

  • „Solche Böden sind durch die seit Jahrmillionen anhaltende große Hitze und Feuchtigkeit stark verwittert und versauert… Die Konzentrationen an Aluminium werden so hoch, dass sie auf landwirtschaftliche Nutzpflanzen toxisch wirken. Das gesamte Potenzial dieser Böden liegt daher in einer vergleichsweise geringen Humusschicht. Sie gibt Nährstoffe frei und hält sie [die Humusschicht] in einem engen Zusammenwirken mit den Pflanzen des Waldes im [geschlossenen] System… Wird der Wald gerodet, wird der Humus in kürzester Zeit [ausgewaschen und] abgebaut“ (Scheub et al. 2013, vgl. Ullum 2016, 5).

Mit anderen Worten: Eine Landwirtschaft (und damit Sesshaftigkeit) im traditionell-europäischen Sinne hatte und hat in tropische Gegenden per se erst einmal keine guten Startbedingungen – und Landbau ist auf den besonders schnell degradierenden Böden nur über einen eher kurzen Zeitraum und nur mittels extremen Stickstoffeinsatz möglich. Ersatz für erodierte Böden wird i.d.R. geschaffen, in dem weiter und mehr Regenwald gerodet wird.

Vor diesem Hintergrund „galt es in der Anthropologie als ausgemachte Sache, dass sich in den Regenwäldern am Amazonas [historisch gesehen] unmöglich eine höher entwickelte Zivilisation [mit großen einwohnerstarken Städten] entwickeln konnte“ (Scheub et al. 2013, 40). Daher irritierten die in den 1960er Jahren entdeckten große vorkolumbianische Zivilisationen (vgl. ebd., 41). Doch fand man schließlich „Terra Preta do Indio[,] … Schwarzerde[,] … Oberböden[,]… über 2.000 Jahre alt und immer noch fruchtbar[,] oft einen halben Meter dick, manchmal sogar zwei Meter und mehr“ (ebd., 41-42). Diese Terra Preta do Indio ist anthropogen, d.h. von Menschen hergestellt (vgl. ebd., 55), basiert auf der „Wiederverwendung aller täglich anfallenden Rest- und Abfallstoffe“ (ebd., 44) inkl. „Tonscherben, Knochen, Spuren von menschlichen Fäkalien, Asche und Fischgräten“ (ebd., 42 u. vgl. Ullum 2016, 5) und ist eine Form von Holzkohle bzw. Pflanzenkohle (vgl. ebd., 44). Das Wissen um das Herstellungsverfahren der Terra Preta do Indio ging spätestens im Zuge der Kolonisierung verloren (vgl. ebd., 45).

Anmerkungen

Auch in im asiatischen Raum, konkret in China, Japan, Indien und Korea soll es laut Scheub et al. (2013, 62) sowie gemäß Grefe (2011) systematischen Humusaufbau mittels Pflanzenkohle gegeben haben.

Interessanterweise gibt es „Berichte über das Nachwachsen von teilweise abgegrabenen Terra-Preta-Böden… Möglicherweise [– und das ist bislang nur eine Hypothese –] ist dafür der Schimmelpilz Aspergillus niger verantwortlich, der den Kohlenstoff aus abgestorbenen Holz produzieren kann“ (Scheub et al. 2013, 50-51).

Über die Art und Weise, wie die Menschen der südamerikanischen Hochkulturen Terra Preta do Indio konkret herstellten, gibt es lediglich Hypothesen (vgl. ebd., 45f.): Naheliegend ist, das große Tongefäße mit Deckel, deren Scherben bei den Feldern gefunden wurden (vgl. ebd., 47 u. Grefe 2011) für die notwendige Fermentierung unter Luftabschluss verwendet wurden.

Terra Preta ist also eine Pflanzenkohle vermischt mit vornehmlich organischen Siedlungsabfällen von Menschen inkl. Exkrementen.

Das generelle Verfahren für die Produktion von Pflanzenkohle entspricht quasi dem der Holzkohleherstellung z.B. fürs Grillen und ist prinzipiell im industriellen Maßstab (vgl. Grefe 2011) einsetzbar: Die Pyrolyse – die kontrollierte Erhitzung unter Luftausschluss –, auch ‚thermische Karbonisierung‘ genannt.

Mit Terra Preta gelang es Menschen schon vor Jahrtausenden, Humusaufbau zu betreiben und für Ackerbau zuvor ungeeignete Böden fruchtbar zu machen – und auf dieser Basis Bevölkerungen ganzer Städte zu versorgen und Hochkulturen zu schaffen. Das ist staunenswert, ja, sensationell, zeigt ein weiteres Mal, was alles ohne Petrochemie möglich ist und schließt an die beeindruckenden Methoden und Maßnahmen von Yacouba Sawadogo (vgl. S. 470), Tony Rinaudo und Ibrahim Abouleish an.


Terra Preta als Verfahren, der Atmosphäre Kohlenstoff zu entziehen

Über diesen Humus-bildenden und damit potenziell regenerativen Ansatz hinaus gilt Terra Preta in der Jetztzeit auch deshalb Manchem quasi als ‚Wundererde‘, weil sie in einem hohen Maße die Fähigkeit besitzt, Kohlenstoff ‚unter die Erde zu bringen‘ und damit der Atmosphäre zu entziehen.

Ute Scheub und ihre Mitautoren Haiko Pieplow und Hans-Peter Schmidt gehen in ihrem 2013 erschienen Buch davon aus, dass Terra Preta einen wichtigen Beitrag zur Abwendung einer Klimakatastrophe leisten könnte (vgl. Scheub et al. 2013, 68).

>> Was definitiv nicht passieren darf, aber ökonomisch auf Grund des derzeitigen Wirtschaftsmodells verführerisch daherkommt: Die Verkoksung von intakten Waldflächen (vgl. Grefe 2011).

Folgen wir der Argumentation:

Ohne weiteren Eingriff gibt generell jede Pflanze mit ihrem Ableben beim Prozess der Verrottung ihr CO2 (zu einem guten Teil) wieder frei.

  • „Wenn man pflanzliche Reststoffe mittels Pyrolyse verkohlt, verwandeln sich 25 bis 50 Prozent des darin enthaltenen Kohlenstoffs nicht in das Treibhausgas CO2, sondern in stabile, schwer abbaubare, porenreiche Pflanzenkohle“ (ebd., 66).
  • „Die Pflanzenkohle … besteht bis zu 95 Prozent aus reinem Kohlenstoff, der mikrobiell kaum abbaubar ist und so jahrhundertelang [und in Teilen auch wesentlich länger] dem Kohlenstoffkreislauf entzogen werden kann“ (ebd., vgl. Zimmerman/Gao 2013, 32).
  • Bei der Pyrolyse „entsteht aus Biomasse Pflanzenkohle; die Energie liefert dafür das dabei frei werdende energiereiche Synthesegas. Aus diesem kann man [vor allem bei industrieller Anwendung] gleichzeitig Strom, Wärme, Kälte oder Treibstoff herstellen“ (Scheub et al. 2013, 66).
  • „Moderne Pyrolyseanlagen können Pflanzenabfälle so gut verkohlen, dass der Luft mit jedem Kilogramm in der erzeugten Pflanzenkohle rund 3,6 Kilogramm Kohlendioxid entzogen werden. Weitere Treibhausgase werden bei der Terra-Preta-Technik durch die Fermentierung der organischen Abfälle eingespart. Durch die Milchsäurefermentierung von biologischen Abfällen wird Fäulnis verhindert. Ohne Fäulnis … [gibt es] keine Freisetzung weiterer Treibhausgase wie Methan und Lachgas“ (ebd., 67).

Hiermit ist ein Verfahren, dass tatsächlich und für sich genommen betrachtet grundsätzlich funktioniert – womit die Frage aufzuwerfen ist, weshalb auch Anfang der 2020er Jahre inmitten der zunehmenden Bedrohung durch die Klimakrise Terra Preta in erster Linie ein Liebhaberprojekt von Kleingärtner*innen ist, die entweder per Erdgrube oder metallenem trichterförmigen ‚Kon-Tiki‘-Pyrolyse-Ofen für ihren Eigenbedarf produzieren.


Auf den Punkt gebracht:

Terra Preta besitzt in erster Linie zwei wichtige Eigenschaften: Terra Preta kann

  • als ‚komponierte‘ Komposterde die Erträge der bodenbewahrenden Agrarkultur steigern sowie
  • massiv Kohlenstoff im Boden binden und ist damit eine ‚Kohlenstoffsenke‘.

Der BUND hat 2015 eine Einschätzung der Umweltrelevanz von Terra Preta/Pyrokohle herausgebracht und zielt dabei vorrangig auf die Frage ab, inwieweit diese beiden vorgenannten Eigenschaften nicht auch anderen humusbildenden Verfahren eigen sind. Anders ausgedrückt: Besitzt Terra Preta gegenüber anderen Verfahren einen so großen Mehrwert, dass die Fokussierung auf Terra Preta zu Ungunsten anderer, etablierterer Verfahren Sinn macht?

Bedauerlicherweise lesen sich diese m.E. gutbegründeten, umfangreich quellenbelegten und profund erarbeiteten Seiten recht ernüchternd:


Thema ‚Terra Preta zur Ertragssteigerung‘:

  • Ertragssteigerungen durch ‚aufgeladene‘ Pflanzenkohle1 werden beobachtet, sind aber bislang wissenschaftlich nur unzureichend dokumentiert (vgl. 2015, 5 u. Ullum 2016). Terra Preta besitzt hinsichtlich der Dimension der Ernte- bzw. Produktionssteigerungsrate zwar Potenzial, hat aber in Relation zu anderen Kompostierungsmethoden nicht den Charakter eines ‚Wunders‘: Ähnlich hohe Steigerungsraten können offensichtlich durchaus auch bei der Zugabe anderer – und erheblich einfacher herzustellender – Komposte verzeichnet werden (vgl. ebd., 5 u. 13).
Details: Erläuterungen zu (1)

1 Die Pflanzenkohle wird mit Nährstoffen ‚aufgeladen‘, d.h. mit Gülle vermischt, in die ‚Stallunterlage‘ gebracht oder mitkompostiert: „Würde unbeladene PK in den Boden eingebracht, würde diese zunächst die Nährstoffe aus dem Boden binden, und die Pflanzen werden unterversorgt“ (Fachverband Pflanzenkohle 2020d).


Thema ‚Terra Preta als Kohlenstoffsenke‘:

  • Das industrielle Herstellungsverfahren ist wesentlich aufwändiger als obige Beschreibung nahelegt und hochgradig kompliziert, so es (und nur das macht Sinn) umweltschonend und energiearm sein soll:
    • „Die Pyrolysetechnik ist grundsätzlich mit erheblichen Emissionsrisiken verbunden, da sich giftige Gase und Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) bilden können, bei Anwesenheit von Chlor aber auch Dioxine. Nur bei sauberster und kontrollierter Prozessführung kann dieser Technik überhaupt zugestimmt werden“ (2015, 5 u. vgl. Ullum 2016, 11).
  • Privatanlagen werden i.d.R. nicht die für einen ‚sauberen‘ Prozess notwendige Temperatur erreichen (vgl. 2015, 6), womit hier insgesamt schon überdeutlich anklingt, dass das Verfahren für eine globale Nutzung zur Reduktion von CO2 nicht taugt.
  • Die für umwelteffizientes Verfahren notwendigen hohen Temperaturen werden ohne weitere (die Ökobilanz schmälernde) Energiezugabe nur erreicht, wenn Hartholz mindestens Teil des Ausgangsmaterials ist1, sodass im Einklang mit der deutschen Düngemittelverordnung (DüMV) derzeit nur Pflanzen- bzw. Holzkohle z.B. aus Stark- und Kernholz zugelassen ist (vgl. Solokow 2019).
  • Ohnehin scheint es (die Temperaturfrage und DüMV mal beiseitelassend) viel zu wenig Ausgangsmaterial zu geben, um z.B. in Deutschland durch eine umfangreiche Terra Preta-Produktion CO2-Budget-relevant Kohlenstoff in den Boden einzutragen (vgl. Solokow 2019).
    • Der BUND schließt viele von Befürwort*innen vorschlagende Ausgangsmaterialien2 aus und argumentiert, dass diese bei einer Betrachtung des Gesamtsystems ‚Natur‘ auf andere Weise vorteilhafter verwertet/genutzt werden können. So werden „Getreidestroh und andere Ernterückstände (Kartoffelkraut und Rübenblätter) … wie andere als Grundlage für den Humusaufbau gebraucht…, Waldrest- und Schwachholz sollten aus dem gleichen Grund im Wald verbleiben, Grünschnitt aus Kompensationsflächen sollte nur bei gewollter Verhagerung entfernt werden… Selbst bei Nutzung all dieser [vom BUND als möglich erachteten] Ressourcen ließ sich tatsächlich nur 1 bis ca. 3% der [für den Klimabeitrag] benötigten Biokohle herstellen“ (2015, 8).
    • Der BUND sieht im Bereich organischer Abfallstoffe wie „Klärschlamm und Abfälle aus Gewerbe und Industrie“ (ebd.) des Weiteren die „große Gefahr kriminellen Missbrauchs, wie er jetzt schon im Abfallbereich nicht selten ist“ (ebd., 6), sodass das Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) und die Düngemittelverordnung (DüMV) hier mit gutem Grund zurzeit nur „den Einsatz von Holzkohle … im Kultursubstrat zur Pflanzenanzucht oder als Träger für Düngemittel“ (ebd., 7). Und das Ausgangsmaterial dieser Holzkohle ist reguliert und hat derzeit zugunsten des Bodenschutzes – wie die Wortwahl schon zeigt – aus Holz zu bestehen. Würde Pflanzenkohle lukrativ und stark nachgefragt, bestünde die Gefahr, dass ungeeignetes, anders umweltgerechter zu verwendendes sowie extra angebautes Ausgangsmaterial (‚Anbaubiomasse‘) zum Einsatz käme (vgl. ebd., 5). Der regulative Aufwänd würde entsprechend hoch ausfallen.

Und:

  • „Ginge es nur um den Klimaeffekt der Pyrolysekohle, so ließen sich holzige Abfälle stattdessen besser in effizienten KWK-[Kraftwärmekopplungs]Anlagen zum Ersatz von fossilen Brennstoffen verstromen“ (ebd., 13).
  • Das Fazit des BUND lautet deshalb, dass es durchaus weiterhin Forschungsbedarf gebe, [a]ber zum jetzigen Zeitpunkt … eine breite Anwendung nicht empfehlenswert [ist:] Die möglichen positiven Effekte als Kohlenstoffsenke können die genannten Risiken nicht kompensieren“ (ebd., 14-15).
Details: Erläuterungen zu (1) und (2)

1 Auch bei niedrigeren Temperaturen kann man Terra Preta herstellen, wie es eben auch den historischen Produzent*innen gelang – aber das geschah in einer leeren Welt und es war seinerzeit auch nicht das Ziel, das Verfahren umweltgewinnend als CO2-Senke einzusetzen. In unserer ‚vollen‘ Welt hingegen haben wir aufzupassen, dass wir uns nicht durch die Hintertür einer zunächst vielversprechenden ‚Neu’erfindung andere neue Probleme schaffen.

2 Zur Verwertung werden pflanzliche Abfälle vorgeschlagen wie bspw. Laub, Hecken- und Grünschnitt, Getreidespreu „sowie anderer [eher trockene, nährstoffarme] Rest-Biomassen z.B. aus der Lebensmittelindustrie“ (Fachverband Pflanzenkohle 2020a). Seit Januar 2020 ist Pflanzenkohle im EU-Bioanbau zugelassen (vgl. Fachverband Pflanzenkohle 2020b).


Somit ergibt sich m.E. das Gesamtbild, dass die Herstellung von Terra Preta zwar eine sehr hoch zu bewertende historische Leistung ist und isoliert für sich genommen und theoretisch betrachtet eine Kohlenstoffsenke sein kann, aber alles in allem insbesondere an den Realitäten ‚zu wenig Ausgangsmaterial‘, ‚zu komplexer Produktionsprozess‘, ‚zu hoher Regulierungs- und Kontrollaufwand‘ nicht wirklich sinnvoll ist.

  • Hier spielen ein weiteres Mal auch mögliche Rebound-Effekte (vgl. S. 257), hinein. Für jeden Produktionsprozess bedarf es erheblicher, zu bauender Infrastruktur. All das Ausgangsmaterial hat modellhaft ausgedrückt beschafft, transportiert, gelagert, auf Schadstoffe geprüft, aufbereitet, zwischengelagert, ein weiteres Mal transportiert und erneut gelagert zu werden. Einfach erscheinende Lösungen, die auch mal suggerieren, eine Verhaltensänderung des Menschen in der Biodiversitäts- und Klimakrise sei gar nicht notwendig, scheitern oftmals an diesem simplen Punkt, nämlich, dass der Gesamtenergiebedarf der ‚einfachen Lösung‘ übersehen wird. Letztlich führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass nur ein absolutes ‚Weniger‘ in allen Lebensbereichen wirklich weiterhilft
…mehr

Im Juli 2020 berichtet der Spiegel über eine Studie zu einem weiteren Verfahren, mit dem möglicherweise Kohlendioxid durch Einbringung von Stoffen in die Felder aus der Atmosphäre gezogen werden könnte: Enhanced Rock Weathering (ERW), also die ‚Beschleunigte Gesteinsverwitterung‘. Hier möchte man sich zunutze machen, was ohnehin Gebirgen relevant mit Basaltgestein geschieht: Es verwittert CO2-bindend zu Karbonaten. Der ohnehin beim Bergbau abgetragene und als in der Zement- und Stahlproduktion übrigbleibende Basalt soll demnach zerkleinert als Steinstaub in großem Maßstab auf Felder aufgebracht werden und zugleich einen nährstoffsteigernden Effekt haben. Bei nachfolgender Einspülung ins Meer wirke es der Versauerung entgegen. Die Studie spricht von 2 Mrd. t CO2; eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) sprachen schon vor zwei Jahren von 5 Mrd. t CO2 (vgl. Götze 2020). Wie bei Terra Preta klingt das erst mal vielversprechend. Bis man sich klar macht, wie viel Energie und Kontrollen notwendig sind, bis das Zeug auf den Feldern gelandet ist. Dann sind wir wieder beim: Rebound.


Der BUND gibt ergänzend zu bedenken, dass die Einbringung von Terra Preta nur bei ökologischer, humusaufbauender Agrarkultur angezeigt ist, weil eben nur sie diesen humusaufbauenden Prozess stützt und bei konventionell-industrieller Stickstoffdüngung keinen Sinn macht (vgl. ebd., 10) – was bedeutet, dass in Deutschland derzeit überhaupt nur 6% der Feldflächen in Frage kämen (vgl. ebd.).

Und dieser Aspekt bzw. dieser Gedanke führt uns zurück zu dem allgemeineren Thema ‚Humusaufbauende Agrarkultur‘, welche eben ja auch unabhängig von Terra Preta erheblich zur Kohlenstoffbindung im Boden beiträgt – und eben auf 94% der Felder noch gar nicht als Kohlenstoffsenke genutzt wird. Hier liegt ein unglaublich hoher Mehrwert, der einen speziellen, aufwändigen Produktionsprozess wie bei Terra Preta gar nicht benötigt:


Humusaufbau als große CO2-Senke

„Ein Humusaufbau von nur einem Prozentpunkt auf diesen [bisher global als Acker- und Weideland genutzten, zurzeit etwa durchschnittlich 2% Humus enthaltenen] Flächen könnte 500 Gigatonnen CO2 oder 135 Gigatonnen Kohlenstoff aus der Atmosphäre holen, was einer Reduzierung von 64 ppm (parts per million) entspräche. Das brächte den heutigen CO2-Gehalt in der Atmosphäre auf weitgehend ungefährliche 336 ppm. Steigen die Emissionen allerdings weiter auf 550 ppm an und sollen dann auf das vorindustrielle Niveau von 280 ppm zurückgebracht werden, müsste der Humusanteil in den globalen Böden im Extremfall auf gut vier Prozent gesteigert werden – höchst anspruchsvoll, aber auch nicht völlig unmöglich“ (Scheub/Schwarzer 2017, 63, vgl. ebd., 65).

Generell ist das so unmöglich nicht:

Wichtig dazu ist zu wissen, dass die globalen Böden ohnehin und derzeit etwa 2 bis 3 Mal so viel Kohlenstoff enthalten wie die gesamte Atmosphäre (vgl. 4p1000, 2015a).

Und:

Scheub/Schwarzer weisen darauf hin, dass ein Geologe im Südosten Australiens Mitte des 19. Jahrhunderts Böden auf ihren Kohlenstoffgehalt hin untersuchte:

  • „Die zehn produktivsten Böden wiesen Niveaus an organischer Substanz zwischen 11% und 37,75% auf. Die zehn am wenigsten produktiven Böden bewegten sich zwischen 2,2% und 5%. Heutzutage gilt jeder landwirtschaftlicher Boden mit einem Anteil von 5% als extrem reich“ (2017, 65).

Womit überaus deutlich angedeutet ist, wo die Menschheit heute steht in Sachen Bodendegration – und was eigentlich möglich wäre.

Scheub/Schwarzer bieten hier also – ähnlich wie die Verfechter*innen einer umfassenden globalen Aufforstung – eine umfassende Lösung an, wie der Atmosphäre mittelfristig riesige Mengen CO2 entzogen und gleichzeitig die erodierten Böden dieser Welt zugunsten der Ernährungssicherheit der Menschheit regeneriert werden könnten. Bei allem hier verlautbarten Optimismus wird es niemals die eine Lösung sein, die die Klimaherausforderung meistert. Was hier jedoch definitiv abzulesen ist, dass Humus-Aufbau eine scharfe Waffe ist, die wir Menschen nutzen können, um einen wichtigen großen Schritt nach vorn zu kommen.

Wichtig ist dabei herauszustellen, dass uns ein solches Vorgehen lediglich Zeit verschafft, um unsere ölgetränkte Fossilwirtschaft umzustellen, denn der Humusboden nimmt ja nicht künftig noch mehr und noch mehr CO2 auf. Wir können vereinfacht ausgedrückt einmal eine relevante Menge CO2 in die Böden bringen und den so gesättigten Boden weiterhin pflegen. Aber eine Klimaneutralität ist allemal trotzdem – und zwar sehr schnell – erforderlich.

Die ‚4 per 1000‘-Initiative rechnet derweil auf dem Boden der eher konservativen Angaben des IPCC vor, dass ein jährlicher Humusaufbau von 4 Promille, d.h. 0,4%, ausreichen würde, um bei Umsetzung entsprechender Maßnahmen – die neben Bodenregeneration durch die Nutzung von Kompost z.B. auch Wiederaufforstung und Bäumepflanzen beinhalten –, umgehend alle jährlich hinzukommenden CO2-Emissionen wieder aus der Atmosphäre zu ziehen (vgl. 4p1000, 2015 u. 2018).

Details

Der IPCC geht laut Scheub/Schwarzer von einen globalen jährlichen Kohlenstoff-Speicherpotenzial von 0,8-1,2 Gt aus, FAO von 3 Gt, Rattan Kal von der Uni Ohio von 2,5-5 Gt (vgl. 2017, 69).

Wenn also der „zertifizierte Ökoanteil der Landwirtschaft [in Europa] bei 5,7 Prozent [liegt]“ (Scheub/Schwarzer 2017, 113), in Deutschland bei 6,5 (vgl. ebd.), dann bedeutet das, dass allein durch die Umstellung von konventionell auf Kompost riesige Mengen an CO2 in den Boden gebracht werden könnten:

Scheub/Schwarzer weisen darauf hin, dass man „[m]it Leguminosen … etwa 2 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr speichern, mit organischem Dünger etwa 3,5 Tonnen, mit Kompost 8,2“ (2017, 113).

Es folgt:

  • „Weltweit könnten durch klimaschonende Verfahren im Ackerbau und bei der Tierhaltung laut IPCC langfristig 2,3 bis 9,6 Milliarden Tonnen Treibhausgase pro Jahr gespart werden“ (Berkel 2019).

Davon sind wir weit entfernt.

Absurd ist, dass mit Terra Preta, Steinstaub etc. immer wieder neue Methoden vorgeschlagen werden. Es liegt viel näher, einfach durch eine umfassende Agrarwende den Stickstoff aus der Rechnung zu nehmen.

  • Nicht nur würden diese Emissionen verschwinden, sondern gleichzeitig würden die regenerativen Methoden aktiv Kohlenstoff in die Erde bringen. Und diese Form der Kohlenstoffbindung im Grunde ist genommen nichts anderes als natürliche negative Emissionen – etwas was in diesen Zeiten sehr erstrebenswert ist.


Es gibt weitere Argumente, auf regenerative/bodenbewahrende Agrarkultur zu setzen und das System ‚konventionelle Landwirtschaft‘ auf den Kopf zu stellen:


Konventionelle Landwirtschaft & Artenvielfalt

„Schädlinge profitieren von großen Monokulturen und davon, dass die immer gleichen Pflanzen auf dem Acker stehen. Eine Diversifizierung mit vielen Kulturarten, langen Fruchtfolgen und kleinen Feldern hilft, die Vielfalt der Insekten zu erhalten und damit ein für die Landwirtschaft günstigeres Gleichgewicht zwischen Schädlingen und Nützlingen sicherzustellen“ (Tscharntke 2020, 13).

Umgekehrt bedeutet das:

„Die Vielfalt an Insekten in Agrarlandschaften ist immer dann besonders hoch, wenn viele kleine Felder mit unterschiedlicher Nutzung aneinandergrenzen“ (Scherber 2020, 27).

  • „Eine in Deutschland erstellte Metastudie aus vielen Einzeluntersuchungen weist nach, dass auf ökologisch bewirtschafteten Flächen 23 Prozent mehr blütenbesuchende Insektenarten vorkommen als auf konventionellen Flächen. Es gibt im Mittel 30 Prozent mehr Wildbienen- und 18 Prozent mehr Tagfalterarten. Nicht nur die Vielfalt der Insekten ist beim ökologischen Landbau besser, auch ihre Anzahl erhöht sich: Im Durchschnitt sind 26 Prozent mehr Blütenbesucher auf den Bioflächen vorhanden, und die Anzahl der Tagfalter ist sogar um fast 60 Prozent erhöht. Ein häufig genutzter Indikator für Biodiversität und Insekten sind Feldvögel. Auf Ökoflächen finden sich 35 Prozent mehr Arten, die dort zudem um 24 Prozent häufiger vorkommen“ (Wenz 2020, 40).

Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung, Olaf Brandt vom Nabu und Barbara Bauer von Le monde diplomatique fassen zusammen:

  • „Insektenschutz zahlen wir nicht an der Ladenkasse. Die Bäuerinnen und Bauern bekommen ihn nicht entlohnt. Genau das muss aber passieren – am besten in dem die EU die fast 60 Milliarden Euro jährlich, mit denen sie die europäische Landwirtschaft unterstützt, zielgerichtet für eine Insekten- und klimafreundliche Landwirtschaft einsetzt“ (Unmüßig et al. 2020, 7).

Status quo der EU-Förderprinzipien für die industrielle Landwirtschaft

Zurzeit läuft die Landwirtschaftsförderung der EU nach dem Flächenprinzip: „Wer viel Fläche hat, bekommt viel Geld. Sie[, die EU,] formuliert weder konkrete Ziele für den Arten- und Klimaschutz, noch verpflichtet sie die Mitgliedsstaaten, einen bestimmten Anteil der Agrarförderung für ökologische Ziele einzusetzen“ (Bender 2020, 37).

Die finanziellen Mittel der der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) betragen fast 60 Milliarden pro Jahr. „Das Geld wird pro Hektar Fläche vergeben. Die größten Betriebe bekommen das meiste, während Programm für den Erhalt kleiner Bauernhöfe völlig unterfinanziert sind“ (Unmüßig et al. 2019, 6): „Im Jahr 2016 erhielten… rund 1 Prozent aller Betriebe rund 20 Prozent der Direktzahlungen“ (Schmid/Häger 2019, 20).

  • „70 Prozent der EU-Gelder werden pro Hektar ohne weitreichende Auflagen ausgegeben. Wer viel Land bewirtschaftet, bekommt viel Geld“ (Agrar-Atlas 2019, 8).
  • „Auf der anderen Seite machen kleine Höfe mit weniger als zehn Hektar und einer zumeist vielfältigen Produktion rund 80 Prozent aller Agrarbetriebe in der EU aus. Doch sie nehmen nur zehn Prozent der verfügbaren Landes in Anspruch“ (Becheva/Rioufol 2019, 18).
  • „In der EU haben zwischen 2003 und 2013 ein Drittel aller Bauernhöfe aufgegeben. Heute bewirtschaften 3,1 Prozent aller Betriebe mehr als die Hälfte des Agrarlandes“ (Agrar-Atlas 2019, 9).
  • „[I]m Jahr 2013 [wurden] mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen in der Europäischen Union von nur 3,1 Prozent der Betriebe genutzt, während, drei Viertel von ihnen mit nur 11 Prozent der Fläche auskommen musste… In vielen EU-Staaten werden [die entscheidenden] Direktzahlungen … nur an Betriebe mit mindestens einem Hektar Anbaufläche ausgezahlt. Das macht Millionen Betriebe, die kleiner sind, praktisch ‚unsichtbar‘. Ohne Beihilfen oder andere Unterstützung bleibt ihnen nur die Wahl, den Betrieb zu verkaufen oder aufzugeben. Auf diese Weise ist beispielsweise in Bulgarien die Produktion von Gemüse und Fleisch, die auf kleiner Fläche erfolgreiche funktionierte, zurückgegangen und machte Getreidemonokulturen Platz“ (Bîrhala 2019, 24-25).


Eine neue im Sommer 2020 veröffentlichte Studie zeigt ein weiteres Mal, wie wenig die bisherige EU-Agrarpolitik geeignet ist, die bisherige Landwirtschrift zukunftsfähig zu machen:

  • „Von den 54 Milliarden Euro Subventionen, die jedes Jahr an die Landwirte überwiesen wurden, waren demnach nur vier Prozent ausdrücklich für klima- und umweltfreundliche Produktionsmethoden vorgesehen“ (Finke/Liebrich 2020).


Auf dem Papier gibt es in der EU durchaus Regelungen, die den Einsatz von Pestiziden und Bodenerosion reduzieren sollen. So verlangt die EU seit 2015 zur Vermeidung von großflächigen Monokulturen, „dass Betriebe mit einer Ackerfläche von mehr als zehn Hektar mindestens zwei, ab 30 Hektar mindestens drei Fruchtarten anbauen müssen… [Soweit ein Schritt in die richtige Richtung, doch hält d]as deutsche Umweltbundesamt … diese Vorschrift für wirkungslos. Denn die EU hat ein Schlupfloch eingebaut: Auf 75 Prozent der Flächen eines Betriebs gilt diese Regel nicht. Dort werden Monokulturen geduldet“ (Neumeister 2019, 30).

Gerne beruft man sich dann darauf, dass man als Einzelstaat nicht gegen die Vorgaben aus Brüssel handeln könne. Nun, Dänemark kann. Wie sooft ist das Land Vorbild, in diesem Fall mit einer Pestizidsteuer:

  • „Sie hat dazu beigetragen, dass sich der Pestizideinsatz zwischen 2013 und 2015 halbiert hat, und sie führte zu Einnahmen von 70 Millionen Euro jährlich, mit denen dänische Bauern und Bäuerinnen für geringere Erträge entschädigt wurden“ (Chemnitz 2020, 38).

Update Juli 2020:

Die GAP wird alle sieben Jahre neugefasst: Derzeit wird für den Zeitraum ab 2021 verhandelt. Deutschland hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und könnte daher die Federführung übernehmen, um in der Schlussverhandlungsphase eine nachhaltigere Landwirtschaft zu befördern:

  • „Rund 387 Milliarden Euro wollen die EU-Staaten bis 2027 bereitstellen, um die Landwirtschaft zu fördern. Das ist ein Drittel des gesamten EU-Haushalts. Das Geld könnte auch dafür genutzt werden, den Klimawandel zu bekämpfen. Für keine andere Branche steht ein derart mächtiges [Klima-]Steuerungsinstrument zur Verfügung“ (Schaible 2020).

Tilman von Samson, FFF, kommentiert die Verhandlungen zum GAP wie folgt:

  • „Man muss sich klarmachen, dass die GAP eine Klimaentscheidung ist – wahrscheinlich eine der größten des Jahrzehnts“ (zit. ebd.).

Nach Ansicht von 3.600 Wissenschaftler*innen geht der grundlegende, die Verhandlungen massiv beeinflussende

  • „Vorschlag der Europäischen Kommission für den Zeitraum nach 2020 … nur unzureichend auf Umweltprobleme und auf Herausforderungen der Nachhaltigkeit ein … und führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem ‚Business-as-usual-Szenario‘“ (Nabu 2020, 2).

Fazit Bodenbewahrende Agrarkultur vs. konventionelle industrielle Landwirtschaft

Gegen Bio wird gern eingewendet, die Produktion sei teuer. Sie ist fraglos arbeitsintensiver – ergo: Sie schafft mehr Arbeitsplätze. Bio ist auch deshalb weniger billig, weil keine (bzw. entscheidend weniger) Kosten externalisiert werden. Die Preise sind folglich: realistisch. Würde Bio zum Standard, würde die Massenproduktion kostenreduzierend wirken. Auch würde der Kostenaufwand der Zertifizierung entfallen.

Eine globale bodenbewahrende Agrarkultur mit einer Tierwohl-orientierten und in diesem Sinne begrenzten Tierhaltung besitzt folgende vorteilhafte Eigenschaften:

Keine statt sehr hohe Lachgasemissionen | Wesentlich weniger Methan-Emissionen | CO2-bindender Humus-Aufbau mit relevanten, zeitverschaffenden globalen CO2-Emissions-Reduktionen | Bewahrung/Verbesserung der Trinkwasserqualität | Zukunftssicherung von lebendigen Böden zugunsten globaler Ernährungssicherheit | Regenerierung von Böden, die komplett erodiert waren – auch in wüstenähnlichen Gegenden; wirkt der Desertifikation entgegen, daher massiver Beitrag zu Klimagerechtigkeit | In diesem Sinne auch Konflikt-vermeidend und somit friedensstiftend | Mehr Tierwohl (auch im Boden!) | Weniger/keine Pestizide, kein Glyphosat, d.h. gesündere Produkte | Starker Beitrag zur Reduzierung des begonnenen sechsten Massenaussterbens

insbesondere hinsichtlich Insekten und Vögel | keine Handbestäubung, keine Roboterbienen1 | kleinere Höfe, mehr Selbstbestimmung, weniger Kapital- und Konzernlogik, weniger Abhängigkeit von dem Geschäftsgebaren von Großunternehmen, teilweise regionalere Lieferketten | keine Hybridpflanzen2, daher keine Abhängigkeit von Saatgutunternehmen | keine Gen-Technik | Weniger Landgrabbing, weniger Vertriebene | Regenwalderhaltung | Global viel mehr Arbeitsplätze


Diese Liste ist zweifellos ebenso lang wie beeindruckend – was also steht einer hinsichtlich Mensch, Tier, Umwelt, Klima so vielfältig vorteilhaften und m.E. keine Nachteile mit sich bringenden bodenbewahrenden Agrarkultur im Wege?

Das Geld, wie es derzeit ‚funktioniert‘ | Der Finanzialismus, Shareholder Value, Aktionär*innen, Pensionsfonds, Agrarkultur entzieht sich ein stückweit der Quantifizierung und dem kurzfristigen Geschäft | Agrarchemie-/Landmaschinen/Saatgut-Großkonzerne bzw. Großkonzernlogik | Großgrundbesitzer*innen | Lobbyist*innen als Handlanger*innen | Korruption –

in einem Satz:

Das viele Geld der Wenigen.

Details: Erläuterungen zu (1) und (2)

1 Aspekt ‚Roboterbienen‘ vgl. Abschnitt Klimakrise als Chance, S. 455; Handbestäubung: In China, konkret in Hanyuan, einer hoch gelegenen Bergregion Sichuans und dort auf einige Dörfer eingegrenzt, wurden vornehmlich in den 1980er und 1990er Jahren Blüten mit der Hand bestäubt, „weil übermäßiger Pestizideinsatz den Bestand der Bestäuberinsekten stark reduziert hatte. Außerdem hatten viele Obstbauern selbststerile Apfelbäume, nicht aber die erforderlichen Apfelsorten für eine Kreuzbestäubung gepflanzt. 25 bis 30 Prozent solcher Kreuzbestäuber werden in einer Plantage gebraucht, in den betroffenen Dörfern gab es aber weniger als 10 Prozent… Inzwischen sei die Handbestäubung in Han­yuan aufgrund stark gestiegener Löhne unrentabel und weitgehend eingestellt worden… Die Zahl der Bienenvölker ist in China in den vergangenen 50 Jahren kontinuierlich von 3,7 auf über 9 Millionen angestiegen“ (Asendorpf 2018; vgl. Film-Doku ‚More Than Honey‘, in der dieser Vorfall offensichtlich nicht zutreffend ungleich dramatischer geschildert wird).

2 Hybridpflanzen sind ‚Einwegpflanzen‘, gehen aus Hybridsaatgut hervor, welches durch Kreuzung zweier genetisch deutlich unterschiedlicher Inzuchtlinien, die über mehrere Generationen auf bestimmte Eigenschaften zielend gezüchtet werden, entstanden ist und sozusagen dann ‚best of both worlds‘ beinhaltet. Die so entstandenen Pflanzen bzw. Feldfrüchte gelten als größer und widerstandsfähiger (‚Heterosis-Effekt‘). Hybridsorten sind oftmals nicht saatfest. Selbst wenn sie nicht steril sind, weist die Folgegeneration nicht mehr stabil die optimalen Eigenschaften der Hybridgeneration auf. Daher hat das Saatgut Jahr für Jahr neu erworben zu werden – was Abhängigkeiten schafft und gerade auf globaler Ebene äußerst problematisch sein kann. Der Übergang zwischen ‚Züchtung‘ und ‚Gentechnik‘ ist bei Hybridsorten heute als fließend zu bezeichnen, vgl. die in der EU als nicht gentechnisch verändert geltenden sog. CMS-Hybride, d.h. Hybride mit cytoplasmatischer männlicher Sterilität (vgl. Pflanzen.Forschung.Ethik 2017, Pflanzenforschung 2020, Ländle o.J., Gartenrevue o.J., Heistinger o.J., transgen 2013). Bei „Mais und Roggen … haben sich Hybridsorten weitgehend durchgesetzt. Bei Zuckerrübe, Raps oder Sonnenblumen sind sie weit verbreitet, ebenso wie [bei] Tomaten, Brokkoli oder Rosenkohl. In Deutschland wird der Anteil der Hybridsorten bei den gängigen Gemüsesorten auf etwa 70 Prozent geschätzt“ (Pflanzen. Forschung. Ethik 2017). Die Agrarwissenschaftlerin Andrea Heistinger ergänzt: „In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil von Hybridsorten rasant gestiegen. Zum Beispiel liegen bei Tomate, Paprika oder Chinakohl die Anteile mittlerweile bei rund 80 Prozent Hybridsorten. Mit dem Aufkommen der Hybride wurden viele samenfeste Sorten vom Markt genommen… [Kein Wunder:] Etwa 95 Prozent des EU-[Saatgut-]Marktes liegen in den Händen von nur fünf Unternehmen“ (o.J.). | Kurz sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass „Pink Lady … der Name eines Apfels [ist], der zur globalen Marke wurde. Während Sorten wie Braeburn oder Boskop von jedermann angebaut werden dürfen, kontrollieren die Inhaber der Pink-Lady [-Sorten-und-Marken]-Rechte die gesamte Wertschöpfungskette“ (Fulterer 2020, 27). „Wer sie anbaut, unterwirft sich totaler Kontrolle“ (ebd.). Da für diesen ‚Premiumapfel‘ höhere Marktpreise üblich sind, erwirtschaften die anbauenden Betriebe mehr, zahlen allerdings auch hohe Preise für die Bäume sowie auf Grundlage der Erntemenge rund 5% Lizenzgebühr (vgl. ebd.).


Quellen des Abschnitts Bodenbewahrende Agrarkultur vs. konventionelle industrielle Landwirtschaft



Zu viele Tiere auf zu wenig Raum >> Trinkwasserschädigung durch Nitrat

Nitratbelastung des Trinkwassers

Stephan Schumüller, Chef des Wasserverbands Garbsen-Neustadt:

  • „Nitrat im Wasser … [können] Sie … weder sehen noch schmecken“ (Jüttner 2019, 34).

Stickstoff als Dünger: Aus Stickstoffüberschüssen (=Überdüngung) wird Nitrat.

  • Gülle und Kunstdünger sorgen durch den hier enthaltenen Stickstoff für besseres Pflanzenwachstum und reichere Ernten.
  • Alles, was die so gedüngten Pflanzen nicht aufnehmen, geht ins Trinkwasser bzw. geht via Auswaschung/Regenwasser in Gewässer, Bäche und Flüsse.
  • Alle mit Stickstoff versorgten Pflanzen wachsen ‚besser‘ – also auch
    • die zwangsweise gedüngten Bäume, die durch unnatürlich verstärktes Wachstum anfälliger werden und
    • die Algen in Gewässern. (Es entstehen großflächige Algenblüten, deren Zersetzung dem Gewässer Sauerstoff entzieht, der dann anderen Lebewesen des Meeres nicht mehr zur Verfügung steht. Der Prozess nennt sich Eutrophisierung – es entstehen aufgrund des Sauerstoffmangels Totzonen in Ozeanen (s.a. Abschnitt Massenaussterben | Biodiversitätsverlust, S. 669ff., vgl. Jüttner 2019, 34 u. UBA 2010).


Auch für den Menschen ist Nitrat unmittelbar schädlich:

  • „Menschen sollten möglichst wenig Nitrat aufnehmen, weil es im Körper in Nitrit und Nitrosamine umgewandelt werden kann, Stoffe, die als krebserregend gelten“ (Jüttner 2019, 34).


Nitratentfernungsanlagen sind sehr teuer1, sowohl einzeln als auch hochgerechnet auf den potenziellen Bedarf an solchen Anlagen in Deutschland – wesentlich sinnvoller und zudem günstiger ist es, das Problem an der Wurzel zu packen und noch punktgenauer und letztlich eben deutlich weniger mit Gülle und Kunstdünger zu düngen (vgl. ebd., 35).

Details: Nitratentfernungsanlagen

In Frankreich investieren die Wasserwerke mit Stand 2011 jährlich 1,5 Mrd. Euro, „um die Grenzwerte für Pestizide und Nitrat einhalten zu können“ (Löwenstein 2015), was die Verbraucher*innen über den Wasserpreis bezahlen, „obwohl die Landwirtschaft den Schaden verursacht hat“ (ebd.). Die Reinigung des gesamten Grundwasserreservoirs Frankreichs würde 50 Mrd. Euro kosten. „Das entspricht der Bruttowertschöpfung der französischen Landwirtschaft eines ganzen Jahres. …Die Schäden, die zum Beispiel mit der Muschelzucht verursacht werden oder durch den Verlust an Tier- und Pflanzenarten, kommen oben drauf. Außerdem erleidet der Tourismus Einbußen durch die Algenplage, es gibt gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Pestizide in der Luft und in der Nahrung“ (ebd.).

  • Es ist explizit herauszustellen, dass das Nitrat-Problem ausschließlich durch
  • konventionell-industrielle Landwirtschaft inkl. Massentierhaltung bzw.
  • die Agrarpolitik und der Art der Ausgestaltung von Subventionen z.B. von EU und Deutschland

verursacht wird.


Eine Nuance entschärft werden diese Aussagen durch folgenden Hinweis:

  • „Allerdings nehmen Menschen schätzungsweise [derzeit] nur ein Viertel der täglichen Nitratmenge aus Trinkwasser auf. Größere Mengen stecken in Gemüse und Salat“ (ebd., 36).

Ein Viertel ist ein Viertel – und diese Aussage ändert nichts daran, dass wir das Grundnahrungsmittel ‚Trinkwasser‘ möglichst sauber von Nitrat und Pestiziden zu halten haben.

  • Das sieht auch die EU-Kommission so, die alles andere als zufrieden mit dem Zustand des Trinkwassers in Deutschland bzw. der hiesigen Düngepraxis ist. In der Folge hatte die EU-Kommission Deutschland am Europäischen Gerichtshof verklagt. Das Urteil erging 2018. Somit lagen hohe Strafzahlungen in der Höhe von täglich 850.000 Euro an die EU in der Luft. Diese wurden nun durch die Neuregelung des Düngerechts, welches etwas strengere Dünge-Auflagen vorsieht ohne das grundlegende Problem anzugehen, abgewendet (vgl. Spiegel 2020).


Das Schlusswort gehört hier Michael Kopatz:

  • „Viele Wasserwerke sind inzwischen dazu übergegangen, gutes mit schlechtem Wasser zu vermischen, um Grenzwerte einzuhalten. … Gegenwärtig fördern die Wasserwerke teilweise schon 150 Jahre altes, unbelastetes Wasser, um das Nitratproblem in den Griff zu bekommen“ (2016, 84).

Quellen des Abschnitts Zu viele Tiere auf zu wenig Raum >> Trinkwasserschädigung durch Nitrat



„Wir sind Soja-Junkies – und haben es gar nicht gemerkt.“ (Asendorpf 2018)

Landwirtschaft global: Der destruktive Kreislauf rund um die Fleischindustrie

Globaler Kreislauf Station 1:
Tierfutter-Produktion in (Süd-)Amerika.

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen auf der internationalen Agrar-Konferenz Hunger auf Veränderung 2016:

  • „Wir nehmen allein in Südamerika als Bundesrepublik Deutschland eine Ackerfläche von der Größe von Mecklenburg-Vorpommern in Anspruch, um die Tierfabrik (mit jährlichen 800 Mio Schlachttieren) in Deutschland am Laufen zu halten“ (Hofreiter 2016).

Bei diesem Tierfutter handelt es sich i.d.R. um Soja. Genauer: Um Gen-Pflanzen, deren Saatgut patentiert ist, also jährlich neu gekauft werden muss – und zwar vom gleichen Unternehmen, dass auch das ‚passende‘ Unkrautvernichtungsmittel bereithält: Die Pflanzen sind resistent gegen Glyphosat, das z.B. unter dem Markennamen ‚Roundup‘ von Bayer/Monsanto hergestellt wird.

  • Soja „bringt es … [in Brasilien] auf zwei Ernten pro Jahr, im kälteren Europa höchstens auf eine“ (Asendorpf 2018).
  • „Heute liegt der Anteil transgener Soja in allen Hauptanbaugebieten über 90 Prozent“ (ebd.).


Mit anderen Worten: Die heilige Kuh namens ‚keine Gen-veränderten Lebensmittel‘ ist zwar nach wie vor einen Aufreger wert – aber was die angeblich Gentechnik-freien Kühe gegessen haben, interessiert dann doch keine Sau.

  • Für den immer größer werdenden Bedarf an Tierfutter wird in Südamerika weiterhin und umfassend Regenwald gerodet (vgl. Aspekt Fleisch & Treibhausgase, S. 549f.).
    • Ein Fleischstück ist ein Stück Regenwald.
    • Umweltschützer*innen werden nicht selten umgebracht. Mindestens 212 wurde allein im Jahre 2019 getötet (vgl. SZ 2020). „Die meisten Morde an Umweltaktivisten wurden dem Bericht zufolge in Kolumbien (64), den Philippinen (43) und Brasilien (24) verübt … Besonders häufig hatten sich die getöteten Aktivisten gegen umweltschädlichen Bergbau (50), Landwirtschaft (34) und Forstwirtschaft (24) eingesetzt“ (SZ 2020).
    • Indigene und ‚kleine‘ Bauern werden von ihren seit Generationen bestellten Feldern vertrieben und um ihre Existenz gebracht, arbeiten des Öfteren nun auf ihren ehemaligen Feldern für einen Hungerlohn – und tatsächlich, viele hungern (vgl. Doku ‚We Feed The World‘ von Erwin Wagenhofer, 2005 – und
    • der brasilianische Bundesstaat „Mato Grosso“ muss sich eigentlich einen neuen Namen suchen, denn „Großer Wald“ trifft nicht mehr zu, mehr noch, „[h]eute ist der Bundesstaat fast gänzlich entwaldet“ (Franzen/Aders 2020, 9).
    • Fläche Sonja-Anbau in Brasilien: 1990 = 11 Mio Hektar | 2018 36 Mio Hektar (vgl. Santos 2020, 20)
    • USA, Argentinien und Brasilien = 80% der globalen Sojaproduktion (vgl. ebd.)


>> Alles hängt mit allem zusammen:
„[F]ür neues Weideland oder Futtermittelanbau Wald [wird] gerodet oder Grünland zu Ackerland umgebrochen … So schwinden die Lebensräume der Insekten“ (Santos 2020, 20).


Interessanterweise werden zumindest Rinder in Deutschland seit einigen Jahren zu einem großen Teil nicht mehr mit Soja, sondern mit billigem Rapskuchen gefüttert. Das ist der eiweißhaltige Rest, der von Raps bleibt, wenn man ihn für den Biodiesel ausgepresst hat. Eine merkwürdige Entwicklung, zu der die ‚Beimischungspflicht von Pflanzenöl bei Dieselkraftstoff‘ geführt hat. Diesen Rapskuchen zu verfüttern ist nicht nur billig, sondern erhöht den Wert des Rindfleisch- und Milchproduktes, weil man es als in jeder Hinsicht Gentechnik-frei verkaufen kann (vgl. Asendorpf 2018).


Station 2:
Jungtier-Import

Z.B. kommen Ferkel aus Dänemark und den Niederlanden, die die Zucht optimiert haben (vgl. Asendorpf 2018).


Das Futter kommt über den Atlantik, die Jungtiere aus Nachbarländern – es folgt:


Station 3:
Die Tiermast erfolgt in Deutschland

Die Gülle fällt hier an. Gülle ist organischer Dünger, der Stickstoff enthält.

  • Stickstoff in der Landwirtschaft
  • „Pflanzen brauchen Stickstoff, um Eiweiß zu bilden. In der Luft ist Stickstoff zwar reichlich vorhanden, doch die meisten Pflanzen können diesen Luftstickstoff nicht direkt aufnehmen. Sie benötigen ihn in gebundener Form im Boden. Auf natürliche Weise werden diese Stickstoffverbindungen dort von Bakterien erzeugt. Eine intensive [konventionelle/industrielle] Landwirtschaft ist jedoch nur mit zusätzlichem Stickstoff aus Mineraldünger möglich. Der wiederum wird aus Erdgas gewonnen – aus sehr viel Erdgas. Fast fünf Prozent der globalen Erdgas-Produktion werden dafür verbraucht. Über 100 Millionen Tonnen Stickstoffdünger landen jährlich auf den Äckern der Welt“ (Asendorpf 2018, s.a. vertiefend Aspekt Stickstoffdüngung in der industriellen Landwirtschaft, S. 569f.).
  • Pflanzen (ver-)brauchen Stickstoff – mit der Ernte der Pflanzen entfernt man auch den aufgenommenen Stickstoff.
    • „Insgesamt jedoch liegt der Stickstoff-Eintrag jedes Jahr deutlich über dem Austrag, der Überschuss beträgt im Schnitt rund 100 Kilo pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche“ (Asendorpf 2018).
  • Und dieser Stickstoff bleibt nicht einfach ‚geduldig‘ bis zur nächsten Bepflanzung unverändert im Boden:

    Stickstoff
    • gast aus als Lachgas,
    • versickert,
    • wird ausgewaschen und
    • landet auf die eine oder andere Weise als Nitrat im Wasser.


Laut einer im November 2019 veröffentlichten Studie gelangt durch die genannte Überdüngung deutlich mehr Lachgas in die Atmosphäre als bisher angenommen.

  • „Demnach entwich zuletzt etwa 2,3 Prozent des eingesetzten Stickstoffs aus Dünger als Lachgas in die Atmosphäre. Der Weltklimarat IPCC rechnet in seinen Berichten mit einem Wert von 1,4 Prozent…. Die Studie erhöhe die Bedeutung der Lachgas-Emissionen aus der Landwirtschaft für den Klimaschutz, erklärt Fortunat Joos, Klimaexperte an der Universität Bern, der nicht an der Studie beteiligt war. ‚Die Ergebnisse legen nahe, dass die Lachgas-Emissionen aus Dünger in den nationalen Klimaberichten an die Uno rund 70 Prozent zu niedrig angesetzt sind‘“ (Merlot 2019).
  • Möglicherweise wird auch schlicht übersehen, dass „in jedem Kilogramm Soja[importfutter] … fast 30-mal mehr Stickstoff als in heimischem Mais [steckt]“ (Kopatz 2016, 83).


Das Fazit kann daher eigentlich nur lauten:

  • „Wir brauchen eine an die Fläche gebundene Tierhaltung, also nur noch so viele Tiere, wie eine Fläche vertragen kann“ (DUH 2019).


Zustand des Trinkwassers in Deutschland bzgl. Nitrat:

  • „Besonders gravierend ist die Situation … in Niedersachsen, dem Zentrum der deutschen Fleischindustrie. Gut zehn Millionen Schweine, 2,7 Millionen Rinder und über hundert Millionen Hähnchen, Hühner und Puten werden dort gehalten“ (Asendorpf 2018).
  • „Rund die Hälfte aller Grundwasser-Messstellen in Niedersachsen melden bereits Grenzwertüberschreitungen. Und die Böden sind immer weniger in der Lage, das Nitrat auf dem Weg bis ins Trinkwasser wieder abzubauen“ (ebd.).
  • „In Niedersachsen mit seiner Massentierhaltung sind nur noch 40 Prozent aller Grundwasserbrunnen ohne Nitratfilter nutzbar“ (Scheub/Schwarzer 2017, 37).
  • „36 Prozent der Grundwasserkörper unter allen Landnutzungen sind [in Deutschland] in einem schlechten chemischen Zustand. In Deutschland verfehlen knapp 74 Prozent dieser betroffenen Grundwasserkörper die Ziele wegen zu hoher Nitratkonzentrationen“ (BMU 2019).
  • „Hauptverursacher der hohen Nitratwerte ist die Landwirtschaft: durch Gülle und Gärreste aus Biogasanlagen, die auf Felder aufgebracht werden, und durch das Streuen von Kunstdünger“ (Jüttner 2019, 34).


Die Düngeverordnung sieht vor, dass – je nach Beschaffenheit des Bodens – lediglich eine jeweils definierte Menge Gülle (z.B. als Dünger) in den Boden gelassen werden darf – mit der Folge, dass es in den Worten von Renate Künast zu „Gülletourismus“ kommt, soll heißen, ein verkehrsintensiver Handel mit Gülle hat eingesetzt (vgl. Grefe/Theile 2019, 31). „[A]llein in den beiden Landkreisen Cloppenburg und Vechta [in der Region Oldenburg, die ‚Gülle-Gürtel‘ genannt wird, fielen mit Stand 2013] jährlich 7,4 Millionen Tonnen der Brühe an. Auf die Äcker darf aber [mit Stand 2013] nicht mal die Hälfte ausgebracht werden. Der Rest müsste in weniger belastete Regionen geschafft werden. Dazu braucht man wiederum 120.000 Tankwagenfuhren“ (Amann et al. 2013, 67).


Ich zweifle, dass es in diesen beiden Landkreisen jährlich 120.000 Tankwagenfuhren gibt. Und wenn es so wäre: Auch das wäre für sich genommen Wahnsinn.


Egon Harms, Leiter der Qualitätsüberwachung beim Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband:

  • „Es gibt ein großes Gülleproblem im oberflächennahen Grundwasser, das ist der Bereich bis etwa zehn Meter unter Geländeoberkante. Dort haben wir hohe Nitratbelastungen1. Die Trinkwassergewinnung, die findet in größeren Tiefen statt – zwischen 50 und 100 Meter unter Gelände. Und dort ist die Nitratbelastung noch so gering, dass wir einwandfreies Trinkwasser auch liefern können … [Was] wir nicht wissen: Macht der Untergrund das noch in zehn Jahren, in 50 Jahren oder in 500 Jahren? Wenn wir jetzt feststellen, dass in einigen Förderbrunnen das Nitrat bereits ankommt, dann sehen wir natürlich dort, dass diese Systemleistung, Nitrat abzubauen, sich allmählich da auch erschöpft hat schon. Das sind natürlich Alarmzeichen, die wir sehr ernst nehmen“ (zit. in Asendorpf 2018, vgl. Amann et al. 2013, 67).
Details: Erläuterungen zu (1)

Das sagte Egon Harms auch schon fünf Jahre früher im Spiegel – und bezog sich dort auf die „vergangenen sieben, acht Jahre[, in denen] … die Nitratwerte im oberflächennahe Grundwasser … besorgniserregend gewachsen [sind] (Amann et al. 2013, 67). Macht zusammen ‚zwölf, dreizehn Jahre‘.


Und Egon Harms legt den Finger tief in die Wunde:

  • „Wenn wir überlegen, dass wir in Deutschland als Informationsgesellschaft mittlerweile zu teuer sind, um Schiffe zu produzieren, um Fernseher zu produzieren, wieso können wir dann noch Schweinehälften für den Weltmarkt produzieren und das zu weltmarktkonformen Preisen?

    Ich glaube, das liegt im Moment daran, dass wir in der Umweltgesetzgebung nicht das tun, was wir tun müssen, beim Tierwohl haben wir sehr hohen Nachholbedarf und auch die Arbeitsverhältnisse der Menschen in diesen Fleischfabriken ist ja völlig indiskutabel.

    Das heißt, in drei Rechtsbereichen verstoßen wir eklatant gegen gesetzliche Normen und Spielregeln, die von der Bevölkerung auch zunehmend eingefordert werden“ (zit. in Asendorpf 2018).

Station 4: 
Tiertransport 

Dazu möchte ich nur kurz die Albert-Schweitzer-Stiftung zitieren:

  • „Rinder dürfen bis zu 29 Stunden am Stück transportiert werden“ (2014).


Wo um Himmels Willen sollen diese Tiere hingekarrt werden?

>> siehe vertiefend Abschnitt Fleisch & Tierhaltung: Tiertransporte XXL, S. 561f.


Station 5: 
Schlachthof & Ethik?

  • Zustände beim Schlachten 
  • ‚billige‘ Arbeitskräfte (vornehmlich) aus Osteuropa1

>> s.a. Abschnitte Fleisch & Ethik, S. 555 sowie Fleisch & Tierhaltung, S. 556f.

Details: Erläuterungen zu (1)

1 Hier sorgt ein labyrinthisches Geflecht von Subunternehmen dafür, dass die konkreten Arbeitsbedingungen inkl. Arbeitsschutz intransparent bleiben und kaum nachvollziehbar ist, ob tatsächlich Mindestlöhne gezahlt werden. Das ging früher durchaus anders: „[B]is in die [19]90er Jahren hinein gab es ganz normale Arbeitsverhältnisse. Nach und nach wurden diese dann ausgegliedert, dadurch sind die ganzen Subunternehmen entstanden. Das war eine Strategie der Fleischkonzerne. In der Nahrungsmittelindustrie ist das heute die Branche mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen. Ich will den Konzernen aber nicht die alleinige Schuld geben, die Politik interessiert sich auch zu wenig dafür. Die Öffentlichkeit und die Verbraucher haben über die Jahre fast immer weggeschaut und sich keine Gedanken gemacht, welchen Preis ihr Billigfleisch im Supermarkt wirklich hat. Jetzt wird deutlich: Ausbeutung und Elend sind [neben mangelndem Tierwohl] der wirkliche Preis für billiges Supermarktfleisch“, sagt Mohamed Boudih, der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) von Nordrhein-Westfalen 2020 in der SZ. Robert Habeck fordert im Frühjahr 2020 eine Generalunternehmerhaftung, sodass unabhängig von den konkreten Vertragsverhältnissen der Schlachthofbetreiber die Verantwortung trägt und der Betriebsrat für alle im Unternehmen arbeitenden Menschen zuständig ist (vgl. Maurin 2020, 8). M.E. reicht im Sinne von Transparenz und Verantwortung die Beschränkung auf ein einfaches Subunternehmertum im Sinne traditioneller Zeitarbeit vollkommen aus, um die erforderliche Flexibilität herzustellen, d.h. die Vergabe von Sub-Subaufträgen etc. ist gesetzlich zu unterbinden. Die Bundesregierung hat im Juli 2020 im Zusammenhang mit Covid-19-Ausbrüchen in Schlachthöfen ein Gesetzesentwurf zum Verbot von Werkverträgen für Schlacht-Unternehmen mit mehr als 49 Beschäftigten auf den Weg gebracht (vgl. taz 2020). Mitte Juli hat Tönnies – die Firma, in der diese vielen Covid-19-Fälle aufgetreten – 15 neu eingetragene GmbHs ins Handelsregister eintragen lassen (vgl. Preker 2020).


Station 6: Großhandel >> Einzelhandel/Restaurant >> Teller >> Magen

Produziert wird aber nicht nur für die fleischliebenden Deutschen, sondern auch und zunehmend für den Export:


Station 7: 
Export, d.h. globaler Transport z.B. nach China und Afrika

  • „Bei Geflügel und Schweinen hat sich die Exportmenge in den vergangenen zehn Jahren glatt verdoppelt“ (Asendorpf 2018).

Schweinehälften werden also – unter Einhaltung einer energieintensiven Kühlkette – um den halben Globus containert, was hinsichtlich der Umwelt selbstredend wenig sinnvoll ist.

  • Pfoten, Schwänze und Köpfe gehen nach Asien. „Die Gebärmutter [vom Schwein] exportiert … [Clemens Tönnies] nach China, die Luftröhren nach Thailand, die Spareribs in die USA und nach Kanada, die Schwarten in 18 verschiedenen Varianten in den Rest der Welt“ (Amann et al. 2013, 71). Der Rest „geht in die sogenannte stoffliche Verwertung… Lachszüchter beispielsweise verfüttern das Blutplasma der Schweine an ihre Fische, damit deren Fleisch sich schön rosig färbt“ (ebd., s.a. Aquakultur und Lachs, S. 565).

Station 8:
‚Wochenmarkt‘ in Afrika

Auch abseits des CO2-lastigen Transports hat dieses industriell-billige Export-Fleisch den extremen Nachteil, dass es (wie auch im Bereich von Export-Gemüse) heimische Märkte (und damit auch die (Markt-)Kultur insbesondere in Afrika kaputtmacht: Die dortigen Kleinbauern können auf den Märkten nicht gegen die EU-Produkte konkurrieren.

  • „Das Filet finanziert meist das gesamte Huhn. Der Rest – vor allem Flügel, Hälse, Füße, Knochen, Innereien – ist für viele Erzeuger Abfall, der teuer entsorgt werden müsste. Doch die Fleischindustrie hat einen Weg gefunden, diese Kosten einzusparen: Was in Europa keiner essen will, wird als Gefrierfleisch nach Afrika verschifft und dort zu Niedrigstpreisen auf den Märkten verkauft. In Togo – 5.000 Seemeilen und 18 Tage Schiffsreise von Hamburg entfernt – ist deutsches Hühnerfleisch bis zu zwei Drittel billiger als einheimisches. Die Frachtkosten fallen kaum ins Gewicht“ (Obert 2014, 50). Und die Tatsache, dass „über die Hälfte des Importfleisches für den menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet [ist]“ (ebd., 53), weil die Kühlkette allzu oft nicht durchgehend gewährleistet werden kann, auch nicht. Das Geschäft lohnt sich dennoch:
  • „Seit 2010 hat die EU ihre Geflügelfleisch-­Exporte nach Afrika um 182 Prozent gesteigert, Deutschland die seinen im gleichen Zeitraum fast ver­dreifacht. Im vergangenen Jahr [2013] überschwemmten 42.700 Tonnen deut­sches Geflügelfleisch die afrikanischen Märkte. Mit verheerenden Folgen: In Togo deckten vor den Massenimporten jährlich rund zehn Millionen Hühner den Fleischbedarf; heute sind nur noch die wenigen übrig, die in den Dörfern meist zur Selbstversorgung dienen. Auch im benachbarten Benin, in Ghana, selbst im Kongo – überall kämpfen Bauern angesichts der Importflut ums Überleben. In Liberia und Sierra Leone, warnen Agrar­experten, blockiere das Billigfleisch aus den Industrienationen nach dem Ende jahrelanger Bürgerkriege den Aufbau der Landwirtschaft und die Ernährungssicherung und gefährde damit den fragilen Friedensprozess“ (ebd., 50).
Details: Importe Benin

Benin = 10 Mio Einwohner = 175.000 Tonnen deklarierte Geflügelimporte im Jahr 2013, noch einmal fast so viele nicht deklarierte Importe (vgl. Obert 2014, 54). Was passiert damit? Obert zitiert einen Informanten mit den Worten: „Wir laden das Zeug nachts aus den Kühlcontainern in Klein­lastwagen um … [,] packen es in Eistruhen und bringen es [– ein Großteil des Fleisches –] auf Schleich­wegen über die Grenze – nach Nigeria. … Ein Milliardengeschäft“ (ebd. 55).

  • „Togos Nach­barland Ghana entschied 2003, die Einfuhrzölle auf Geflügel zu erhöhen. Das Gesetz wurde mit großer Mehrheit vom Parlament beschlossen. Doch der Internationale Währungsfonds (IWF) – eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich eine Politik zugunsten der Armen auf die Fah­nen schreibt – machte Druck und drohte dem verschuldeten Entwicklungs­land, keine neuen Kredite mehr zu gewähren, falls es auf den Schutzzöllen beharre“ (ebd., 56).

Bis Juli 2013 wurden solche Exporte sogar noch EU-weit direkt subventioniert – und damit von jeder/m Bürger*in (vgl. BMEL 2019). Robert Habeck erwähnt im Zusammenhang mit Exportfleisch und EU-Geldern im Jahre 2018 weiterhin erfolgende „indirekte Exportsubventionen“ (Fleischwirtschaft 2018).

Diese Exporte – ob nun subventioniert oder nicht – konterkarieren die ebenfalls von uns Bürger*innen bezahlte Entwicklungshilfe. Welches Wort außer ‚Wahnsinn‘ könnte treffender sein?

Neben den bisherigen und nunmehr abgestellten direkten Export-Subventionen gibt es weitere indirekte Subventionen: Das Ganze wird subventioniert über Stallbauprämien, allgemeine Subventionen für die großangelegte konventionelle Landwirtschaft, Tierschutz- und Arbeitsschutzregelungen (in Schlachtbetrieben), die ihrem Namen nicht gerecht werden, mangelnden Kontrollen durch zu wenig Personal, Inkaufnahme von Trinkwasserverunreinigung etc. pp.


Station 9:
Erntehelfer*innen in Südspanien

Die Bäuerinnen und Bauern, für die es sich z.B. aufgrund des billigen EU-Fleisches oder -Gemüses nicht mehr lohnt, die Felder zu bestellen, geben die ohnehin extrem mühsame Arbeit auf, lassen den Boden erodieren, der Humus geht verloren, oft setzt vermehrt Wüstenbildung ein. Die Bäuerin bzw. der Bauer verlässt nicht selten ihr/sein Dorf, landet zunächst in der nächsten Stadt, wo sie/er auch nicht willkommen ist – und arbeitet schließlich, falls sie/er die Flucht durch die Wüste, durch rechtsfreie Räume und über das Mittelmeer überleben sollte, als Erntehelfer*in… in Südspanien z.B. auf den Gemüsefeldern oder in den Gewächshäusern, deren Produkte z.B. nach Deutschland und Afrika exportiert werden.
Und dort macht sie/er die mehr oder weniger gleiche Arbeit wie vorher, nun aber als mittellose*r und allzu oft rechtelose*r Migrant*in, entwurzelt, wahrscheinlich ohne ihre/seine Familie und sorgt unbeabsichtigt und unbewusst, dass dieses u.a. Afrika (weiter) ruinierende System am Laufen bleibt, indem sie/er letztlich (unbewusst) dazu beiträgt, dass weitere Bäuerinnen und Bauern in Afrika aufgeben müssen.

>> Station 9 erklärt einen Mechanismus, der prinzipiell richtig ist, jedoch selbstredend notwendig den Sachverhalt vereinfacht darstellt.

OMG.


Fazit zu Station 1 bis 9:

In Südamerika wird der Regenwald gerodet; viele traditionelle Bauern werden entrechtet und ihrer Existenz beraubt. In Deutschland wird bei der Tiermast mit Jungtieren z.B. aus Dänemark mit dem über den Atlantik verschifften Gen-Soja durch zu großen Stickstoffeintrag das Trinkwasser mit Nitrat verunreinigt. Das alles nur, damit nicht nur der ungesund-übermäßige Fleischappetit der Deutschen befriedigt werden kann, sondern – um des Mammons willen – auch noch weltweit Exportmärkte bedient werden können. Nach dem CO2-intensiven Transport um den halben Globus macht das billige (und faktisch hoch subventionierte) Export-Fleisch z.B. afrikanische Märkte kaputt, verhindert den geordneten Aufbau von Ländern des Globalen Südens, konterkariert Hilfe zur Selbsthilfe, sorgt für langfristig zerstörte Böden, entwurzelt Menschen, die dann u.U. als Erntehelfer*innen in Südeuropa landen.


Und da alles mit allem zusammenhängt geht es noch weiter mit diesem destruktiven Kreislauf…


Station 10
Spaniens Böden und das Trinkwasser

…oder:
Ackerböden in Deutschland von Tiernahrung und Tieren besetzt: 
Wo kommt unser Gemüse her?

In Deutschland werden sehr viele Agrarböden in irgendeiner Form für die Massentierhaltung genutzt. Wo also kommt unser Gemüse her? Zum Beispiel aus Spanien:

In Südspanien liegt das Herz der spanischen Agrarproduktion. Von hier starten ungezählte Lastwagen pro Jahr nach Nordeuropa und Deutschland mit Gemüse und Obst, damit es für den Konsumenten ganzjährig, Saison-unabhängiges, günstiges Obst gibt.

Natürlich hat es Folgen, wenn man aus einem so heißen (und Klimawandel-bedingt immer heißeren) Gebiet eine gigantische Gemüseplantage macht:

  • „85 Prozent des an die Oberfläche gepumpten Grundwassers fließt in die Agrarproduktion. Überall wird künstlich bewässert… Weite Landstriche sind verkarstet [d.h. vereinfacht ausgedrückt: ausgelaugt], der Grundwasserspiegel ist stellenweise unter 500 Meter gesunken. In den Küstenstreifen um Huelva am Atlantik, Europas größtem Erdbeeranbaugebiet, und in den großen Gemüseplantagen um Almería am Mittelmeer hat der übermäßige Süßwasserverbrauch dazu geführt, dass [salziges] Meerwasser unters Festland nachgeflossen ist“ (Urban 2019).

    Intensiv-großindustrieller Gemüseanbau auf einer riesigen Fläche in einer ohnehin übermäßig trockenen und nun von der Klimakrise befördert regenarmen Gegend ist keine gute Idee. Letztlich haben wir es hier mit einer schleichenden Wüstenbildung (‚Desertifikation‘) zu tun:
  • „Aber nicht nur der Klimawandel verschärft die Desertifikation, die Desertifikation verschärft umgekehrt den Klimawandel, da sie natürliche Regenerationskreisläufe zerstört. Es ist ein Teufelskreis, der kaum wahrgenommen wird“ (Dürmeier 2019).


Wenig überraschen: Nicht die Großindustriellen, sondern die traditionellen Bauern (‚Trockenbauern‘) leiden „am stärksten unter Desertifikation und Klimawandel, denn sie sind auf regulären Regen angewiesen“ (ebd.).


Kleiner Sprung innerhalb der EU von Spanien nach Rumänien:

In Rumänien wird ein 800 Quadratkilometer großes Gebiet mittlerweile als „Sahara an der Donau“ bezeichnet:

  • „Sie ist weitgehend waldfrei und voller stark sandiger Böden, stellenweise gibt es sogar Sanddünen-Landschaften. Während der Ceausescu-Diktatur wurde hier, wie überall in der südrumänischen Tiefebene, intensive Landwirtschaft betrieben. Inzwischen liegen viele Flächen brach, sind verödet und erodiert“ (Verseck 2020, vgl. Aspekt China: Das desertifizierte Löss-Plateau ergrünt, S. 576ff.).

Im gleichen Artikel wird die Klimaforscherin Roxana Bojariu mit den Worten zitiert:

  • „Die Ursache ist ein komplexes Zusammenspiel menschengemachter und natürlicher Faktoren.“ Inzwischen versucht man hier mit widerstandsfähigen Pflanzen zu arbeiten, die wenig Wasser benötigen und die für die Gegend eher ungewöhnlich sind, darunter Erdnüsse und Süßkartoffeln (vgl. ebd.).


Hitze, ausbleibender Regen, Wasserknappheit, sinkende Grundwasserstände, Desertifikation – alles entscheidend verschärft und befördert durch die Klimakrise – haben auch das Phänomen der sog. Mondscheinlöcherhervorgebracht. Das sind jene ungenehmigten, d.h. illegalen, u.U. nicht abgesicherten/abgedeckten Bohrlöcher, die als private Tiefbrunnen überall in Spanien gebohrt werden, um an Wasser zu kommen. Bekannt geworden sind diese Mondscheinlöcher durch den tragischen Tod eines zweijährigen Jungen im Januar 2019, der 71 Meter in ein über 100 Meter tiefes und gerade mal 25 cm breites Loch fiel und starb. Was seinerzeit weniger publik wurde, ist, dass diese nach Greenpeace-Schätzungen (2019) über eine Millionen Löcher[1] letztlich eine Folge der Klimakrise sind.

>> Björn Römer beruft sich 2020 im Spiegel auf Expert*innen und schreibt von „[h]underttausende[n] solcher schmalen Schächte … in Spanien… [Gemäß einer aktuellen Studie] werden zwischen 30 und 50 Prozent der jährlichen Wasserressourcen gestohlen.“


Quellen des Abschnitts Landwirtschaft global: Der destruktive Kreislauf rund um die Fleischindustrie



Palmöl als Produkt globaler Land- und Industriewirtschaft

Palmöl besitzt einen Vorteil, der Kritiker*innen oft entgegengehalten wird und den ich hier gleich zu Anfang nennen möchte:

  • „Mit Palmöl kann auf vergleichsweise geringer Fläche ein großer Teil des weltweiten Bedarfs an Pflanzenölen gedeckt werden“ (WWF o.J.)
…mehr

Kathrin Hartmann hebt hervor, dass der WWF „[e]ine besondere Rolle bei der Erfindung des nachhaltigen Palmöls spielt… Nach Meinung vieler NGO’s, insbesondere lokaler Aktivisten wie Feri [Irawans Perkumpulan Hijau], ist es der Mitbegründer WWF, der dem Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl grüne Glaubwürdigkeit verleiht“ (2018, 113).

Das ist für sich genommen wahrscheinlich richtig.

Doch relativiert sich diese Aussage erheblich, wenn man sich klarmacht,

  • wo, d.h. in welchen Gegenden Palmölplantagen stehen – und was sich vorher auf diesem Gelände im Regelfall befand,
  • dass die Menschheit schlicht kein Platzproblem hat – sie nutzt die für eine gesunde und ökologische (Palm-arme) Landwirtschaft erforderlichen Flächen zu 80% im Zusammenhang mit der Massentierhaltung (vgl. S. 621),
  • dass „Palmöl vor allem für Produkte verwendet [wird], die in Wahrheit kein Mensch braucht“ (Hartmann 2018, 117).


Nun, wenn erstgenannter Aspekt nun also der Vorteil ist… Der Rest dieses Abschnittes ist den anderen, weniger vorteilhaften Aspekten des Palmöls gewidmet.

https://de.wikipedia.org/wiki/Palm%C3%B6l#/media/Datei:Malayasia_iko_2002169.jpg
Deforestation in Malaysian Borneo | gemeinfrei (NASA, 2002)

Zunächst einige Zahlen: Ähnlich wie beim ‚schwarzen Gold‘ der fossilen, hängt unsere Welt heute darüber hinaus auch massiv an der Nadel des Palmöls.

  • „Anfang der 1980er-Jahre wurde nur etwa fünf Millionen Tonnen Palmöl weltweit produziert“ (Schumacher 2017, 65).
  • „Palmöl gehört zu den am häufigsten eingesetzten Ölen der Welt; die Produktion hat sich seit 1995 mehr als vervierfacht. Heute werden etwa 70 Millionen Tonnen jährlich produziert. Mehr als zwei Drittel davon kommen in Lebensmittel“ (Uhlmann 2019).
  • „Der Löwenanteil stammt … aus Malaysia und Indonesien [zusammen: rund 90%]. In den letzten 25 Jahren haben sich dort die Anbauflächen verzehnfacht. Tendenz steigend“ (Dallmus 2019; Zahl aus Schumacher 2017, 65).
  • „[S]eit 1990 hat Indonesien durch Abholzung und Brände eine Waldfläche verloren, deren Größe an die der Bundesrepublik Deutschland heranreicht: 310.000 Quadratkilometer. … Waren 1990 noch zwei Drittel des Inselstaates mit Wald bedeckt, ist es 2015 schon nur noch die Hälfte“ (Hartmann 2018, 87).
  • „Die EU ist weltweit der zweitgrößte Importeur von Palmöl“ (DUH 2019).


Ein Blick in den Einkaufskorb:

Palmöl ist selten ‚sichtbar‘, aber quasi unbemerkt überall drin, konkret in etwa jedem zweiten Supermarktprodukt (vgl. Greenpeace 2019):

Fertiggerichte | Tütensuppen | Kekse | Salzgebäck | Margarine | Schokolade (Kombisorten) | Pralinen | Pflegeprodukte, Seife, Kosmetik (Tenside, Emulgatoren) | Brotaufstriche | Schokocremes | Babynahrung | Butter (!) (vgl. Leiterer 2019)

‚Die Industrie‘ liebt zwei Eigenschaften an Palmöl besonders: Es hat bei Zimmertemperatur eine feste Konsistenz, braucht also nicht lebensmitteltechnisch gehärtet werden – und, viel, viel wichtiger: Es ist überaus günstig auf dem Weltmarkt zu bekommen.

>> Palmfett braucht nicht gehärtet zu werden: Das ist tatsächlich ein Vorteil von Palmfetten/-ölen: Es braucht nicht gehärtet zu werden und ist daher frei von Transfetten, die bekanntermaßen gesundheitsschädlich sind (vgl. WWF o.J.).


Palmöl & die Gesundheit der Verbraucher*innen

Palmöl ist günstig für Industrieunternehmen, doch die tatsächliche Gesamtrechnung ist hoch:

  • „Palmöl ist nicht das hochwertigste Pflanzenfett: Es hat einen relativ hohen Gehalt an (ungesunden) gesättigten Fettsäuren und einen niedrigen Gehalt an (gesunden) ungesättigten Fettsäuren“ (Leiterer 2019). „Zahlreiche [ungesättigte] Omega-3-Fettsäuren hemmen Entzündungen, einige [gesättigte] Omega-6-Fettsäuren hingegen begünstigen sie. … Omega-3-Fette… halten die Zellmembranen geschmeidig und … [und haben] Effekte auf die Alterungsprozesse Ihres Gefäßsystems und damit die Prophylaxe von Herzinfarkt und Schlaganfall“ (Marquardt 2007, 93). Der Anteil von gesättigten Fettsäuren „beträgt beim Palmöl etwa 45 bis 55 Prozent. Olivenöl bringt es nur auf zehn bis 25 Prozent“ (Uhlmann 2019). Und: „Sonnenblumenöl enthält nur ein Zehntel der Fettschadstoffe des Palmöls“ (ebd.) – und selbst Sonnenblumenöl zählt im Unterschied zu Rapsöl, Olivenöl, Walnussöl, Hanföl und Leinsamenöl längst nicht zu den gesünderen Ölen (vgl. Marquardt 2007, 93).
  • „[B]ei der Raffination des Öls entstehen [Schadstoffe]. Bei diesem Produktionsschritt wird das Öl auf etwa 200 Grad Celsius erhitzt; Geschmack und Geruch verflüchtigen sich, es wird dadurch vielseitig einsetzbar. Es bilden sich aber auch kritische Fettsäureester. In keinem anderen Fett ist ihr Anteil so hoch wie im Palmöl. Dazu gehören jene Ester, die mit 3-MCPD abgekürzt werden und die die Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO als möglicherweise krebserregend einstuft… [werden. V]or allem Kinder laufen Gefahr, diese Grenzwerte [der europäischen Lebensmittelbehörde Efsa] zu überschreiten“ (Uhlmann 2019).

Es ist trotz der hohen Palm-Durchsetzung unserer Supermarktregale durchaus machbar, Palmöl zu vermeiden – hier vermag die Website bzw. App https://www.codecheck.info/ (Website: Suchfunktion oben rechts) zu unterstützen – auch bei der Suche nach möglichen Ersatzprodukten. Nur bei Keksen wird es schwierig. Das ist, so denke ich, angesichts der Thematik dieses Buches zu verschmerzen sein.

>> Ausnahme: Codecheck kann hier leider nur bei Produkten weiterhelfen, die in irgendeiner Form das Wort ‚Palm‘ in der Zutatenliste aufführen, was bei sehr vielen auch der Fall ist. Glycerin hingegen kann, muss aber nicht, aus Palmöl hergestellt werden. Woraus jeweils das Glycerin hergestellt wurde, braucht derzeit bedauerlicherweise nicht angegeben werden.

Doch mit den bisherigen Ausführungen haben wir allenfalls die oberste Spitze des Eisbergs erfasst:

  • „Beim Griff ins Supermarktregal und beim Tanken entscheiden wir auch über das Schicksal bedrohter Arten wie Orang-Utan oder Tiger – und des Regenwaldes. Mittlerweile erstreckt sich der Anbau weltweit auf eine Fläche von etwa 19 Millionen Hektar, rund um den Äquator in artenreichen Regionen, wie Indonesien und Malaysia. Für neue Plantagen werden weiterhin zahlreiche Hektar Regenwald gerodet“ (WWF 2018 – Den im Zusammenhang mit Palmöl kritisierten WWF zu zitieren erscheint m.E. möglich, weil das Zitat (des deutschen Verbandes) nicht in dem Verdacht steht, die Situation zu verharmlosen.)


Für das Jahr 2015 zog die Global Fire Emissions Databank bereits im Oktober des Jahres Bilanz:

  • „[T]here have been nearly 100.000 active fire detections in Indonesia so far in 2015, which since September have generated emissions each day exceeding the average daily emissions from all U.S. economic activity. Following several recent intense outbreaks of fires – in June 2013, March 2014 and November 2014 – the country is now on track to experience more fires this year than it did during the 2006 fire season, one of its worst on record“ (Harris et al. 2015).

Mehr als die Hälfte dieser Feuer fand in tropischen Moorgebieten statt (vgl. ebd.). Nicht nur die Vegetation bzw. Regenwald wird gerodet – auch der besonders kohlenstoffhaltige Boden wird zerstört:

  • „The burning of tropical peatlands [= Moore] is so significant for greenhouse gas emissions because these areas store some of the highest quantities of carbon on Earth, accumulated over thousands of years“ (ebd.).


Diese für die Palmwirtschaft trockengelegten Moore braucht die Menschheit dringend als CO2-Senke:

  • „Dabei entweichen riesige Mengen an Kohlenstoff, die zwölf Prozent der weltweiten Emissionen ausmachen. Zwischen 1990 und 2015 wurden in Indonesien 24 Millionen Hektar Regenwald zerstört, das entspricht annähernd der Größe Großbritanniens“ (Greenpeace 2018, 10).


Kathrin Hartmann beschreibt das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, unter denen Palmöl hergestellt und geerntet wird, wie folgt:

  • „Gern heben die Konzerne hervor, wie sehr ihnen die Kleinbauern am Herz liegen, bewirtschaften sie doch ein Drittel der Plantagen. Allerdings arbeiten sie im sogenannten Nukleus-Plasma-System. Dahinter verbirgt sich wenig mehr als legalisierter Landraub, der in Ausbeutung mündet. Kleinbauern werden dazu überredet, ihre Gewohnheitsrechte auf ihr Land an die Palmölfirma abzutreten, die ihnen im Gegenzug das Landrecht für zwei Hektar mit Ölpalmen am Rand (Plasma) der Plantage (Nukleus) plus einen halben Hektar für Haus und Garten abgibt. So sollen sie sich selbst versorgen und mit der Bewirtschaftung der Miniplantage Geld verdienen. Doch in den drei bis vier Jahren, die die Palmen wachsen müssen, bis sie Früchte tragen, sind die Kleinbauern auf Kredite angewiesen. Die gewährt ihnen die Firma – zu horrenden Zinsen. Außerdem müssen sie Dünger und Herbizide selbst bezahlen, oft auch die Palmsetzlinge. Die meisten Bauern landen in der Schuldenfalle und bleiben ihr Leben lang abhängig von der Palmölfirma, an die sie per Vertrag und zu miserablen Preisen liefern müssen. Von ihrer harten Arbeit können sie nicht leben: Sie verdienen nur etwa 500 Dollar im Jahr“ (2018, 91).
  • „Die Arbeitsbedingungen auf den Ölplantagen sind knallhart. Bezahlt wird oft nicht nach Stunden, sondern nach Quoten. Bis zu 1.500 Kilo am Tag müssen die schlecht bezahlten Arbeiter schleppen. Menschenrechtsorganisationen berichten von schweren Vergiftungen durch Pestizide. Auch die weitere Verarbeitung in der Ölmühle ist oft umweltschädlich. Abwässer und Abfälle gelangen meist ungeklärt nach draußen“ (Dallmus 2019).

    Und, wie eigentlich immer im Zusammenhang mit Arbeit im (land-)industriellen im Globalen Süden ist das Thema ‚Kinderarbeit‘ zu nennen (vgl. ebd.), auch auf den RSPO-zertifizierten Plantagen gibt es „Kinder- und Zwangsarbeit sowie Menschenhandel“ (Hartmann 2018, 101).

>> Die USA verhängten Ende September 2020 ein Importverbot für Palm-Erzeugnisse des malaysischen Weltmarktführers (und RSPO-Mitglieds, vgl. RSPO 2020) FGV im Zusammenhang mit „Anzeichen auf „sexuelle Gewalt auf den Plantagen“ (Spiegel 2020) sowie Zwangs- und Kinderarbeit (vgl. ebd.).


Alledem soll dem der 2004 gegründete ‚Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl‘ (RSPO) abhelfen, der zudem Siegel/Zertifikate für nachhaltiges Palmöl vergibt.

Karthrin Hartmann analysiert, wer an diesem Runden Tisch Platz nimmt:

RSPO =1561 Vollmitglieder | 727 Konsumgüterfirmen | 174 Palmölproduzenten | 529 Palmverarbeitern | 65 Handelskonzerne | 14 Banken & Investmentfirmen, u.a. Aldi, BASF, Bayer, Cargill, Commerzbank, Credit Suisse, Ferrero, Mars, McDonald’s, Procter&Gamble, Rewe, Unilever, Walmart | 52 Umweltschutz- und Entwicklungsorganisationen, darunter Rainforest Alliance und WWF (vgl. 2018, 97)

>> Werner Boote und Kathrin Hartmann besuchten für die Kino-Doku Die grüne Lüge (2018) die indonesische Palmöl-Konferenz GAPKI – sehr sehenswert.


Man könnte meinen, dass ein bereits 2004 gegründeter ‚Runder Tisch‘ inzwischen einiges bewirkt haben sollte. Doch lautet nach Ausführungen von Hartmann Aufgabe des ‚Runden Tisches‘ „[d]ie Erfindung des nachhaltigen Palmöls“ (2018, 96). Wie Palmöl grün wird, beschreibt sie so:

  • „Unilever wirbt damit, hundert Prozent nachhaltiges Palmöl zu kaufen. Trotzdem kann der Konzern nicht ausschließen, dass in seinen Produkten blutiges und illegales Palmöl steckt. Denn Unilever bezieht drei Viertel des Rohstoffs über das sogenannte Book&Claim-System. Darüber kaufen Firmen lediglich Zertifikate für die von ihnen benötigten Mengen Palmöls mit Nachhaltigkeitssiegel. Sie können so nur garantieren, dass irgendwo auf der Welt die entsprechende Menge nachhaltig gesiegelten Palmöls in den Mengen produziert wurde, für das sie Zertifikate gekauft haben. Nur dreißig Prozent des Palmöls, das Unilever verwendet, ist überhaupt zertifiziert. Den größten Teil bezieht Unilever über das Massenbilanzsystem, das aber in den Tanks mit nicht zertifiziertem Palmöl gemischt wird. Nur ein winzig kleiner Teil ist Palmöl, das in der Lieferkette von nicht zertifiziertem Fett getrennt wird (RSPO Segregated). Vom meisten Palmöl also, das Unilever bezieht, kann das Unternehmen nicht wissen, woher es wirklich kommt. Wie aber das rückverfolgbare Palmöl tatsächlich hergestellt wurde, steht auf einem ganz anderen Blatt“ (2018, 112-113).


Gesundheit, Arbeitsbedingungen, Green Washing… da war doch noch was?

Nicht unerheblich: palmgetränktes Benzin.

  • „Der Großteil des [nach Deutschland importierten] Palmöls … geht in Bio-Energie – ganze 41 Prozent“ (WWF 2016).

>> Der gleichen Quelle ist zu entnehmen, dass 40% in industriellen Nahrungsmitteln und 17% in Waschmitteln, Kosmetika und Produkten der Chemie- und Pharmaindustrie landen.

  • „90 Prozent des globalen Anstiegs der Nachfrage nach Pflanzenölen seit 2015 entfallen auf Biokraftstoffe“ (taz 2020).
  • „Allein die EU verbraucht demnach jährlich vier Millionen Liter Palmöl, um es Biodiesel beizumischen“ (ebd.).
  • „60 Prozent des in die EU importierten Palmöls landen im Tank“ (ebd.).
  • „Deutschland [ist] größter Hersteller von Bio-Diesel in der EU“ (ebd.).

Auch wenn man sich rückblickend nur an den Kopf fassen kann: Tatsächlich wollte man mit Beimischungen von Raps, Palm & Co die CO2-Bilanz von fossilen Dieselkraftstoffen verbessern und verfügte deshalb, das mit Stand 2020 die Biokraftstoffquote 6,25% beträgt, d.h. „Biokraftstoffe müssen einen Anteil von 6,25% am gesamten Kraftstoffmarkt haben“ (wikipedia 2020).

  • „Aufgrund der mit Öl-Palmen verbundenen Regenwaldabholzung ist das Biodieselgemisch dreimal schädlicher für das Klima als herkömmlicher Diesel“ (DUH 2019, 23).

Die EU-Kommission legte im März 2019 fest, „dass die Beimischung von Palmöl zum Dieselkraftstoff ab 2023 schrittweise reduziert und bis 2030 beendet sein soll“ (DUH 2019, 22).


Quellen des Abschnitts Palmöl als Produkt globaler Land- und Industriewirtschaft


Weitere Aspekte der Agrarkultur

Digitale Landwirtschaft

Konventioneller und Öko-Landbau könnten sich künftig – möglicherweise – via Robotik annähern: Wo ein Ökostrom-angetriebener High-Tech-Jäte-Roboter im Rahmen des ‚precision farming‘ seinen Dienst tut, sind keine/weniger Unkrautvernichtungsmittel erforderlich.

Bleibt die Frage, inwieweit die sog. ‚Landwirtschaft 4.0‘ eine utopisch-luxuriöse Idee des Westens ist.

  • Wichtig ist jedoch auf jeden Fall, dass die in den letzten Jahren immer gewaltigeren Landmaschinen wieder kleiner und leichter werden (vgl. Pander 2019).


Wenn hier auch ein paar Chancen drinstecken. Letztlich geht es – mal wieder – um das ganz große Geld:

  • „Analysten von Goldman Sachs prognostizieren, dass der Markt für digitale Agrartechnologie von heute schätzungsweise rund fünf Milliarden Dollar bis 2050 auf 240 Milliarden Dollar wachsen wird“ (Bethge 2020).


Man hat immer zu schauen, von wo der Applaus kommt. Es ist davon auszugehen, dass dem Globalen Süden dieser kapitalintensive Ansatz nicht weiter bringen bzw. an ihm vorbeigehen wird. Das ist nicht hilfreich.

Dass dieser Ansatz hier überhaupt Eingang findet in das Handbuch Klimakrise, Massenaussterben, Zukunft, verdankt sich der Tatsache, dass Robotik tatsächlich und immerhin ein Weg sein kann, um die tonnenschweren Maschinen vom Acker zu holen, die den Boden und das dort vorhandene Leben im wahrsten Sinne plattmachen und um präziser, d.h. auch weniger Pestizid-orientiert zu arbeiten.


Indoor Urban Farming / Vertical Farming

In den letzten Jahren sind eine ganze Reihe von neuen Konzepten und Start-ups entstanden, die gemeinsam haben, dass Pflanzen erdlos (Hydroponik) indoors unter (mit grünem Strom betriebenen) LED-Licht gezogen werden – in manchen Fällen in Kombination mit Fisch-Aquakulturen, sodass das mit Nährstoffen versehende (Fisch-)Wasser der Aquakulturen für die Aufzucht der Pflanzen weiterverwendet wird. Das Ganze nach Aussagen der Betreiber*innen ohne den Einsatz von Pestiziden und Antibiotika. Was insofern funktionieren kann, weil die Bedingungen ungleich kontrollierter sind als in der konventionellen Landwirtschaft. Auch spare man sich lange Lieferwege und damit auch eine Kühlkette, heben die Betreiber*innen hervor. Hightech-Gemüse-Aufzuchtschränke stehen mittlerweile offensichtlich schon in einigen EDEKA-Filialen. Was die Hightech-Farmer nicht sagen: All diese Hallen, Zuchtschränke, Becken etc. pp. müssen hergestellt, gebaut, gewartet und irgendwann ersetzt werden. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass es bislang vielfach Gastronomen gehobener Restaurants sind, die diese Angebote nutzen (vgl. Rosenbach 2019).


Gefährlich: ‚Landgrabbing‘

  • „Rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU ist gepachtet. Die Landbesitzer und -besitzerinnen können einen Gutteil der [GAP-EU-]Subventionen selbst einstreichen, indem sie einfach die Pacht erhöhen“ (Matthews 2019, 15).

Nils Klawitter beschreibt die Situation rund um das Thema ‚Landgrabbing‘ für Deutschland wie folgt:

  • „In Mecklenburg … sind die Flächenpreise seit 2005 um fast 400 Prozent in die Höhe geschossen. Das übertrifft selbst den Preisanstieg in München, wo sich die Bodenpreise im selben Zeitraum um 177 Prozent erhöht haben…. Zu den neuen Landbesitzern gehören Immobilienfirmen, Möbelhändler oder Fondsgesellschaften, fast immer mit Sitz in Westdeutschland. ‚In solchen Konglomeraten, die mit Stoßtrupps osteuropäischer Arbeiter die Felder traktieren, abernten und dann weiterziehen, zählt nicht, ob die nächste Generation den Boden noch bewirtschaften kann‘, sagt Reinhard Jung vom Brandenburger Bauernbund“ (Klawitter 2019, 80).

Michael Bauchmüller weist in der SZ exemplarisch darauf hin, dass mehr als 6.000 Hektar in Thüringen der „Lukas-Stiftung des Aldi-Nord-Eigentümers Theo Albrecht junior [gehören – ] … der jüngste Fall einer unseligen Entwicklung, die vor gut zehn Jahren ihren Lauf nahm: Investoren greifen nach Bauernland … [Bäuerinnen und Bauern] sind mittlerweile eingezwängt zwischen den Kapitalinteressen von Verkäufern und Verpächtern einerseits und dem berechtigten Interesse nach einer nachhaltigeren Landwirtschaft andererseits“ (2020). Bauchmüller hebt des Weiteren hervor, dass es üblich ist, Firmen zu kaufen, die bereits Land besitzen, sodass nicht einmal Grunderwerbssteuern anfallen – während ein Bauer, der Land erwerben würde, selbige zu entrichten hätte (vgl. ebd.).


In Rumänien gibt es viel fruchtbaren Ackerboden – aber Mely Kiyak zeigt, dass dieser zunehmend in ‚falsche Hände‘ gerät:

  • „Vierzig Prozent seiner Agrarflächen sind an ausländische Investoren verkauft. Wenn ‚der‘ arme Rumäne zu uns kommt, handelt es sich nach Ansicht der Rechten um Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme. Wenn deutsche Unternehmen wie die Allianz-Versicherung mit ihren Ablegern den Rumänen Land wegnehmen, nennt man es Business“ (2019).


Silvia Liebrich betont, dass es sich

  • „[f]ür finanzstarke Geldgeber lohnt…, in Ackerland zu investieren. Felder, auf denen Getreide oder Soja für Futtertröge wächst, sind zu begehrten Spekulationsobjekten geworden. Keine andere Anlageklasse hat in den vergangenen Jahren eine solche Wertsteigerung erzielt. Hinzu kommt die sichere Prämie von Jahr 250 bis 300 Euro pro Hektar und Jahr, die als von der EU überwiesen wird.


Michael Kopatz bekräftigt indes die Notwendigkeit,

  • „gegen die Nutzung von Flächen als reine Kapitalanlage vorzugehen. Denkbar wäre ein neues Grundstücksverkehrsrecht, das etwa ein Vorkaufsrecht für örtlich ansässige Landwirte vorsieht. Ein zentraler Ansatzpunkt ist zugleich die Subventionspolitik der Europäischen Union. Es gilt zu verhindern, dass große Betriebe am meisten profitieren, obwohl sie die geringsten Kosten je Ertragseinheit haben. Nicht mehr zeitgemäß ist es zudem, den Maisanbau mit Steuermitteln zu unterstützen. Eine faire Agrarpolitik fördert kleinräumige Strukturen statt Agrarkonzerne. Das stärkt auch die regionale Wertschöpfung und sichert Arbeitsplätze“ (2016, 107).

Diesen Trend zum ‚Landgrabbing‘ gibt es nicht nur in Deutschland und Osteuropa, sondern massiv auch in Afrika – was Kopatz völlig zu Recht als „neue Form des Kolonialismus“ (ebd., 107) einordnet.

Nicht zu vergessen die „Fleischwiesen“ in Brasilien, die z.B. im entwaldeten Bundesstaat ‚Mato Grosso‘ (‚Großer Wald‘) geschaffen wurden.

Mattheus Vieira, Cattle Farming Expert:

  • „In den [19]70ern lebten in dieser Region nur indígenas, hier war nur Regenwald. 34 Jahre Besiedlung haben diese Gegend zur wichtigsten Landwirtschaftsregion des Landes gemacht. Es ist der perfekte Ort für neue Investitionen und um Geld zu verdienen“ (zit. in Opitz 2018, Min 20).

Was Vieira vergisst zu erwähnen: Das jene Indígenas dieses Land eigentlich besitzen. Sie werden für Gensoja, Fleisch und das ganz ‚große Geld‘ von ihrem eigenen Land verdrängt und vertrieben…


Anleitung: Man statte – unterstützt von ein paar schwerbewaffneten ‚Sicherheitskräften‘ – einer Bauersfamilie einen Besuch ab und sorge für Recht und Ordnung:
 „Wo ist der Landtitel, der beweist, dass dieses Stück Land Dir und niemandem anders gehört?“

Details

Landtitel = Urkunde über den Besitz eines Stück Land.

„Die Kleinbauern nennen sie [– die bewaffneten Banden –] wegen ihrer Pistolen Pistoleiros und verdächtigen sie, von den benachbarten Großbauern bezahlt zu werden. Die Pistoleiros stecken Häuser in Brand, sägen Strommasten ab, töten Hunde und Milchkühe und schießen mit Revolvern in die Luft und vor die Füße der Landbevölkerung. Sie besprühen sogar Felder und Siedlungen von Flugzeugen aus mit Gift“ (Fischermann et al. 2018). „[I]n den vergangenen 15 Jahren [sind] mindestens 20.000 Familien im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso vertrieben worden… In ganz Brasilien werden 30 bis 40 Menschen pro Jahr im Konflikt um Land und Macht getötet“ (ebd.).

…und fristen nachfolgend i.d.R. verarmt, rechtelos, landlos, würdelos und z.T. hungernd ihr Leben (vgl. Wagenhofer 2005, Doku We Feed The World, vgl.Franzen/Aders 2020, 8-9, vgl. Fischermann et al. 2018).


Quellen des Abschnitts Weitere Aspekte der Agrarkultur


Fazit des Abschnitts Bodenbewahrende Agrarkultur

Ein Dreisatz.

Wir brauchen

  • für lebendige, humusaufbauende Böden und für Insekten z.B. zur Bestäubung eine
    • ökologische Landwirtschaft, die u.U. etwas geringere Erträge hat1 und somit
      • mehr Fläche zur Sicherstellung der Ernährung.

Gleichzeitig haben wir tendenziell weniger Flächen zur Verfügung durch

  • degradierende Böden z.B. durch Erosion.
    • die Erderwärmung und
      • die notwendige Wiederaufforstung von größeren Teilen der Regenwälder.

Wir brauchen

  • künftig mehr Lebensmittel für mehr Menschen, d.h.
    • die Äcker, auf denen bislang Tiernahrung angebaut wird bzw. Massentierhaltung betrieben wird, für eine pflanzliche Ernährung der Menschheit und damit
      • ein sich mindestens weitgehend vegetarisch ernährender Globaler Norden.
Details: Erläuterungen zu (1)

1 Inwieweit Bodenbewahrende Agrarkultur geringere Erträge erwirtschaftet, ist umstritten. Der Vergleich zu konventionell-industrieller Landwirtschaft fällt definitiv nicht so klar aus wie allgemein angenommen – vgl. Fußnote auf S. 569.



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