Klimagerechtigkeit

Der Begriff ‚Klimagerechtigkeit‘ hat mehrere Bedeutungen bzw. umfasst mehrere Dimensionen. Folgende werden im Folgenden näher beleuchtet:


Wir sind die Fluchtursache, nicht die Afrikaner, die zu uns kommen.“ (Franz Alt)1

Konfliktpotenziale der Klimakrise: Armut, Klimakriege, ‚Natur‘-Katastrophen, Flucht

Zuerst trifft es immer die Armen.

… und da reicht schon eine Missernte.

  • In Deutschland würde in einem solchen Fall die Regierung die entsprechenden Erzeugnisse von außen dazukaufen, also importieren.
    (Das was importiert wird, fehlt evtl. an andere Stelle!)
  • Im gleichen Fall würde sich in sog. Failed States (Staaten mit einer unzureichenden oder gar keiner Grundordnung) die Missernte u.U. umgehend zu einer Hungerkatastrophe ausweiten.


Und derartige Versorgungsengpässe können sich zu einem sog. Klimakrieg ausweiten.

  • Auch „[d]er Krieg in Syrien hat für viele seine Ursache in der Dürreperiode1 [, die laut Rahmstorf ‚wahrscheinlich eine Folge der globalen Erwärmung war‘], die dem Kriegsausbruch vorausging. Sie führte dazu, dass viele Menschen vom Land in die Städte gehen mussten. Statt das mit Hilfeleistungen vor Ort zu verhindern, reagierte das Assad-Regime mit Kürzungen der Unterstützungsleistungen, was die Rebellionsbereitschaft – wir befinden uns in der Zeit der um sich greifenden ‚Arabellion‘ – heftig schürte“ (Welzer 2018, Rahmstorf 2015).

Welzer führt weiter aus, dass der ‚Arabellion‚ „drastisch gestiegene Lebensmittelpreise vorausgegangen [waren], und die hatten wiederum mit Umweltereignissen zu tun“ (ebd.).

  • Die Tatsache, dass klimakrisenbedingte Katastrophen vorrangig die Ärmeren trifft, trifft selbstredend auch in Industrieländern zu: Der Hurrikan Katrina (2015) traf in New Orleans vor allem die ärmere Bevölkerungsteile, die in den niedriggelegeneren Stadtteilen lebte – und bis heute lassen die Wiederaufbaumaßnahmen zu wünschen übrig (vgl. Welzer 2018).

>> vgl. auch die Situation in Jakarta, wo die ärmeren Menschen teils ‚illegal‘ direkt an der Küste wohnen, während die Wohlhabenden in den höher gelegen Regionen leben (vgl. Aders 2018a).2


In der Sahelzone wirkt die Klimakrise wie ein Brandbeschleuniger auf ohnehin bestehende Konflikte in einer ohnehin unwirtlichen Umgebung: Der Spiegel zitiert den nigerianischen Tschadsee-Fischer Nassiru Husseini:

  • „‚Boko Haram3 und der Klimawandel… marschieren Seite an Seite, sie machen sich gegenseitig stärker. Viele Leute treten ihnen bei, weil sie Hunger haben, weil sie arm sind…‘. Die Beweggründe derer, die der Gruppe beitreten… seien immer die gleichen: ‚Armut, Klima, Wut, Geld‘“ (zit. in Schaap 2020, 86).


Es fragt sich, wie reibungslos die Katastrophenhilfe im Falle einer Klimakrise-beförderten ‚Natur‘-Katastrophe abläuft – und welche Bevölkerungsgruppen bzw. Stadtteile die Hilfe zuerst erreicht.

  • In New York City jedenfalls hat das bei den heftigen Wassereinbrüchen in ganze Stadtviertel in Zuge des Hurricane „Sandy“ (2012) für die ärmere Bevölkerung bzw. die ärmeren Stadtviertel so gar nicht geklappt – hier ist u.a. die medizinische Versorgung weitgehend zusammengebrochen (vgl. Klein/Lewis 2015, ab ca. Min 20).


Allgemein wird in den USA immer wieder ‚Umweltrassismus‘ beklagt – so wurden/werden „Sondermülldeponien vor allem in Gegenden gebaut…, in denen die ärmere Bevölkerung und Schwarze, Indigene und Latino lebten… Die Gefahr, in den USA an den Folgen von Luftverschmutzung zu sterben, … [ist] für Schwarze drei Mal höher… [Auch] die Flint-Wasserkrise, [bei der bleiverseuchtes Wasser den Bürger*innen in die Trinkwasserleitungen gepumpt wurde,] traf eine überwiegend schwarze Gemeinden in den USA“ (Dziedzic 2019).4

Details: Erläuterungen zu (1) bis (4)

1 „Der Nordosten Syriens gehörte zu den landwirtschaftlich ertragreichsten Regionen des Nahen Ostens. Von 2006 bis 2010 herrschte dort jedoch eine der verheerendsten Dürren seit Beginn der Wetteraufzeichnungen… In den letzten 20 Jahren waren die Winter sehr viel trockener als in den 80 Jahren davor“ (Fröhlich 2019).

2 Interessanterweise trifft das auch auf die Situation in Hamburg zu, vgl. Blankenese/Nienstedten >> Veddel/Wilhelmsburg.

3 „Boko Haram ist eine islamistische terroristische Gruppierung im Norden Nigerias, die auch in den Anrainerstaaten Tschad, Niger und Kamerun aktiv ist“ (wikipedia 2020).

4 Im Frühjahr 2020 lag das Risiko für Covid-19-infizierte Afroamerikaner*innen in den USA zu sterben gemäß der demokratischen afroamerikanischen Bürgermeisterin von Chicago, Lorie Lightfoot, sieben Mal höher „als für jede andere Bevölkerungsgruppe“ (Havertz 2020).


Klimaflüchtende

Schon ein verändertes Niederschlagsregime kann grundsätzlich ausreichen, um höchste Not auszulösen:

  • 2017 mussten „allein 900.000 Afrikaner ihren Grund und Boden aufgeben“ (Welzer 2018).1

… womit diese Menschen heimatlos werden und ins nächste Dorf gehen, von dort in die nächste Stadt, von dort in die Hauptstadt oder in eine Stadt im Grenzgebiet des Nachbarlandes in den Slum gehen – das passiert überall in Afrika an den Rändern der Sahelzone – und einige wenige der vielen machen sich dann auf den Weg nach Europa, von denen es manche bis über das Mittelmeer schaffen (vgl. Aders 2018a).

Details: Erläuterungen zu (1)

1 Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung des Ältesten der im Tschad gelegenen Tschadsee-Insel Dabourom, Chief Abdoulayi, demzufolge nicht zu wenig Regen das eigentliche Problem ist, sondern: „Wir wissen nicht mehr, wann wir pflanzen sollen. Der Regen [bzw. das Wetter] ist unberechenbar“ (Schaap 2020, 84).


Der Mitautor des Atlas der Umweltmigration, François Gemenne auf der Klimakonferenz in Bonn 2017 über den Globalen Süden:

  • „‚Das ist die Region der Welt, die am stärksten leidet, es ist eine extrem verletzliche Zone’… Die Auswirkungen seien besonders gravierend, denn ‚dort ist der größte Teil der Weltbevölkerung konzentriert‘“ (Aders 2018b).


Allgemein gilt:

  • Nicht nur global, sondern „[a]uch innerhalb eines Landes sind Menschen unterschiedlich stark von der Klimakrise betroffen. Das gilt auch für ihre Fluchtmöglichkeiten. Während ärmere Anwohner*innen seltener und über kürzere Distanz migrieren, verlassen Wohlhabendere die Region häufiger und ziehen weiter weg“ (Schöningh 2020, 3).

>> Im Umkehrschluss glauben viele Vermögende (insbesondere der Industriestaaten), der Biodiversitäts- und Klimakrise weitgehend entkommen zu können. Es mag sein, dass sie sich da ein Weilchen länger als Andere raus lavieren können – aber das Ende der Zivilisation würde sie letztlich genauso treffen. Ihr Geld wird nichts mehr wert sein, ihr Besitz nicht mehr durch einen Rechtsstaat geschützt.


Die Klimaforscherin Friederike Otto hebt indes hervor, dass laut einer im Mai 2017 veröffentlichten Studie der Uni Hamburg und Greenpeace der Klimawandel bislang i.d.R. nicht die alleinige maßgebliche Fluchtursache ist:

  • „Lösten Wetterextreme Naturkatastrophen aus, flohen die Menschen nur dann, wenn auch andere politische und soziale Faktoren mit hineinspielten“ (Otto 2019, 150).


Sicher ist ein sich veränderndes Klima nicht notwendig und stets die alleinige Fluchtursache, aber die grundlegende Feststellung ist, dass die Biodiversitäts- und Klimakrise ohnehin bestehende Konflikte, Probleme und strukturelle Ungleichheiten weiter verschärft.


Tatsächlich werden schon jetzt vielen Menschen die Lebensgrundlagen fundamental entzogen:

So ist bspw. in bestimmten Regionen im Polarkreis das althergebracht-traditionelle Leben nicht mehr möglich. So berichtet die Film-Doku ThuleTuvalu (2015) über einen der nördlichsten überhaupt bewohnten Orte namens Thule bzw. Qaanaaq – so der grönländische Name:

  • „Die Phasen, in denen die Jäger von Qaanaaq auf dem Eis jagen können, werden immer kürzer: Vor 15 Jahren [d.h. um das Jahr 2000] gab es noch während neun Monaten stabiles Eis, 2012 waren es nur noch knapp sechs Monate“ (Gunten 2015).


Über die Nordpolarregion nördlich von Spitzbergen und betreffend die russische Halbinsel Jamal hält Fred Langer in einem Multimedia-Dossier, „Der neue Ozean“ getitelt, für Geo fest:

  • „Das Eis, auf dem sich die Robben aufgehalten haben und auf welchen die Jäger sie erbeuten konnten, ist weithin verschwunden. Oder es ist zu dünn für die Hundeschlitten, aber noch zu dick für die Boote…. Und ein neues, gefürchtetes Phänomen bricht mit den steigenden Temperaturen über die Arktis herein: Regen. Der Regen gefriert am Boden und bildet einen Eispanzer, der die ohnehin spärliche Vegetation für die Rentiere unerreichbar macht. Es hab schon Jahre, in denen verhungerten sie zu Zehntausenden“ (2019).


Der SZ-Journalist Alex Rühle berichtet:

  • „[A]n der Westküste Alaskas… zieht gerade das Dorf Newtok um, weil dort … der Permafrost einbricht wie morscher Dielenboden, die Küstenlinie verschiebt sich, die Häuser bekommen Risse, jedes Jahr fällt mehr ins Meer. 187 Inuit-Dörfern droht das gleiche Schicksal… Kabeljau und Schellfisch verlagern ihren Schwerpunkt Jahr für Jahr 160 Kilometer weiter nördlich“ (2020).


Und bzgl. der Koralleninseln wie z.B. Kribati ist festzuhalten:

South Tarawa is a narrow strip of land between the lagoon and the ocean | CC 3.0 by: Government of Kiribati
The central pacific island of Tarawa in Kiribati. | CC 3.0 by: Government of Kiribati

Lange bevor Koralleninseln physisch ‚untergehen‘, sind sie längst unbewohnbar.

  • Eine Koralleninsel ist i.d.R. unbewohnbar ab dem Moment, in dem die Brunnen, die gleichfalls Trinkwasser beinhaltenden Binnenseen und/oder die wenigen Ackerflächen unwiderruflich versalzen sind, sei es durch Überschwemmungen, sei es durch Unterspülung.

    Die klimabedingte Emigration von Südseebewohner*innen hat längst begonnen.

    Z.B. nach Neuseeland oder auch auf das von Kiribati (gesprochen: kir-ah-bahss) erworbene Land auf den Fidschi-Inseln (vgl. Kino-Dokus ThuleTuvalu und Anote’s Ark: Gunten 2015 u. Rytz 2018 u. CBS 2017a).

Exkurs absurd:
Was haben das russische Zarenreich und Kiribati gemeinsam?

Nichts. Sollte man meinen.

Zynisch könnte man sagen: Das eine Reich ist vor 100 Jahren untergegangen, Kiribati (gesprochen: kir-ah-bahss) wird ihm im wahrsten Sinne des Wortes in 30 bis 50 Jahren folgen (vgl. Weltbank 2016). Schon jetzt versalzen die Süßwasserbrunnen und Felder – und noch in diesem Jahrhundert werden die Inseln von der Landkarte verschwunden sein (vgl. Rytz 2018).

Doch tatsächlich wollte im Jahre 2017 der „Vorsitzende der russischen Monarchistenpartei [Anton Bakow] … auf drei der Inseln [des Atolls Kiribati – Malden, Starbuck und Millennium = 64 Quadratkilometer] die Regentschaft der Romanows wiederbeleben – pünktlich zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution. ‚Mein Ziel ist es, [mittels eines entfernten Verwandten von Zar Alexander II.] den Status der Romanow-Dynastie wiederherzustellen, der 1917 verloren gegangen ist‘, sagt der 51-Jährige“ (Welt 2017).

Wie kommt man auf solche Ideen?

Nun, ‚Klimakrise‘ bedeutet weit mehr als einen Temperaturanstieg. Er bedeutet soziale Verwerfungen, Wüstenbildung, Land unter, Kopf in den Sand, der 45. US-Präsident als Bollwerk gegen notwendige Konsumismus-Veränderungen, Klimaflüchtende, Völkerwanderungen, Armut, Abhängigkeiten, Perspektivlosigkeiten, Zukunftsängste, Kriege z.B. um Wasser etc. pp.

Und natürlich wird es immer Nutznießer geben, denen die Not der Anderen nicht unwillkommen ist. Die Regierung von Kiribati hätte einem solchen Vorschlag wie dem obigen mutmaßlich keine drei Minuten zugehört, steckte sie nicht wortwörtlich in einem Überlebenskampf für ihre Bevölkerung, ihr Land, ihre Kultur und ihre Identität.


Anote Tong, ehemaliger Präsident von Kribati, 2012:
„In Kiribati sprechen wir nicht über Wirtschaftswachstum oder über Lebensniveau. Bei uns geht es ums Überleben.“ (zit. in Klimaretter 2012)


Doch ‚Ertrinkende‘ müssen bekanntlich nach jedem Strohhalm greifen. Wenn nun also jemand einem klitzekleinen und bedrohten Staat 120 Mio US-Dollar für drei kleine unbewohnte Inseln bietet (von der eine der Inseln eher ungastlich ist, nachdem sie in den 1950ern durch die Kolonialmacht Großbritannien mit drei Wasserstoffbomben eingedeckt wurde (vgl. wikipedia 2018)) und darüber hinaus 230 Mio US-Dollar an Investments in Aussicht stellt, dann hört man eben länger als drei Minuten zu (Zahlen vgl. Welt 2017).

Zumal niemand in Kiribati so recht weiß, wie es weitergehen soll. Hatte der emsige, weltweit für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit eintretende, 2016 abgetretene Präsident Anote Tong noch zwecks künftiger Umsiedelungen Land auf den Fidschi-Inseln gekauft, träumt der amtierende Präsident Taneti Mamau von einem neuen Dubai mit aufgeschütteten Inseln mit Ressorts für 5-Sterne-Touristen (vgl. CBS 2017b).

Nun, die Auferstehung des Zarenreiches wird nicht in Kiribati stattfinden – der Vorschlag wurde letztlich abgelehnt (Radio NZ 2017) – man will offensichtlich etwas ähnliches, nur ohne Zar, mit anderen Partnern durchziehen.

Wohin nun also mit der Monarchie? Zuverlässige Quellen besagen, das im südlichen Teil der Erde bald ein ganzer Kontinent freischmelzen wird. Die Temperaturen dürften durchaus denen Sibiriens ähneln… Ideal.

>> Empfehlung: Rytz, Matthieu (2018): Anote’s Ark. (deutscher schlechtgewählter Verleihtitel: Weltuntergang – Wie Kiribati im Meer versinkt), siehe http://www.anotesark.com/ (Abrufdatum 5.10.2018)
>> Es ist nicht das einzige merkwürdige Kaufangebot in letzter Zeit: Der ehemalige US-Präsident wollte 2019 gern Dänemark einen Scheck ausstellen, um Grönland zu erwerben, wohl um an die dortigen, reichhaltig vorhandenen Bodenschätze mit Uran und seltenen Erden zu kommen (vgl. Wolff 2021, 9 u. Luther 2019).

Zurück zum Befund, dass die klimabedingte Emigration von Südseebewohner*innen längst begonnen hat:


Und selbst wenn Klima zurzeit noch nicht die Hauptursache von forced migration ist, sind mehr Flüchtende auf der Welt unterwegs denn je – und das hängt zumindest auch mit Umwelt- und Klimafragen zusammen:

  • „Ende 2018 lag die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht waren, bei 70,8 Millionen. Im Vergleich dazu waren es Ende 2016 65,6 Millionen Menschen. … 84 Prozent der Flüchtlinge leben nach wie vor in Entwicklungsländern“ (UNHCR 2019).

Wichtig ist, hervorzuheben, dass wir Menschen in Europa von den meisten Flüchtenden derzeit schlicht nichts mitbekommen.

Ein prägnantes Beispiel für unsere Unkenntnis bietet dafür das Schicksal der Nomadenvölker im Himalaya, das der Dokumentarfilm Der zerbrochene Mond aus dem Jahr 2010 (!) beleuchtet.

Hier wird hervorgehoben, dass

  • Haut- und Augenkrankheiten unter den Bedingungen der Erderwärmung inkl. verändertem Sonnen- und (Nicht-)Niederschlagsregime zunehmen,
  • die unwirtlichen Lebensbedingungen durch forcierte Trockenheit nunmehr lebensfeindlich sind (u.a. weil die Tiere kein Weideland mehr vorfinden) und demzufolge
  • schon 2010 (!) mehr als 80% der Nomaden ihr traditionelles Leben hinter sich gelassen haben, in die Städte gegangen sind und dort als Flüchtende i.d.R. ein Schattendasein am Straßenrand führen (Rangel/Negrão 2010).
  • „3 Milliarden Menschen, rund 40% der Weltbevölkerung hängen von den [oft als ‚Wasserturm Asiens‘ bezeichneten] Gletschern und Flüssen des Himalajas als Nahrungslieferant ab… 1,9 Milliarden Menschen, die im Flusseinzugsgebiet des Himalajagebirges leben, profitieren von seinen Ressourcen wie Wasser“ (Gonstalla 2019, 69, vgl. Mihatsch 2017 u. Eichhorn 2019, 12).
    • Der Ganges hat seine Quellen: im Himalaya
    • Der Indus – der größte Fluss des indischen Subkontinents – hat seine Quellen: im Himalaya


Der Dalai Lama:

  • „Das Hochland von Tibet ist nunmal das größte Wasserreservoir der Welt. Dort entspringen die zehngrößten Flüsse Asien, darunter Ganges, Brahmaputra, Indus, Suthej, Irrawaddy, Salween, Gelber Fluss, Yangtse und Mekong. An deren Ufern lebt ein Fünftel der Weltbevölkerung. Ohne Wasser gibt es kein Leben“ (zit. in Alt 2020, 45).

Maxton erwähnt, dass

  • „[i]n Indien … 2019 über 600 Millionen Menschen unter der anhaltenden Dürre [litten], mehreren Städten ging das Wasser aus. In den frühen 2020er-Jahren werden über 20 indische Städte kein Grundwasser mehr haben, unter anderem Chennai und die Hauptstadt Neu-Dehli. Im Jahr 2030 werden 40 Prozent der indischen Bevölkerung komplett ohne Wasserversorgung sein“ (2020, 38).

Diese Zahlen kommen zustande, obwohl der Himalaya zu dieser Zeit noch Gletscherwasser liefert. Hier bahnt sich eine menschengemachte Tragödie an.


Auch von sog. Binnenflüchtenden erfahren wir i.d.R. nur, wenn sich in der betreffenden Region sich die Situation zur medial wahrgenommenen Katastrophe auswächst:

Kolumbien – 7,8 Mio | Syrien – 6,2 Mio | DR Congo – 5 Mio | Äthiopien – 2,6 Mio | Somalia – 2,6 Mio (vgl. UNHCR 2019)

Das Internal Displacement Monitoring Centre (iDMC) summiert mit Stand 31.12.2019 die Zahl der Binnenflüchtenden auf 50,8 Mio Menschen, davon flohen 5,1 Mio aufgrund von Naturkatastrophen:

  • „There were 50.8 million internally displaced people across the world at the end of 2019, 45.7 million as a result of conflict and violence, and 5.1 million as a result of disasters [in 95 countries]. The latter is the first ever global estimate for disasters.“ (iDMC 2020)


Apropos Binnenflüchtende: Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik hält fest:

  • „Eine Formel ‚Je mehr Klimawandel, desto mehr Migration‘ lässt sich … nicht so einfach aufstellen, weil für viele Menschen in den Entwicklungsländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas nicht Migration die schlimmste Folge der Erderwärmung ist, sondern das Gegenteil davon: Immobilität. [Die am meisten Betroffenen sind die Ärmsten der Armen: Vielen fehlen] die notwendigen Ressourcen …, um überhaupt irgendwohin migrieren zu können. Aber auch der Klimawandel kann ihnen diese Ressourcen rauben … [Man spricht von] gefangenen Bevölkerungsgruppen… Etwas überspitzt und zynisch ausgedrückt: Wer vor Klimafolgen fliehen muss, kommt meist nicht weit“ (Schraven 2020).

>> Sehr empfehlenswert: Schraven, Benjamin (2020): „Migration und Klimawandel: ‚Wer vor Klimafolgen fliehen muss, kommt meist nicht weit‘“. in: Süddeutsche Zeitung, 16.9.2020, online unter https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2020-09/migration-klimawandel-studie-benjamin-schraven-fluechtlinge-klimaflucht (Abrufdatum 28.9.2020)


Der deutsche Klimaschutzbericht 2018 prognostiziert, dass die Bedeutung des Faktors ‚Klimakrise‘ als maßgebliche Fluchtursache künftig weiter und deutlich zunehmen wird:

  • „Die mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen bedrohen mit Extremwetterereignissen wie Dürren, Überschwemmungen, Stürmen und Hitzewellen heute schon ganze Regionen und werden künftig voraussichtlich eine der bedeutendsten Fluchtursachen sein“ (BMU 2018).
ca. 2 min – Apropos „Wenn das Wasser kommt“ – Trailer zu ‚Klima-Monologe‘, 2021 – Konzept: Authentische (lange) Interviews verdichtet zu kurzen aber dann umso intensiveren, von Schauspieler*innen vorgetragenen Monologen. Wow!

Relevant und wichtig ist des Weiteren, dass „[s]chon heute [… in den Küstenregionen] laut dem [IPCC-Sonder-]Bericht 680 Millionen Menschen [leben]; bis 2050 dürfte es mehr als eine Milliarde sein. Hinzu kommen 65 Millionen Menschen, die in kleinen, ärmeren Inselstaaten leben“ (Weiß 2019).

  • „Ein Anstieg um nur einen Meter hat gravierende Konsequenzen für große Teile von Bangladesh, das chinesische Perlflussdelta, Jakarta, New York, Miami, London, die Niederlande, Shanghai und viele andere Gebiete“ (Maxton 2018, 36).


Schon 2002 (!) wurde von der UN herausgestellt, dass der Klimawandel für viele Menschen bereits Anfang des 21. Jahrhunderts eine tödliche Klimakatastrophe darstellt:

  • „In der bislang umfassendsten Studie hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2002 die Folgen des Klimawandels untersucht, Sie kommt zu dem Ergebnis, dass schon heute [Stand 2002!] jährlich mindestens 150.000 Menschen an den Folgen der globalen Erwärmung sterben. Die meisten Opfer sind in Entwicklungsländern zu beklagen und sterben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Durchfall, Malaria und anderen Infektionen oder an Nahrungsmangel“ (Rahmstorf/Schellnhuber 2018, 77).
  • Klimaforscherin Otto zitiert den Report ‚Heavy Weather‘ für den mit Hilfe der Zuordnungswissenschaft errechnet wurde, wie viele Tote einer Katastrophe statistisch gesehen auf Grund des diese Katastrophe mit bedingenden Klimawandels zuzuschreiben sind: „Durch Hitzewellen in Indien und Pakistan im Jahr 2015 seien zum Beispiel fast 4.000 Menschen ums Leben gekommen – mindestens 2.800 ließen sich dem Klimawandel zuschreiben“ (2019, 162-163).
    • (Otto gibt weiterhin zu bedenken, dass bei Vorbekanntheit solcher Fakten und Risiken „sich ein Staat haftbar …[macht], wenn er sich nicht hinreichend an den Klimawandel und sein Boten, die Extremwetterereignisse, anpasst – also die Schäden und Verluste billigend in Kauf nimmt“ (2019, 163)).
  • Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber ergänzen hier, dass Malaria sich künftig mutmaßlich auf afrikanische Hochlandregionen ausbreiten wird, wo Menschen leben, die gegen den Erreger mangels Kontakt keine Immunität besitzen (vgl. ebd.).


Laut Spiegel prognostiziert „[d]ie Weltgesundheitsorganisation [WHO] … bereits ab 2030 weltweit jedes Jahre 250.000 zusätzliche Todesfälle infolge des Klimawandels, also Gründe führt sie zunehmend Unterernährung, Malaria, Durchfallerkrankungen und Hitzestress an“ (Thelen 2019, 95).

Also quasi demnächst.


Graeme Maxton ist einer der Club of Rome-Ökonomen, die davon ausgehen, dass „[d]ie Weltbevölkerung … nie die 10 oder 11 Milliarden erreichen, die von den Vereinten Nationen einst prognostiziert wurden“ (2020, 47-48): „Die Menschheit wird sich auch bald nicht mehr wegen der 1,2 Milliarden Geburten sorgen müssen, die für die nächsten 10 Jahre erwartet werden, sondern stattdessen um die viele Toten. Wasserknappheit, Überschwemmungen, Brände und Hungersnöte werden in den kommenden Jahren immer mehr Menschen leben fordern“ (ebd., 48).

Wie anders sollte man diesen Befund, der auf Tatenlosigkeit beruht, nennen als einen „schleichenden Genozid“, so wie die FAZ es schon 2006 tat? (vgl. Paoli)


Eine Studie der ETH Zürich hält im Juli 2019 unter Annahme „einer eher konservativen Entwicklung der CO₂-Emissionen“ die für 2050 fest:

  • „‚22 Prozent (der Großstädte) werden sich zu klimatischen Bedingungen hin verschieben, die derzeit in keiner großen Stadt auf dem Planeten herrschen.‘ Zu dieser Gruppe gehören gigantische Städte wie Peking, Jakarta, Seoul, Rangun und Kuala Lumpur. Was passiert, wenn diese Städte unbewohnbar werden, durch Hitzewellen und Flutkatastrophen?“ (Stöcker 2019).


In der Süddeutschen Zeitung ist im Juni 2023 eine interaktive Grafik erschienen, die zeigt, bei welcher globalen Durchschnittstemperatur welche Weltgegenden unbewohnbar werden, hier ist z. B. zu sehen, dass [b]ei +1,5 Grad […] die Erde zu heiß [wird] für rund 419 Mio. Menschen.“

Der/Dem aufmerksamen Leser*in wird nicht entgangen sein, dass sich die hier genannten Prognosen und Zahlen mal mehr, mal weniger widersprechen. Das wird auch nicht besser unter Hinzunahme der Daten aus der Film-Doku Klimafluch und Klimaflucht (2018). Hier wird in den Schlussminuten der Doku Wissenschaftler*innen explizit die Frage gestellt, „[w]ie viele Menschen … bis 2050 zu Klimaflüchtlingen geworden sein“ werden. Die Antworten fallen – sagen wir – bunt aus:

  • Dina Ionesco, International Organization für Migration:

    „Man kann ehrlicherweise nicht sagen, wie viele Menschen zur Migration gezwungen sein werden.“
  • Walter Kälin, Platform on Disaster Displacement PDD:

    „Wir haben bewusst keine Schätzung, weil, was wir vorschlagen, ist, dass wir jetzt alles, was wir tun können, investieren müssen, damit eben Menschen ihr Land nicht verlassen müssen.“
  • Robert Oakes, UN University:

    „Wir wissen, dass jedes Jahr rund 20 Millionen Menschen vertrieben werden. Das gilt für die letzten Jahrzehnte. Dazu kommt der Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Entstehung von mehr schutzlosen Menschen. Wir können davon ausgehen, dass diese Zahlen ansteigen werden.“
  • Nina Birkelund, Norwegian Refugee Council:

    „Jedes Jahr fliehen 25 Millionen. Wenn man das hochrechnet kommt man auf, konservativ gerechnet 500 Millionen.“

    Im Vorspann wird sie abweichend davon wie folgt zitiert:

    „Heute sprechen wir von einigen Millionen Flüchtlingen. In Zukunft sprechen wir von Milliarden.“ (Hier meint sie mutmaßlich nicht nur Klimaflüchtende.)

Birkelund rechnet der Autor des Filmes Klimafluch und Klimaflucht, Thomas Aders, zum „Mittelfeld“ – „Und dann gibt es die Pessimisten, zu denen François Gemenne gehört“ (Aders 2018b):

  • François Gemenne, Universität Liège und Sciences Pro sowie Mitautor des Atlas der Umweltmigration:

    „Wenn ich schätzen soll. Meiner Meinung nach werden wir leicht bei einem Fünftel oder einem Viertel der Weltbevölkerung liegen, die Migranten sein werden. Das bedeutet ungefähr zwei bis drei Milliarden Menschen.“

>> Alle Interview-Zitate aus: Aders, Thomas (2018a): Klimafluch und Klimaflucht, 2018, SWR, online unter https://www.youtube.com/watch?v=NvJCFeGxFAI (Abrufdatum 17.8.2020)

  • Die Weltbank geht derweil von 140 Mio Klimaflüchtenden bis 2050 aus (vgl. Tagesspiegel 2018).

Aus einem Entwurf des 2019er-Sonderberichts ‚Ozeane‘ des IPCC geht hervor, dass der

  • „IPCC … bei einer Erderwärmung von höchstens zwei Grad Celsius mit 280 Millionen Flüchtlingen [allein] wegen steigender Meeresspiegel [rechnet]. Selbst wenn die Reduzierung der Erderwärmung auf unter zwei Grad gelingt, gehen die Experten [für das Jahr 2100] noch von 250 Millionen Klimaflüchtlingen aus“ (AFP 2019).
Details: Staatenlos inmitten der Klimakrise

„Staatenlos, das Wort könnte in Zeiten des Klimawandels ganz neue Bedeutung gewinnen“ (Bauchmüller 2018). Staatenlos werden nun nach und nach absehbar viele Klimaflüchtende, allen voran etwa die Bewohner der Koralleninseln wie u.a. von Kiribati, Tuvalu und den Malediven. Vor diesen Hintergründen schlägt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) einen Klimapass vor: „Der Klimapass sollte zunächst der Bevölkerung kleiner Inselstaaten, deren Staatsgebiet aufgrund des Klimawandels unbewohnbar zu werden droht, Zugang und staatsbürgergleiche Rechte in sicheren Staaten gewähren“ (WGBU 2018). Es geht hier auch um die Rechtsansprüche von Menschen, die durch die Klimakrise geschädigt werden. Und: „Staaten mit erheblicher Verantwortung für den Klimawandel sollten sich als Aufnahmeländer für Personen mit Klimapass zur Verfügung stellen“ (ebd.). Vorbild ist der ‚Nansen-Pass‘, der vom vormaligen Nordpolareisreisenden und späterem Hochkommissar des Völkerbundes für Flüchtlingsfragen, Fritjof Nansen, der dafür mit den Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, entwickelt wurde. Der ‚Nansen Pass‘ sicherte einst hunderttausenden in den Wirren des ersten Weltkrieges staatenlos gewordenen Menschen das Recht auf Einreise und Aufenthalt in über 50 Staaten.


Und eine im Mai 2020 in PNAS erschienene Studie namens Future of the human climate niche verdeutlicht, das künftig Milliarden von Menschen außerhalb derjenigen Klimabedingungen leben werden, unter denen die Menschheit prosperierte, d.h. sie mutmaßlich vor jährlichen Temperaturen fliehen, wie sie heute quasi nirgends herrschen:

  • „Over the coming 50 y[ears], 1 to 3 billion [zu deutsch: Milliarden] people are projected to be left outside the climate conditions that have served humanity well over the past 6,000 y[ears]. Absent climate mitigation or migration, a substantial part of humanity will be exposed to mean annual temperatures warmer than nearly anywhere today“ (Chi Xu et al. 2020).


Nun, keine dieser Aussagen und Schätzungen ist beruhigend. Und die immer wieder gern aufgeworfene Frage, inwieweit es sich bei Flüchtenden um lupenreine Klimaflüchtende handelt oder handeln wird – ist letztlich ohnehin unerheblich, entscheidend wird schlicht die Anzahl von Menschen sein, die aufgrund von diversen, meist Umwelt-bezogenen Gründen ‚ihre Scholle‘ verlassen werden, weil sie es müssen.
Alleine dieser Aspekt mit der mutmaßlich hohen Zahl an künftigen Flüchtenden rechtfertigt m.E. für sich genommen eine massive Hilfe-zur-Selbsthilfe-Entwicklungspolitik ab heuteAus ethischen Gründen – und wer es weniger edel möchte: Aus purer Egozentrik bzw. eurozentristischen Interessen.


Quellen des Abschnitts Konfliktpotenziale der Klimakrise: Armut, Klimakriege,
‚Natur‘-Katastrophen, Flucht



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