200 Jahre Wissen. Und politisch kaum einen Schritt weiter:
1824 hält der Physiker Jean-Baptiste Joseph Fourier fest:
„[D]ie Auswirkungen der menschlichen Industrie und alle versehentliche Änderungen der Oberflächen der Erde ändern die Temperaturen in jedem Klima. … [E]s sind die Auswirkungen auf die Temperatur zu beobachten, die sich von denen unterscheiden, die ohne den Einfluss der zusätzlichen Ursachen auftreten würden.“1
>> Anmerkung zur historischen Einordnung des Zeitpunkts dieser wissenschaftlichen Erkenntnis: Napoleon 3 Jahre tot | Beethoven schrieb an der 9. | 8 Jahre vor dem Bau der ersten Eisenbahn in Hamburg | Mr. Glühlampe Thomas Alva Edison (*1847) war noch nicht einmal geboren.
Details: Erläuterungen zu (1)
1 Quelle: Fourier, Joseph (1824, 1827): Über die Temperaturen der Erdkugel und den Planetenräumen. Kommentierung und Übersetzung: Jochen Ebel, 2014. S. 11 des PDF-Dokuments, Punkt 50 http://www.ing-buero-ebel.de/Treib/Fourier.pdf (Abrufdatum 14.6.2019) | Das vollständige Zitat: „Das Ausmaß der Bewegungen von Luft und Wasser dessen Menge, die Höhe und die Form des Oberfläche, die Auswirkungen der menschlichen Industrie und alle versehentliche Änderungen der Oberflächen der Erde ändern die Temperaturen in jedem Klima. Die Ursachen für Phänomene erzeugen beobachtbare Wirkungen, aber es sind die Auswirkungen auf die Temperatur zu beobachten, die sich von denen unterscheiden, die ohne den Einfluss der zusätzlichen Ursachen auftreten würden.“ | Der französische Originaltext: „Les mouvements de l’air et des eaux, l’étendue des mers, l’élévation et la forme du sol, les effets de l’industrie humaine et tous les changements accidentels de la surface terrestre modifient les températures dans chaque climat. Les caractères des phénomènes dus aux causes générales subsistent; mais les effets thermométriques oberservés à la superficie sont différents de cuex qui auraient lieu sans l’influence des causes accessoires“ (Fourier 1824 u. 1827).
1861 beschreibt John Tyndall den natürlichen Treibhauseffekt auf Basis von Gasen wie CO₂, Ozon, Lachgas und Methan (vgl. Bonner/Weiss 2017, 78 u. Kriener 2015).
1896 formuliert der spätere Nobelpreisträger Svante Arrhenius ein erstes Klimamodell. Dies markiert den Beginn der eigentlichen Klimaforschung.
„Dabei sind seine Kalkulationen … so genau, dass sie erstaunlich nahe an jene heutiger Supercomputer herankommen“ (Bonner/Weiss 2017, 81).
1950er Jahre – Der endgültige und eindeutige Beweis für den anthropogenen (=menschengemachten) Klimawandel wird erbracht:
Der seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre gelangte „Kohlenstoff hat eine besondere Isotopenzusammensetzung, daher konnte Hans Suess bereits in den 1950er Jahren nachweisen, dass das zunehmende CO₂ in der Atmosphäre einen fossilen Ursprung hat“ (Rahmstorf/ Schellnhuber 2018, 34).
Anders gefasst: Natürlicher Kohlenstoff ist chemisch etwas anders aufgebaut als der technisch verfeuerte Kohlenstoff – und so kann man die beiden Stoffe auseinanderhalten.
1958 läuft im US-Fernsehen folgende populärwissenschaftliche Sendung von Frank Capra – von der Sie sich einen zweiminütigen Ausschnitt unbedingt anschauen sollten! – hier der Text:
„‚Maybe now man may be unwillingly changing the world’s climate through the waste products of the civilization due to our release through factories and automobiles every year of more than six billion [dt. = Mrd.] tons of carbon dioxide, which helps air absorb heat from the sun. Our atmosphere seems to be getting warmer‘ – ‚Is this bad?‘ – ‚Well, it’s been calculated a few degrees rise in the earth’s temperature would melt the polar ice caps and if this happens an inland sea would fill a good portion of the Mississippi Valley…‘“
>> 2 min – Die Sendung The Unchained Goddess innerhalb The Bell Telephone Science Series im Jahre 1958 (!) über den Klimawandel; Backgrounds siehe wikipedia.de: Bell_Laboratory_Science_Series#The_Unchained_Goddess_(1958)/ (Abrufdatum 4.7.2019), ganze Sendung: https://www.youtube.com/watch?v=x1ph_7C1Jq4 (Abrufdatum 22.2.2021)
1964 bohren Wissenschaftler*innen einen 1.390 Meter langen Eiskern, der auch Luftbläschen von vor über 100.000 Jahren enthält, aus dem Grönlandeis heraus, Ergebnis: Selbst in warmen Jahren lag der CO₂-Wert zehntausende Jahre nie über 300 ppm“ (vgl. Bonner/Weiss 2017, 91).
1965 erhält US-Präsident Lyndon B. Johnson die Studie ‚Restoring the Quality of our Environment‘, in der der heutige Forschungsstand der Dinge weitgehend korrekt vorhergesagt wurde: „Der Mensch… hat unwissentlich ein ungeheures geophysikalisches Experiment in Gang gesetzt“ (Kriener 2015).
1971 kommt das Thema definitiv in der Bundesrepublik Deutschland an: Unter der Überschrift „Industrialisierung und Bevölkerungswachstum beeinflussen das Klima“ ist bei der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zu lesen, dass bei einem ‚Weiter so‘ „spätestens in zwei bis drei Generationen der Punkt erreicht [wird], an dem unvermeidlich irreversible Folgen globalen Ausmaßes eintreten“ (DPG 1971).
1982 weiß der US-Ölkonzern Exxon exakt1, was 2019 los sein wird:
2020 = weltweit ca. 420 ppm CO₂ in der Atmosphäre laut Exxon
korrekt ist: 2020 = weltweit ca. 414 ppm CO₂ in der Atmosphäre (ppm = parts per million = Anteile pro Million)
2020 = weltweit ca. 0,9 Grad Celsius mehr als in der vorindustriellen Zeit mit weiter ‚exxonponentiell‘ ansteigender Kurve, projiziert bis 2100 – laut Exxon
korrekt ist: 2020 = weltweit ca. 1,1 Grad Celsius mehr als in der vorindustriellen Zeit. (Aktuell, Stand 2021, geht man von ungefähr 1,2 °C aus.)
1 Stefan Rahmstorf erörterte 2019 im Spiegel, dass auch schon vorher, bereits im Juli 1977, der „leitende Exxon-Wissenschaftler James Black [noch ohne konkrete Zahlen] ein ‚Super-Interglazial‘ vorhergesagt [hat], das durch den hohen CO2-Ausstoß zustande kommen könnte. Interglaziale sind Warmzeiten, die zwischen den Eiszeiten vorkommen… [Der Wissenschaftler hat d]ie Exxon-Führungsriege … informiert, in internen Unterlagen des Konzerns findet man sein Briefing-Papier, das davor warnt, dass wir in diesem Jahrhundert das Temperaturniveau des Eem-Interglazials überschreiten werden – und dass unser Heimatplanet damit heißer als seit mindestens 150.000 Jahren werden wird“ (ebd.). Hinzuzufügen ist, dass Exxon bereits seit 1979 wöchentlich große Anzeigen in der New York Times schaltete, in denen Klima-Greenwashing betrieben wurde, vgl. S. 403.
1988 gibt es eine geheime Shell-Studie, die die anstehende Katastrophe genau beschreibt: „Es ist möglich, dass die Umwelt in einem derartigen Ausmaß geschädigt wird, dass einige Teile der Erde unbewohnbar werden könnten“ (geleakt u. zit. in Climate Files 2019).
1995 ist die promovierte Physikerin Angela Merkel als deutsche Umweltministerin Gastgeberin der ersten UN-Klimakonferenz (COP 1) in Berlin. Sie hat seither viel über Klimaschutz geredet.
1997 wurde das erste rechtsverbindliche Klimaschutzabkommen, das sog. Kyoto-Protokoll, vereinbart und „wurde von 191 Staaten ratifiziert, darunter alle EU-Mitgliedstaaten sowie wichtige Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien und Südafrika. Die USA haben das Kyoto-Protokoll bis heute nicht ratifiziert. Kanada ist im Jahr 2013 ausgetreten“ (BMU 2017).
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Naomi Klein bezeichnete – zeitlich vor ‚Paris‘ – die jährlichen UN-Klimagipfel als „kostspielige und CO2-lastige Gruppentherapiesitzung, wo die Vertreter der am meisten gefährdeten Länder der Welt ihren Kummer und ihren Zorn herauslassen, während niederrangige Vertreter der Länder, die an ihrer Tragödie größtenteils Schuld sind, auf ihre Schuhspitzen starren“ (2015, 21-22).
2006 erscheint der sog. Stern-Report (Stern Review on the Economics of Climate Change), ein ca. 650-seitiger Bericht, der federführend von Nicholas Stern verfasst wurde, dem vormaligem Weltbank-Chefökonom im Auftrag der britischen Regierung, der die ökonomischen Folgen der Erderwärmung untersucht. Alles in allem wurde hier vor allem die zu dieser Zeit als neu wahrgenommene These vertreten, dass Wachstum und Klimarettung sich nicht ausschlössen und somit wurde in diesem Bericht die Idee eines Green Growth befördert. Berühmt wurde der Statement, dass „[d]er Klimawandel das größte Versagen des Marktes [ist], das die Welt je gesehen hat“ (Stern-Report 2008 [auf Deutsch]).
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Benannt wurden – mit Stand 2006 – die zu erwartenden erheblichen Klimaschäden. Gewarnt wurde vor den daraus resultierenden gravierenden Kosten für die Weltwirtschaft: Effektiver Klimaschutz würde 1% des weltweiten BIP, einer ‚Weiter so‘ hingegen 5 bis 20%, sodass schnelles entschiedenes Handeln zu empfehlen sei. Empfohlen wurde u.a. die Einführung eines wirksamen Emissionshandels bzw. einer ebensolchen CO2-Steuer, die Förderung klimaneutraler Technologien, höhere Energieeffizienz sowie eine bessere Öffentlichkeitskommunikation (vgl. ebd. sowie wikipedia 2019).
2015 findet die UN-Klimakonferenz in Paris 2015 (COP 21) statt – die einundzwanzigste ihrer Art. Das daraus resultierende, von 197 Staaten unterschriebene, von 189 Ländern ratifizierte und völkerrechtlich bindende ‚Übereinkommen von Paris‘, welches bestürzende 50 Jahre nach dem 1965er Expertenbericht erreicht worden ist, legt die Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf ‚deutlich unter 2 °C‘ über dem vorindustriellen Niveau fest. Die Weltgemeinschaft sagt des Weiteren zu, Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
„The Parties to this Agreement… have agreed as follows… Art. 2 1. This Agreement, … aims to strengthen the global response to the threat of climate change, in the context of sustainable development and efforts to eradicate poverty, including by:
(a) Holding the increase in the global average temperature to well below 2°C above pre-industrial levels and pursuing efforts to limit the temperature increase to 1.5°C above pre-industrial levels, recognizing that this would significantly reduce the risks and impacts of climate change…“ (UN 2015).
Amtliche Übersetzung ins Deutsche:
„1. Dieses Übereinkommen zielt darauf ab, [das] …der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, da erkannt wurde, dass dies die Risiken und Auswirkungen der Klimaänderungen erheblich verringern würde…“ (BMU 2015)
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Syrien war im November 2017 das letzte Land, das dem Pariser Abkommen beigetreten ist (vgl. Bojanowski 2017). So gesehen sind die USA die einzigen, die erklären nicht (mehr) mitmachen zu wollen und damit im Jargon der 1980er Jahre sozusagen das ‚Klassenarsch‘. Derweil bedeutet ‚beigetreten‘ noch lange nicht ‚in Kraft gesetzt‘. Nicht ratifiziert wurde das Abkommen mit Stand Mai 2020 von Angola, Eritrea, Irak, Iran, Jemen, Libyen, Südsudan und die Türkei. „Vier dieser Länder – Angola, Irak, Iran und Libyen – sind Mitglied der Opec, der Organisation erdölexportierender Länder“ (Kern 2020). Bislang sind die USA das einzige Land, das offiziell erklärt hat, wieder aus dem Pariser Abkommen wieder auszusteigen: „Der formelle Austritt wird nach UN-Regeln am 4. November 2020 gültig – am Tag nach den nächsten US-Präsidentschaftswahlen. Ein neugewählter Regierungschef könnte also in letzter Minute erklären, die USA noch im Abkommen halten zu wollen (Pötter 2019, 5).
2018 – Am 20. August setzt sich Greta Thunberg das erste Mal und alleine vor das schwedische Parlament. Am nächsten Tag setzt sich jemand spontan dazu.
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Nicht allen erging es so wie Greta Thunberg, deren ungeheure Leistung sicher auch durch die ebenso große Gruppen- und Mediendynamik sowie von bspw. in Deutschland „Tausende[n] Menschen in über 600 Ortsgruppen“ (FFF-Aktivistin Lou Töllner 2020, 31) beflügelt wurde und wird. So möchte ich an dieser Stelle insbesondere auch den vielen Fridays for Future-Aktivist*innen meinen Respekt zollen, die in ihren Ländern weitgehend Alleinkämpferinnen (geblieben) sind. Beispielsweise bezeichnet die SZ die 17-jährige chinesische Klimaaktivistin Ou Hongyi als ‚Ich-AG‘. „Auf Twitter, das in China gesperrt ist, folgen ihr mehr als 10.000 Menschen, im Land aber kennt sie kaum jemand… Inzwischen schwänzt Ou die Schule nicht mehr, sie darf gar nicht mehr kommen… Der Druck auf die Familie ist groß. Wenn sie mit Journalisten aus dem Ausland spricht, rufen die Sicherheitsbehörden an, drohen Ous Eltern mit beruflichen Konsequenzen“ (Deuber 2020).
Quellen des Abschnitts Forschungs-Historie Klimawandel
Fourier, Joseph (1824, 1827): Über die Temperaturen der Erdkugel und den Planetenräumen. Kommentierung und Übersetzung: Jochen Ebel, 2014. PDF: S. 11, Punkt 50 http://www.ing-buero-ebel.de/Treib/Fourier.pdf (Abrufdatum 14.6.2019)
Otto, Friederike (2019): Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen Hochwasser und Stürme. Ullstein.
Pötter, Bernhard (2019): „Die Klimafrage“. in: Atlas der Globalisierung. Welt in Bewegung, 2019, S. 4-7.
Rahmstorf, Stefan u. Schellnhuber, Hans Joachim (2018): Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie. München: Beck. 8., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage.
Töllner, Lou (2020): „Alles zurück auf normal?“. [Urusa Ott u. Nils Husmann interviewen Lou Töllner u. Sebastian Pufpaff]. in: Chrismon, 9/2020, S. 29-31
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