Generationengerechte Politik für die Zukunft: Glaubenssätze dechiffriert

Von ‚Wachstumszwängen‘ und anderen Glaubenssätzen.

Wir alle haben unsere Unschärfen und haben Gedanken(-muster) qua Erziehung, Erfahrungen, Sozialisation, Gesellschaft und Medien übernommen ohne sie zu hinterfragen1 – und diese sind als Glaubenssätze tief in unserem Hirn eingefräst. Das macht die so verankerten Dinge aber nicht notwendig wahr und richtig.

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1 Noch schlimmer: Sie sind da, ohne das es uns wirklich bewusst ist, ohne dass wir sie fassen können – sodass es schwierig ist, sie zu reflektieren. Kaum haben wir sie hinterfragt, haben sie sich am nächsten Tag u.U. schon wieder breit gemacht in unserem Kopf. Da hilft nur intensive Arbeit an den Glaubenssätzen… s.a. Aspekt Hans Roslings Grunderfahrung im Handbuch auf S. 382. 

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TINA – There is no alternative??? TAALOA – There are always lots of alternatives!!! | Foto: unsplash/Christian Wiediger
  • Wachstum – ein Naturgesetz? Du kannst Dir eine Welt nicht ohne Wachstum vorstellen? Bedeutet das automatisch, dass Wachstum per se (immer) richtig ist?
  • Und Kuchen ohne Eier geht nicht? Oops, Du bist nicht auf dem neuesten Stand. Das geht. Sehr gut.
  • Du kannst ohne Fleisch nicht leben? Nur weil Du es seit Deiner Kindheit nicht anders kennst, ist es auch wahr? – Kann es sein, dass Du nur nicht über den Tellerrand Deiner Gewohnheiten schauen magst? Ist eine solche gedankliche Unflexibilität nicht eher ein bisschen peinlich?
  • Ein Leben ohne Auto ist für Dich Städter*in nicht vorstellbar? Schau Dir die jungen Stadtbewohner*innen an – diese nehmen ein eigenes Auto oftmals eher als ‚Klotz am Bein‘ wahr. ‚Zugang statt Besitz‘ lautet die Formel – und schon ist man ein aufmerksamkeitsintensives Ding los, dass 23 Stunden ungenutzt vor der Tür steht (vgl. S. 296).
  • Der Mensch ist im Grunde schlecht? Quatsch. Die überwältigende Mehrheit der Menschen muss ‚im Grunde gut‘ sein: Andernfalls wäre schlicht keine zivile Gesellschaft lebensfähig. Es gäbe keine.

Zwei Punkte – das negative Menschenbild und das Wachstumsdogma – möchte ich im Folgenden noch einmal gezielt herausgreifen und ‚unter die Lupe‘ nehmen:


Glaubenssatz ‚Der Mensch ist im Grunde schlecht‘

Diese Grundannahme über das Leben bzw. über den Menschen, d.h. unser negatives Menschenbild, ist m.E. gerade in Deutschland äußerst tief verankert.

Das führt im Zusammenhang mit der Klimakrise und dem sechsten Massenaussterben zu einem grundlegenden Problem:

  • Ist man davon überzeugt, dass der Mensch unverrückbar selbstsüchtig und gierig ist, geht man mutmaßlich auch davon aus, dass HöherSchnellerWeiter, Turbokapitalismus, Umweltzerstörung unvermeidbar sind – und eine entsprechende Veränderung per se unmöglich ist.

Wäre der Glaubenssatz, der Mensch sei ‚im Grunde schlecht‘ allumfassend richtig, würde dies ein bedenkliches Licht auf die Möglichkeiten werfen, der Klimakrise und sechstes Massenaussterben mittels einer sozial-ökologischen Transformation zu begegnen.


Der niederländische Autor, Aktivist und Historiker Rutger Bregman hält zu diesem negativen Menschenbild fest:

  • „Dass Menschen von Natur aus egoistisch, panisch und aggressiv sind, ist ein hartnäckiger Mythos. Der Biologe Frans de Waal spricht … von einer ‚Fassadentheorie‘. Die Zivilisation wäre demnach eine dünne Fassade, die beim geringsten Anlass einstürzen würde.“ (Bregman 2020a, 21)


Im Folgenden ist daher die Stichhaltigkeit der Fassadentheorie bzw. des negativen Menschenbildes umfassend zu prüfen entlang der Ausführungen und Untersuchungen von Rutger Bregman (Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit, 2020),Sebastian Junger (Tribe – Das verlorene Wissen um Gemeinschaft und Menschlichkeit, 2017), Hans Rosling (Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, 2018) sowie von Yuval Noah Harari (Eine kurze Geschichte der Menschheit, 2015) und Hartmut Rosa („Bedürfnis nach ‚Resonanz‘“, 2016).


1. Menschen sind im Grunde gut, neigen aber zu einem negativen Weltbild.

Bregman hinterfragt in seinem beindruckenden und überaus aufwändig recherchierten Buch Im Grunde gut (2020a) das weit verbreitete negative Menschenbild, in dem er die wesentlichen Studien der Nachkriegszeit der zu diesem Zeitpunkt noch sehr jungen wissenschaftlichen Disziplin der Sozialpsychologie untersucht. Diese prägten seither maßgeblich das Menschenbild der Menschen der westlichen Industrienationen. Subtext dieser damaligen Forschungen war stets die Fragestellung „Wie konnte es zu Auschwitz kommen?“ (vgl. 187). Bregman hat diese weit wirkenden Studien jetzt auf Basis der der nunmehr geöffneten Studien-Archive erneut analysiert und auf ihre Gültigkeit hin überprüft. Tatsächlich kommt er für jede einzelne dieser Studien zu dem Schluss, dass diese entweder manipuliert waren (vgl. 174), eine Fälschung darstellen (vgl. 176) oder im Versuchsaufbau inadäquat gewesen sind – und daher gar nicht das maßen, was sie vorgaben zu messen (vgl. 200)1. Im Ergebnis folgt aus diesen Studien etwas ganz anderes, wie der Psychologe Don Mixon erklärt: „Menschen sind bereit, sehr weit zugehen und schwer zu leiden, um Gutes zu tun“ (196). Bregman fügt hinzu, dass das Böse „sich immer als das Gute tarnen“ (ebd.) muss, d.h. Täter*innen z.B. in Diktaturen sind – oftmals –davon überzeugt, dass sie auf der richtigen Seite der Geschichte [stehen]“ (199).

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Auch die Broken Windows– sowie die Zero Tolerance-Theorie entlarvt Bregman als unwahre Varianten der Fassadentheorie, vgl. 2015, 366, 372. 

Den allermeisten Menschen ist zudem eine „natürliche Abneigung gegen Gewalt“ (248) gemein. Würden heutige Menschen ihr tierisches Mittagessen persönlich schlachten müssen, die Welt wäre eine andere – und reich an Vegetarier*innen (vgl. 246). Auch Mobbing wohnt dem Menschen nicht per se inne und tritt i.d.R. nur unter durchaus vermeidbaren Vorbedingungen auf (vgl. 320). Des Weiteren hebt Bregman hervor, dass in Kriegen viele Soldaten gar nicht bzw. viel weniger schießen, als oberflächlich betrachtet zu erwarten wäre (vgl. 103, 106) und Kriegshandlungen oftmals nicht nüchtern ablaufen. Beispielsweise hatten „die Deutschen 1940 [vor dem Angriff auf Paris]… 35 Millionen Methamphetamin-Tabletten genommen… auch bekannt als Crystal Meth, eine Droge, die extrem aggressiv machen kann“ (247). Für eine im wahrsten Sinne gezielte Ausbildung zur Soldatin bzw. zum Soldaten bedarf es daher einer umfassenden Enthemmung, um auf Menschen zu schießen (vgl. 247).

Dass wir (tendenziell) ein negatives Menschenbild besitzen, hat viel damit zu tun, dass wir evolutionsbedingt „sensibler für das Böse als für das Gute“ (32) (sog. negativity bias) sind. Schlechte Erfahrungen bleiben i.d.R. länger und emotionaler in Erinnerung als gute. Das alte Journalisten-Bon-Mot Bad news are good news ist folglich wahr: Bad news sindmit mehr Gefühlen verknüpft, also aufregender und in diesem Sinne interessanter und führen potenziell zu mehr Zeitungsverkäufen.

  • „Das Gute im Menschen findet in der Zwischenzeit keinen Platz in der Berichterstattung. Denn das Gute ist alltäglich“ (33).

Zeitungen und Nachrichten bilden folglich nicht einmal ansatzweise die Realität ab1. Während es um 1815 möglicherweise Wochen, Monate oder gar Jahre gedauert hat, bis man in einem Dorf im Hunsrück vom Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora2 gehört hat, obwohl die Hunsrücker Ernten im „Jahr ohne Sommer“ aufgrund der Vulkanasche- und Feinstaub-bedingten geringeren Sonneneinstrahlung miserabel waren (vgl. Die andere Heimat von Edgar Reitz, 2013), erfahren wir heute quasi in Echtzeit von den jeweils schlimmsten bzw. emotionalsten Nachrichten weltweit, die mit unseren eigenen Lebensumständen i.d.R. nicht das geringste zu tun haben, uns aber gleichwohl beschäftigen und prägen. Wir sind oft weit besser über Ereignisse in den USA informiert als über Neuigkeiten unseres eigenen Stadtteils.3 Wer sich also morgens als erstes ‚Die Zeitung‘ reinzieht, ist bereits vor dem Frühstück gewissermaßen mit einer Negativität aufgeladen, die realitätsfern ist.

Details: Erläuterungen zu (1) bis (3)

1 Rosling erwähnt, dass „über einen Zeitraum von zwei Wochen … 31 Menschen an der Schweinegrippe gestorben [waren], und eine Mediensuche in Google ergab 253.442 Artikel über die Krankheit. Das waren 8.176 Artikel pro Todesfall. Im gleichen Zeitraum… waren … etwa 63.066 Menschen an Tuberkulose (TB) gestorben“ (2018, 166). Kaum notwendig zu erwähnen, dass die TB-Opfer fast alle im Globalen Süden starben.

2 5. bis 10. April 1815, größter Vulkanausbruch „in den vorangegangenen 5000 Jahren, also in dem Zeitraum, für den wir schriftliche Quellen besitzen“ (Behringer 2020). „Erst ein halbes Jahr später, am 20. Februar 1817, stieß … [der weimarische Bergbauminister Johann Wolfgang von Goethe] im Morgenblatt für gebildete Stände auf einen Bericht über den Ausbruch des Vulkans“ (ebd., Hervorhebung Behringer). „Einen Zusammenhang zu seinem missglückten Sommer, zur Abkühlung, zum Dauerregen und zu den Missernten des Jahres 1816 stellten jedoch weder er noch die Kommentatoren der Zeitschrift her“ (ebd.). Nachfolgend stellt Behringer die massiven Folgen hinsichtlich Armut, Demographie, Migration, weltweite Gesundheit heraus.

3 Aber haben Sie auch mitbekommen, dass es zeitgleich mit den südöstlichen Waldbränden im Norden Australiens massive Starkregenfälle gab; dass die Menschen in Ostafrika „Ende 2019 die stärksten Regenfälle seit 40 Jahren“ erleben mussten und dass seit Juni 2020 „[d]as Jangtse-Gebiet… unter einer der schlimmsten Flutkatastrophen seit Jahrzehnten litt [und mit Stand Ende September]… [m]ehr als vier Millionen Menschen evakuiert wurden[?]“ (Schlak 2020, 34). Wenn Sie das wussten, sind Sie ganz vorn mit dabei – aber ich schätze, dass Sie dazu weniger wissen, als wenn ein Hurricane New Orleans erreichte. 

Die Realität hingegen ist, dass in Notsituationen, wie z.B. zur Zeit des Hurricanes ‚Katrina‘ in New Orleans 2005 „das Beste im Menschen zum Vorschein [kommt]“ (23): „[E]gal wie viel geplündert wird… es verblasst immer im Vergleich zu dem weitverbreiteten Altruismus, der zu einem großzügigen und umfangreichen Geben und Teilen von Gütern und Diensten führt“ (ebd.). Und worüber berichten die Zeitungen? Genau. Und im Falle von New Orleans schrieben sie darüber hinaus über lauter grauenvolle Dinge, deren spätere Überprüfung ergab, dass sie allesamt Fake News1 waren (vgl. 22).

Details: Erläuterungen zu (1)

1 „Die Menge Energie, die nötig ist, um Bullshit zu widerlegen, ist zehnmal so groß wie die Energie, die nötig ist, um ihn zu produzieren“, so der IT-Spezialist Alberto Brandolini. Er bezieht sich eigentlich auf Softwareentwicklung, doch kann das Bonmot getrost auf Fake News, schlechte Statistiken und Zahlen angewendet werden. Die Zeit merkt dazu an: „Und als ‚Brandolinis Gesetz‘ hat es das Bullshit-Asymetrie-Prinzip bis in die Wissenschaftszeitschrift Nature geschafft“ (Kara 2018, 33). 

Journalist*innen hatten und haben bei der Auswahl bevorzugt negativer Nachrichten z.B. durch die (Nicht-)Berichterstattung direkten und dabei überaus anhaltenden Einfluss auf unser aller Menschenbild. Bregman führt aus:

  • „Ich vertiefte mich in die akademische Literatur und stieß bald auf ein Muster: Wenn ein Wissenschaftler den Menschen als mordsüchtigen Affen darstellte, wurde diese Studie meist von Journalisten aufgegriffen. Aber wenn ein Kollege die Gewalttätigkeit des Menschen relativierte, fand das kaum Aufmerksamkeit“ (109).

Unser negatives Menschenbild prägt auch die Art, wie mit Straftäter*innen umgegangen wird – und sorgt dafür, dass es unserer Intuition widerspricht, Insass*innen von Gefängnissen sehr gute Lebensbedingungen zu bieten. Doch zeigt diese in Norwegen gelebte positive Praxis, dass es aufgrund einer ungleich niedrigeren Rückfallquote z.B. in Relation zu den USA ethisch, finanziell und gesamtgesellschaftlich viel Sinn macht, entsprechend vorzugehen (vgl. S. 360 u. Michael Moore, Doku Where To Invade Next, 2015).


Mit der Herausstellung, dass unser Weltbild viel zu negativ und daher realitätsfern ausfällt, schließt Bregman an die Studien von Hans Rosling (s.a. S. 613ff.) an, der in seinem Buch Factfulness – wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist (2018) nachweist, dass Menschen nicht nur ein immer wieder viel zu negatives Bild vom Weltgeschehen haben, sondern darüber hinaus sogar nach Beweis des Gegenteils an diesem Welt- und Menschenbild irrational-beharrlich festhalten:

  • „Selbst unmittelbar nach meinen Präsentationen hörte ich, wie Leute Ansichten über Armut und Bevölkerungswachstum äußerten, die ich soeben mit Fakten wiederlegt hatte“ (2018, 22).

Das Erstaunen über den irrational-beharrenden Wesenszug des Menschen zieht sich durch Roslings gesamtes 400-seitiges Buch.


Zu alledem passt auch, dass die meisten Menschen nur schwerlich in der Lage sind, positive Utopien gedanklich zu entwickeln, während Dystopien das verkaufsfördernde Salz in der Suppe eines jeden Hollywood-Blockbusters vom Schlage Armageddon (1998, mit Bruce Willis) sind.

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa bemerkt dazu:

  • „Das Erstaunlichste unserer modernen Gesellschaft ist, dass es uns viel leichter fällt, uns das Ende der Welt auszumalen als eine Alternative zu unserem herrschenden ökonomischen, politischen und kulturellen System“ (zit. in Opitz 2012, 253).

Zwischenfazit: Die das Menschenbild bis heute maßgeblich prägenden Studien der Nachkriegszeit haben keine Gültigkeit. Menschen wollen auf der guten Seite stehen, neigen aber dazu, die (Mit-)Welt negativer zu sehen als sie ist. Letzteres ist evolutionsgeschichtlich zu erklären.

Zur genaueren Beantwortung der Frage, ob der Mensch an sich eher gut oder schlecht ist, ist ein erweiterter Blick in eben jene Evolutionsgeschichte der Menschheit zu werfen:


2. Evolutionsgeschichte des Menschen: Survival of the friendliest

Der Mensch stammt bekanntermaßen vom Affen ab – was ihn von letzterem abhob, beschreibt der Autor, Journalist und Dokumentarfilmer Sebastian Junger in seinem 2017 veröffentlichten Buch Tribe. Das verlorene Wissen um Gemeinschaft und Menschlichkeit:

  • „Zwei der Verhaltensweisen, die nur den [verschiedenen] frühen Menschen eigen waren, sind das systematische Teilen von Nahrung und die altruistische Verteidigung der Gruppe. Andere Primaten verhielten sich kaum so, aber die Hominiden taten es, und dieses Verhalten half, sie auf einen evolutionären Weg zu bringen, der die moderne Welt schuf. Die frühste und grundlegende Definition von Gemeinschaft – von Stamm – wäre damit: die Gruppe Menschen, die zu ernähren und zu verteidigen man helfen würde“ (142).

Bregman arbeitet ergänzend heraus, was den Homo Sapiens von (fast) allen Primaten sowie von den weiteren Vertretern der Gattung ‚Homo‘, darunter der Neandertaler (Homo neanderthalensis), unterscheidet: Weniger seine Hirnleistung o.ä. (vgl. 2020a, 75) – sondern: seine soziale Kompetenz.

  • „Wir waren dümmer, aber besser miteinander vernetzt“ (Bregman 92).

Der Historiker Yuval Noah Harari fügt dem hinzu:

  • „Wenn der Homo sapiens die Welt eroberte, dann vor allem dank seiner einmaligen Sprache“ (2015, 31)1

die äußerst komplexe soziale Interaktionen ermöglicht.

Details: Erläuterungen zu (1)

1 … und aufgrund der wohl nur beim Homo sapiens so bestehenden erzählerischen Fähigkeiten, dank der man in großen Gruppen effektiv zusammenarbeiten konnte (vgl. Harari 2015, 51). 

Der russische Forscher und Genetiker Dmitri Beljajew geht über die grundlegende Abstammung von Affen hinausgehend davon aus, dass

  • „wir domestizierte Affen sind. Mit anderen Worten, er[, d.h. Beljajew] nahm an, dass die freundlichsten Menschen in Zehntausenden von Jahren die meisten Nachkommen gezeugt hatten: The survival of the friendliest“ (Bregman 2020a, 85).

Analog zur Haustierwerdung z.B. des Wolfes seien uns dabei Stresshormone und somit viel Aggressionspotenzial z.B. gegenüber unseresgleichen abhanden gekommen.

  • „Ein Jahrhundert zuvor hatte Charles Darwin bereits festgestellt, dass domestizierte Tiere – Schweine, Kaninchen, Schafe – erstaunliche[, visuell erkennbare] Ähnlichkeiten aufweisen. Sie sind etwas kleiner als ihre wilden Vorfahren. Sie haben kleinere Gehirne und Zähne… Und vielleicht das Auffälligste: Sie behalten auch nach ihrer Kindheit ein jugendliches Aussehen“ (81).
  • Außerdem geht man heute davon aus, dass domestizierte Tiere trotz kleinerer Gehirne intelligenter und klüger sind als ihre wilden Verwandten (vgl. 89).

Auf diese Weise – namentlich aufgrund seiner sozialen Intelligenz – konnte sich der Homo sapiens – Bregman nennt ihn nun folgerichtig „Homo puppy“ (vgl. 86f.) – mit eben diesen – vor allem kommunikativen – Eigenschaften durchsetzen gegen andere menschliche und tierische Spezies, woraus der Schluss zu ziehen ist:

  • „Kampf und Konkurrenz spielen eine klare Rolle in der Entwicklung des Lebens, aber jeder Erstsemesterbiologe lernt heutzutage, dass Zusammenarbeit viel ausschlaggebender ist“ (94).

Schade, dass dies nicht – am besten gleich in der Orientierungseinheit – auch Studierenden der ökonomischen Fachrichtungen à la BWL beigebracht wird.

>> Zur u.a. auch von Michael Kopatz erhobenen Forderung, Studierende der Betriebswirtschaftslehre etc. auch mit Wirtschaftsmodellen und -theorien außerhalb der Wachstumslogik vertraut zu machen siehe Abschnitt Ideen für eine nachhaltige Zukunft, S. 499.


Die Wirtschaftswissenschaften stützen ihre stark von der Fassadentheorie geprägten Theorien auf die Annahme, der Mensch sei ein Homo oeconomicus. Es wurde – so Bregman – allerdings erst um das Jahr 2000

  • „untersucht, ob es überhaupt einen ‚Homo oeconomicus‘ gab… Sie führten auf der Suche nach jemandem, der dem egoistischen Menschenbild entsprach, dem die Wirtschaftswissenschaftler seit Jahrzehnten anhängen, allerlei Tests mit Bauern, Nomaden, Jägern und Sammlern durch. Ohne Ergebnis. Immer wieder verhielten sich die Menschen sozial und grundgut… [Schließlich fand man das gesuchte Wesen doch:] Als Homo oeconomicus erwies sich nämlich der Schimpanse“ (35)1.

„Menschen [hingegen] tun ständig seltsame Dinge, die nicht ins behavioristische Menschenbild2 passen“ (296).

Man denke hier an Hobbys, Freiwilligenarbeit, Aktivismus, Zivilcourage oder körperliche Anstrengungen wie bspw. Bergsteigen.

Details: Erläuterungen zu (1) und (2)

1 Hier merkt Harari sehr schön an, dass Menschen ein einmaliges Erzähl- und Vorstellungsvermögen haben: „Das Einmalige ist, dass wir uns über Dinge austauschen können, die es gar nicht gibt. Soweit wir wissen, kann nur der Sapiens über Möglichkeiten spekulieren und Geschichten erfinden. … Einen Affen würden Sie jedenfalls nie im Leben dazu bringen, Ihnen einen Banane abzugeben, indem Sie ihm einen Affenhimmel ausmalen und grenzenlose Bananenschätze nach dem Tod versprechen“ (2015, 37).

2 Vereinfacht ausgedrückt ist hier gemeint, das Menschen gemäß dem Behaviorismus lernen und bestrebt sind nur Dinge zu machen, die Ihnen unmittelbare z.B. geldliche Vorteile bringen. 


Auch Richard David Precht hebt hervor, dass es keineswegs Teil der biologischen Natur des Menschen ist, „bei allem, was sie herstellen, stets das Ziel verfolgen, ihr Geld zu vermehren, … Wäre dies so, hätte die Menschheit bis in die Renaissance weitgehend gegen ihre eigene Natur gelebt und täte es in manchen Teilen der Welt, etwa im Ituri-Urwald, bei den Massai oder den Mangyan auf den Philippinen noch heute“ (2018, 19).


Der Mensch ist also aus einer Survival of the friendliest-Evolution1 hervorgegangen – und war längste Zeit seiner irdischen Existenz Jäger*in und Sammler*in. Schon der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) ging davon aus, dass der Mensch als Wildbeuter ein bezogen auf Mitmenschen überaus friedliches Wesen aufwies und „wir von innen heraus gut seien“ (Bregman 2020a, 64), uns jedoch die Zivilisation, d.h. die sog. Landwirtschaftliche Revolution verdorben habe (vgl. ebd., s.a. Harari 2015, 101ff.).

Details: Erläuterungen zu (1)

1 Durch die Abwandlung von Darwins Formulierung „Survival of the fittest“ als „survival of the friendliest“ deutet Bregman an, worin der Unterschied zwischen der Evolution des Menschen und der weiteren Tierwelt besteht. Die Darwin’sche Formulierung „Survival of the fittest“ bedeutet übrigens „Überleben des der Umwelt am besten Angepassten“. Die sozialdarwinistische Auslegung, der zufolge der Stärkste gewinne (und daraus ein ‚Recht des Stärkeren‘ abzuleiten sei), ist eine folgenreiche, aber falsche Auslegung (vgl. Neffe 2008). Man denke hier das klassische Beispiel eines Pflanzenhalms, der sich steif und starr Windböen aussetzt und irgendwann bricht, während ein besser an den Lebensbedingungen angepasster Pflanzenhalm sich flexibel dem Wind beugt, um sich dann, nach Abflauen des Windes, wieder aufzurichten und der Sonne entgegenzustrecken. 

In der Tat ist es äußerst zweifelhaft, ob sich der Mensch seinerzeit einen Gefallen damit getan hat, sesshaft zu werden:

  • Bregman zeigt, dass die historisch ersten Kriege erst in dem Zeitraum zu verzeichnen sind, als Menschen ihr Dasein als Jäger*innen und Sammler*innen aufgaben und sesshaft wurden: „Zehntausende Jahre sind wir als Nomaden über die Erde gezogen und Konflikten aus dem Weg gegangen“ (226, vgl. 116). „Höhlenmaler begannen [im Unterschied zu vorher], Bilder von Bogenschützen zu zeichnen, die einander angriffen“ (124). „Mit dem Aufkommen der ersten großen Siedlungen begann sich das religiöse Leben radikal zu verändern. Zum ersten Mal glaubten die Menschen an mächtige und rachsüchtige Götter“ (130). Und: „Mit der Erfindung des Privateigentums und der Landwirtschaft ging die Zeit des Proto-Feminismus zu Ende… Das Patriachat war geboren“ (127-128) sowie allgemein profundere Herrschaftsstrukturen. Ergo: „Was wir heutzutage ‚Meilensteine der Zivilisation‘ nennen – die Erfindung von Geld, Schrift und Rechtsprechung –, waren ursprünglich Meilensteine der Unterdrückung“ (133).


Diese Beschreibungen legen nahe, dass wir Menschen mit den Folgen der landwirtschaftlichen Revolutionen nicht gut umgehen konnten und können. Gerne würden wir die Dinge dennoch positiv gestalten, weshalb wir in Gruppenprozessen – normalerweise – „die bescheidensten und freundlichsten Typen zum Anführer wählen“ (255).

Für solche Hierarchien sind wir Menschen jedoch nur bedingt geeignet, weshalb es passieren kann, dass, „sobald diese Führer an der Spitze stehen, … ihnen die Macht zu Kopfe steigt“ (ebd.).

Bregman hält dazu fest:

  • „Machtgefühle [stören] einen mentalen Prozess…, den Wissenschaftler auch als ‚Spiegelung‘ bezeichnen, einen Prozess, der eine wichtige Rolle bei der Empathie spielt. Normalerweise ist der Mensch ein sich durch und durch spiegelndes Wesen. Wenn jemand lacht, lachen wir ebenfalls. Wenn jemand gähnt, gähnen wir mit. Aber die Mächtigen spiegeln seltener. Es ist, als wären sie nicht mehr mit anderen Menschen verbunden. Als wäre der Stecker gezogen“ (253-254).

Daneben gibt es die elite panic, die „entsteht, weil die Machthaber die Menschheit für ihr eigenes Ebenbild halten“ (Rebecca Solnit zit. in Bregman 2020a, 24).

Macht ist nichts, was dem Menschen ureigen ist, denn eigentlich möchte er Teil der Gemeinschaft sein.

…mehr

Und weil er eigentlich Teil der Gemeinschaft ist bzw. sein möchte, fällt es ihm auch schwer auszuscheren und „gegen die Gruppe aufzutreten“ (Bregman 2020a, 290). Das ist sozusagen eine Art Machtanmaßung, ohne diese zu besitzen – und weil man diesen Status nicht hat, kann man sich auch kaum abgrenzen, zumal man es sich ja nicht verscherzen möchte. 

Macht vereinzelt, isoliert – und entmenschlicht daher. So stellte bereits Astrid Lindgren äußerst treffend fest:

  • „Macht zu haben und sie nicht zu missbrauchen, ist wohl das Schwerste, was es im Leben gibt“ (zit. in Deggerich 2002).

Umgekehrt üben Macht, Berühmtheit und Geld auf manche Menschen eine merkwürdige Anziehungskraft aus.

Ernsthaft. Bitte gebt dem nicht nach.

Wer auf großem Fuß lebt, tritt mit dem selbigen den Planeten in den Allerwertesten.

Es bedarf hier eines radikalen Aufmerksamkeitsentzugs – und evtl. eines Überdenkens der eigenen psychischen Befindlichkeit…

Könnten wir bitte aufhören, Menschen für ihr Vielfliegertum, Managergehabe und für ihre Protzerei zu bewundern?1


Details: Erläuterungen zu (1)

Gehen wir hier mal tief ins Detail: Der Tourismusforscher Stephan Gössling hat 2019 für das Jahr 2017 das Flugreiseverhalten von zehn Prominenten, darunter Bill Gates (59 Flüge mit 356 Flugstunden=1.629,4 t CO2, d.h. Bill Gates war 2017 rechnerisch täglich eine Stunde lang ‚über den Wolken‘ bzw. 14 Tage lang gar nicht auf dem Boden), Mark Zuckerberg (44|110|485,1), André Schürrle (36|86|18,3), Jennifer (Lopez 77|233|1.051,0) und Paris Hilton (68|286|1.261,3) (vgl. S. 9 u. 12) akribisch untersucht. Die/der durchschnittliche US-Amerikaner*in verbraucht 17,1t CO2 pro Jahr (vgl. S. 72), ein*e Deutsche*r 11,17t, ein*e Nigerianer*in 0,08396t – der weltweite Durchschnittsverbrauch liegt bei etwa 5t. Das bedeutet, dass Bill Gates allein aufgrund seines ‚Flugverhaltens‘ – seine sonstigen ‚CO2-Lebenshaltungskosten‘, die auch nicht soooo niedrig sein werden, nicht eingerechnet, für den Planeten eine etwa 100x stärkere Belastung darstellt als Durchschnittsamerikaner*innen hinsichtlich ihres gesamten Lebensstils. Bezogen auf Deutschland = Faktor 133, auf Nigeria = 19.057, auf den globalen Durchschnitt = 320. Bill Gates nimmt sich heraus, fast 20.000 Mal so viel CO2 per Flugzeug in die Luft zu jagen wie ein(e) durchschnittliche*r Nigerianer*in per Lebensstil. Stephan Gössling setzt den globalen Durchschnittswert für ‚jährliche CO2-Emissionen pro Kopf aufgrund Fliegens‘ auf 0,1 t (vgl. Hutsteiner 2019). Daraus ergibt sich, dass Bill Gates 16.000 Mal mehr CO2 durch Fliegen verursacht als der Durchschnittsmensch. Auf das 1,5 °C-Ziel (67%) bezogen steht jedem Menschen am 3.6.2020 gegen 12 Uhr mittags noch ein Gesamtbudget von 40,8 t zur Verfügung – nicht für ein Jahr, sondern für die gesamte Zukunft (vgl. Handbuch S. 72). Mr. Gates beansprucht folglich das Lebens-CO2-Restbudget von rechnerisch 39,95 Menschen. Mit welchem Recht? Auch für die anderen hier genannten Promis und viele, viele weitere Vielflieger*innen und Privatjetter*innen ergeben sich logischerweise groteske Werte für eine solche Statistik. Was für eine Gegenleistung erbringt Paris Hilton für diese Erdbelastung? Nun, in meinen Augen: Keine. In den Augen von zusammengenommen 175 Millionen Instagram-Followern der 10 hier analysierten Promis (vgl. Gössling 2019, 13) mag das anders aussehen – für viele dieser oft jüngeren Follower*innen handelt es sich hier mindestens teilweise um Rollenvorbilder: „Followers, and in particular younger people, may embrace frequent flier identities as a social norm established by celebrities. This would primarily include positive associations with flight, specifically when following the ‚carbon boomer’ celebrity type“ (ebd.).
Diese Art von Hybris führt auch zu merkwürdigen Begebenheiten wie z.B., dass der Bayern-Spieler Corentin Tolisso seinen Tätowierer im Januar 2021 (nebenbei bemerkt: mitten im Corona-Lockdown) aus Spanien einfliegen lässt (vgl. Kilchenstein 2021) und Christiano Ronaldo einen Monat später „seine Katze per Privatjet zum Tierarzt [schickt]“ (Spiegel 2021). Wie sollte man das angesichts der Weltlage und der bedrohten planetaren Grenzen anders bezeichnen als als lebensverachtend?  

Zwischenfazit: Der Mensch ist Mensch geworden, weil er sich vernetzt, für seine Gruppe einsteht1 und auch Dinge macht, die ihm keinen unmittelbaren persönlichen Vorteil erbringen. Als er sesshaft wurde, nahmen Konflikte in allen Bereichen zu, weil er nun ein Leben führte, für das er qua Evolution nicht vorgesehen war: Vermehrt kamen Besitz, Macht, Hierarchie, Ungleichheit, Patriachat, Abgrenzung und Egoismus ins Spiel. Und damit vermehrt auch der abwärtsgerichtete soziale Vergleich, wie der Kognitionspsychologe Christian Stöcker feststellt: „Der ganze Kapitalismus von heute funktioniert nur, weil abwärtsgerichteter sozialer Vergleich – mein Erfolg, dein Misserfolg – ein so effektiver Motivator ist“ (2016).2

Details: Erläuterungen zu (1) und (2)

1 Die Bildung einer Gruppe setzt – so wie der Mensch es handhabt – i.d.R. auch eine Abgrenzung nach außen voraus, um der Gruppe eine eigene Identität zu verleihen, sie zu definieren, zu stabilisieren bzw. stabil zu halten. Harari führt dazu über Fremdenfeindlichkeit hinausgehend aus, dass „[d]er Homo sapiens … nicht gerade für seine Toleranz bekannt [ist]. In der Geschichte der Art reichte oft schon ein winziger Unterschied in Hautfarbe, Dialekt oder Religion, damit eine Gruppe von Sapiens eine andere ausrottete (2015, 29).

2 Dieser Prozess mündet schnell in Verachtung – eine „Methode der Selbstwertsteigerung“ (Stöcker 2016), die, so möchte ich hinzufügen, besonders dort zum Einsatz kommt, wo eigentlich Unsicherheit, mangelndes Selbstmitgefühl (vgl. Neff 2012) und Selbstentfremdung dominiert. 


3. Menschen sind soziale Wesen – und wollen vor allem eines: Sinnstiftung.

Wenn man die Fassadentheorie unter dem Aspekt ‚angeblicher Egoismus des Menschen‘ betrachtet sowie die Punkte „Zusammenarbeit/Kooperation statt Konkurrenz“ und „in Notsituationen kommt das Beste zum Vorschein“ zusammennimmt, landet man unweigerlich erneut bei Sebastian Jungers Buch Tribe. Auf ganz andere Weise als Bronnie Wares 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen (2011)1 zeigt Junger auf, was Menschen eigentlich wichtig ist und was sie/er (abseits der Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schlaf, Sicherheit etc.) zum Wohlfühlen benötigt:

6 min – Der Kurzfilm EL EMPLEO / THE EMPLOYMENT (2008) zeigt sehr beeindruckend, wie das Leben eher nicht laufen sollte… siehe https://youtu.be/cxUuU1jwMgM (Abrufdatum 21.2.2021)
  • Die „Theorie der Selbstdetermination… besagt, das der Mensch dreier grundlegender Voraussetzungen bedarf, um zufrieden zu sein: Er muss das Gefühl haben, seine Arbeit kompetent verrichten zu können, sein Leben muss ihm authentisch erscheinen, und er braucht das Empfinden, mit anderen Menschen in Verbindung zu stehen. Diese Werte gelten als ‚intrinsisch‘, was menschliches Glück betrifft, und wiegen weitaus schwerer als ‚extrinsische‘ Werte wie Schönheit, Geld oder Status“ (Junger 2017, 44).


Menschen fühlen sich intensiv mit anderen Menschen verbunden, wenn sie sich von ihnen ‚gesehen‘ fühlen – das ist Sinnstiftung pur: Menschen wollen gebraucht werden bzw. sich als nützlich empfinden, für andere Menschen da sein, d.h. für die Gemeinschaft. Dann wissen sie, wofür sie leben.2


>> vgl. Aspekt ‚Dana Meadows lehrte uns: ‚Menschen brauchen keine riesigen Autos; sie brauchen Respekt‘, S. 442 im Abschnitt Wir müssen ran an unser ökonomisches System, S. 438.

Details: Erläuterungen zu (1) und (2)

1 Harald Welzer weist darauf hin, dass „[d]as metaphysische Programm der Moderne … in der Überwindung von Endlichkeit [besteht], ihre Wirtschaftsform ist der säkulare Versuch der Überwindung des Todes“ (2016, 208), weshalb er total ausgeblendet wird, ausgeblendet werden muss, denn, wenn es ans eigene Sterben geht oder Schicksalsschläge passieren, „spielen die [weltlichen] Dinge, die kurz vorher noch enorm wichtig erschienen… so gar keine Rolle mehr“ (ebd. 209), sodass also Konsumismus in einer Gesellschaft, die den Tod weniger stark negiert, eigentlich keinen Sinn machen würde.

2 Hinzu tritt die sog. Generativität – das sinnstiftende Bedürfnis, „sich in einen größeren Zusammenhang eingebunden zu fühlen“ (Schnabel 2018, 192) und „etwas an andere Generationen weiterzugeben und zum ‚großen Ganzen‘ beizutragen“ (ebd.), vgl. Abschnitt Einseitige Kündigung des Generationenvertrages, S. 232). 

Doch die moderne Ellbogen-Leistungsgesellschaft steht dem diametral entgehen – und es gibt immer weniger Lebensbereiche, in denen Gemeinschaft im Vordergrund steht.

Sebastian Junger pointiert:

Menschen möchten dem o.g. „Gefühl der Nutzlosigkeit“ entgehen, sodass 13 Mio Views kein Zufalls sind, siehe Julia Engelmann: One Day/Reckoning Text (Eines Tages Baby…) beim „5. Bielefelder Hörsaal-Slam“, Campus TV 2013, online unter https://youtu.be/DoxqZWvt7g8 (Abrufdatum 21.2.2021) (Länge: 6 min)
  • „Die moderne Gesellschaft hat die Kunst perfektioniert, den Menschen das Gefühl der Nutzlosigkeit zu geben“ (Junger 2017, 19)1.

Mit entsprechenden Konsequenzen:

  • „Wo Wohlstand und Urbanisierung einer Gesellschaft zunehmen, steigen Depressions- und Selbstmordraten in der Regel eher, als dass sie sinken“ (41).2
  • „Laut einer Untersuchung durch die Weltgesundheitsorganisation WHO leiden die Menschen in reichen Ländern achtmal so oft an Depressionen wie die in ärmeren Ländern“ (42).

Entgegen unserem intuitiven Gefühl kann in Krisen- und Kriegszeiten die Anzahl der psychischen Erkrankungen und Suizide sinken:

  • „Vor dem [Zweiten Welt-]Krieg wurde [in Großbritannien] vier Millionen Menschen der psychische Zusammenbruch prognostiziert, aber obwohl der ‚Blitz‘ anhielt, registrierten die psychiatrischen Kliniken im ganzen Land sinkende Aufnahmezahlen. … Psychiater beobachteten irritiert, dass Langzeitpatienten erlebten, wie ihre Symptome während der Zeit starker Luftangriffe abklangen. Die Anzahl freiwilliger Selbsteinweisungen in die Psychiatrie nahm auffällig ab, und sogar Epileptiker berichteten, dass ihre Anfälle seltener wurden. ‚In Friedenszeiten chronisch neurotische Menschen fahren jetzt Krankenwagen‘, bemerkte ein Arzt“ (73-74).
  • „‚Wenn Menschen sich aktiv für eine Sache engagieren, sehen sie mehr Sinn in ihrem Leben… und daraus resultiert die Besserung ihrer mentalen Gesundheit‘, schrieb [der irische Psychologe H.A.] Lyons 1979 im Journal of Psychosomatic Research“ (75)3.
  • Doch steht und fällt diese Aussage eben mit dem ‚gefühlten Sinn‘ bzw. dem nicht gefühlten Sinn. Und zwischen ‚destruktiver Krise‘ und ‚das füreinander Einstehen in einer Krise‘ liegt ein schmaler Grad. Bezogen auf die Folgen der derzeitigen Corona-Krise hält die Psychologin Tanja Michael in der SZ fest: „Von früheren Krisen wie der Deepwater-Horizon-Ölkatastrophe wissen wir aber: Viele Menschen werden danach sehr erschöpft sein, weil sie jetzt bis an ihre Grenzen und darüber hinaus gearbeitet haben. Viele Menschen werden in dieser Zeit häusliche Gewalt erlebt haben. Und es werden mehr Menschen an psychischen Störungen erkrankt sein.“
Details: Erläuterungen zu (1) bis (3)

1 Dies gilt allgemein – und auch explizit für allzu viele Jobs, die so öde bzw. frustrierend sind, dass viele Menschen den Job ausschließlich als Mittel zum Zweck, d.h. zum Zweck der Geldbeschaffung z.B. für Kompensationen in der Freizeit ansehen.

2 Über die USA der 1950er Jahre schreibt Jörg-Uwe Albig: „Freigiebig verteilte Kredite lassen auch den Familien mit klammen Geldbörsen keine Ausrede mehr, sich vor dem Konsumwettlauf mit dem Nachbarn zu drücken… Der Überbietungskrieg der Konsumenten nimmt solche Ausmaße an, dass Kritiker die Vorstadt als ‚Ulcerville‘, als ‚Magengeschwürstadt‘, beschreiben – und selbst der Ärzteverband [in den 1950er Jahren] mit strengen Worten vor dem Stress des Kaufwettbewerbs warnt. Beruhigungsmittel werden nun zu Massendrogen: 1957 schreiben [US-]Amerikas Ärzte fast 40 Millionen Rezepte für Tranquilizer aus“ (2020, 63).

3 In dem populärpsychologischen Klassiker Sorge Dich nicht – lebe! (1948)vonDale Carnegie (1888-1955) wird der Arzt u. Psychologe Alfred Adler (1870-1937) zitiert, der seinen Patient*innen riet: „Sie können in vierzehn Tagen geheilt sein, wenn Sie folgenden Rat beherzigen: Bemühen Sie sich jeden Tag herauszufinden, wie Sie jemand eine Freude machen können“ (2009, 217). 

15 min – Was macht eigentlich ein gutes Leben aus? Robert Waldinger spricht in seinem TEDtalk über eine 75 Jahre laufende Langzeitstudie, die hier wesentliche Erkenntnisse hervorgebracht hat, online unter https://youtu.be/q-7zAkwAOYg (Abrufdatum 23.2.2021)

Der Soziologe Hartmut Rosa bezeichnet das Urbedürfnis des Menschen, welches Junger in Tribe beschreibt, als das Bedürfnis nach ‚Resonanz‘: Auch er sieht Konsum, dem immer etwas Passives anhaftet, als bequemes und psychologisch letztlich nicht ausreichendes Surrogat für das aktive, sinnstiftende In-der-Welt-sein, bzw. Mit-der-Welt-Verbundensein: „Der Massenkonsum war das Heilsversprechen der nivellierten Mittelstandsgesellschaft und später einer globalisierten Klasse von Käufern. Was wirklich fehle zum Glück, so Rosa, sei eine antwortende Welt. Resonanzerfahrungen macht der Mensch beim Essen, beim Lachen, beim Lieben“ (Kern 2019): „‚Wenn Beschleunigung das Problem ist, ist Resonanz vielleicht die Lösung‘“ (ebd.), konstatiert Rosa.

Umweltpsychologe Gerhard Reese weist in diesem Zusammenhang auf eine mögliche Sicht auf die Welt:

  • „Es gibt einen Ansatz, der nennt sich … ‚Globale Identität‘ oder ‚Identifikation mit der gesamten Menschheit‘ – und der Ansatz geht davon aus, dass, wenn wir es schaffen uns quasi mit der gesamten Menschheit als Gruppe zu sehen und mit dieser Gruppe zu identifizieren und dann durch diese Identifikation erleben, dass alle Menschen die gleichen Rechte, die gleichen Pflichten, den gleichen Wert haben, dass diese Identifikation uns motiviert uns eher klimaschützend zu verhalten“ (2020).

Junger ergänzt:

  • „Katastrophen… bringen eine ‚Leidensgemeinschaft‘ hervor, welche den Individuen ermöglicht, eine ungeheuer beruhigende Verbindung zu anderen zu erfahren. Wenn Menschen angesichts einer existenziellen Bedrohung zusammenkommen, verwischen sich… zeitweilig die Klassenunterschiede…, Einkommensunterschiede … [und] Rassenzugehörigkeit spielt keine Rolle. Individuen werden allein danach eingeschätzt, was sie für die Gruppe zu tun bereit sind“ (Junger 2017, 80).

In abgespeckter Form kann diesen inneren Prozess jede*r erleben durch ein plötzliches Abweichen von der alltäglichen Routine, etwa durch ein schweres Gewitter, das man mit bislang unbekannten Menschen z.B. unter einem Hausvordach erlebt. Umgehend entsteht eine Verbundenheit, Gemeinschaft und Verbindlichkeit, die sich unter alltäglichen Umständen unter diesen zusammengewürfelten Menschen mutmaßlich nie entwickelt hätte. Und schon ist das Leben gefühlt: sinnvoll.

>> Zu einem sinnstiftenden Leben s.a. mein Webportal LebeLieberLangsam.de


In Alltagszeiten der Stabilität einer modernen Leistungsgesellschaft hingegen suchen viele Menschen im Außen, was sie nach übereinstimmender Auffassung von Psycholog*innen, Philosoph*innen etc. nur im Innen finden können. Um diesem Gefühl der erschöpften Nutzlosigkeit zu entgehen, um sich selbst in der Vereinzelung dennoch zu spüren, lässt sich der Mensch (meist) unbewusst eine Menge einfallen: Materialismus1, Konsum, Reisen, Challenges, die Sucht nach Ruhm und Geld… aber eigentlich sind das nur Surrogate.

Details: Erläuterungen zu (1)

1 Der US-amerikanische Psychologe Tim Kassler hat „herausgefunden, dass Materialismus sowohl Ausdruck als auch Ursache von Unsicherheit und Unzufriedenheit ist. Das ist so, weil er primär die extrinsische – also von außen kommende [und inhaltlich/zeitlich weniger wirkstarke] – Motivation und Rückbestätigung von Menschen anspricht… [M]it der wachsenden materiellen Orientierung [wächst] auch die individuelle Anspannung sowie die Tendenz zu Depressionen“ (zit. in Göpel 2020, 131-132). 

Anselm Grün:
„Wer nur um sich und seine Bedürfnisse kreist, der ist nicht zufrieden. Aber er sieht den Grund seiner Unzufriedenheit nicht in sich selbst, sondern in den äußeren Umständen“ (2019, 42).

…mehr

Und weiter: „Man projiziert dann die eigene Unzufriedenheit auf die anderen und erwartet von ihnen, dass es einem selbst gut geht“ (Grün 2019, 55). 

Surrogate für Gemeinschaft… Junger bringt hier ein prägnantes historisches Beispiel ein: Er weist darauf hin, dass bei der erobernden Besiedlung Nordamerikas durch Europäer*innen das Leben der dortigen indigenen Völker offenbar eine ungeheure Anziehungskraft auf viele US-Einwander*innen besaß:

  • „‚Tausende Europäer leben bei den Indianern, und es gibt nicht ein einziges Beispiel für einen Ureinwohner, der freiwillig Europäer geworden ist‘, beklagte ein französischer Emigrant namens Hector de Crèvecoeur im Jahr 1782. ‚Der soziale Zusammenhalt der Indianer muss etwas einzigartig Faszinierendes gehabt haben, das bei Weitem alles übertraf, dessen wir uns rühmen können‘“ (31).
  • „Schon 1612 wurde von spanischen Behörden mit Verblüffung festgestellt, dass vierzig oder fünfzig Einwohner Virginias in Indianerstämme eingeheiratet hatten und selbst englische Frauen sich unverhohlen mit Ureinwohnern abgaben. Zu diesem Zeitpunkt lebten Weiße erst seit wenigen Jahren in Virginia, und viele von denen die sich den Indianern anschlossen, waren wohl in England geboren und aufgewachsen…: Es handelte sich um Söhne und Töchter Europas“ (32).

Soldat*innen in Krisengebieten und Kriegen widerfahren neben schlimmen Erlebnissen auch außergewöhnliche Sinnerfahrungen bezogen auf die Gemeinschaft unter den Mitkämpfer*innen.

  • „Soldaten erleben dieses [dem Menschen evolutionsgeschichtlich eigene] stammesspezifische Denken1 im Krieg, aber wenn sie nach Hause kommen, merken sie, dass der wahre Stamm, für den sie gekämpft haben, nicht ihr Land war, sondern ihre Einheit [und vermissen den Krieg, wenn er vorüber ist (vgl. 121)]. Es ergibt absolut keinen Sinn, Opfer für eine Gruppe zu bringen, die selbst nicht willens ist, etwas zu opfern“ (142).2

Womit kriegsbedingte Posttraumata nicht ausschließlich auf unmittelbare Kampfhandlungserfahrungen o.ä. zurückzuführen sind, sondern eben auch auf das nachfolgende Nicht-Zugehörigkeitsgefühl in der Zivilgesellschaft (vgl. 120f.).

Details: Erläuterungen zu (1) und (2)

1 Diesen Widerspruch zwischen Jungers und Bregmans Ausführungen konnte auch ich nicht lösen: Bregman bemerkt über sein Buch: „Das ist das große Paradoxon meines Buches: Auf der einen Seite haben wir uns dazu entwickelt, freundlich zu sein und zusammenzuarbeiten, aber diese Fähigkeit hat auch eine dunkle Seite. Unser Gruppendasein kann sich in ein Stammesverhalten verwandeln, und dann können wir anfangen, im Namen der Kameradschaft und Loyalität schreckliche Dinge zu tun“ (2020b).

2 Hier fragt sich, wie sich die Menschen hinter Fridays for Future fühlen/verhalten werden, falls sich – hoffentlich nicht – herausstellen sollte, dass das Establishment auch längerfristig immun gegen Veränderung ist? Und die jungen Menschen damit ‚ans Messer geliefert‘ werden? 

Zwischenfazit: Menschen suchen Sinnstiftung und finden sie evolutionär gesehen bei ihren Mitmenschen in der Gemeinschaft. Wo diese nicht funktioniert erfolgt der Griff zu Surrogaten z.B. in Form von Materiellem/Konsum, was aber einen unzureichenden Ersatz darstellt und deshalb nur vorübergehend Zufriedenheit schafft.

All diese Aspekte von Punkt 1 bis 3 zusammenfassend folgt, dass der Mensch

  • im Grunde gut ist,
  • eine natürliche Abneigung gegen Gewalt hat,
  • sich in Krisensituationen i.d.R. grundgut verhält,
  • aufgrund des negativity bias dazu neigt, die Welt zu düsterer zu sehen als sie ist, sich deshalb durch negative Zeitungsschlagzeilen bestätigt fühlt und sich leichter in Dystopien als in Utopien hineindenkt,
  • ein tiefsoziales Wesen ist, das auf Vernetzung, Kommunikation und Gemeinschaft angewiesen ist,
  • die Erteilung von Macht ihn mental tendenziell von seinen eigenen Bedürfnissen als tiefsozialem Wesen entfremdet,
  • das Gefühl des Gebrauchtwerdens als sinnstiftend erlebt,
  • Materielles eher als einen Ersatz für die eigentlichen Bedürfnisse nutzt, weshalb Materielles/Konsum i.d.R. nur kurzfristig Zufriedenheit schafft.


Und jetzt kommt die ‚bittere Pille‘, denn nach Bregman ist davon auszugehen, dass „[u]nser negatives Menschenbild … ein Nocebo“ (27) ist:

  • „Wenn wir glauben, dass die meisten Menschen im Grunde nicht gut [und nicht sozial sind] sind, werden wir uns gegenseitig auch dementsprechend behandeln“ (ebd.).

In anderen Worten: Weil wir Menschen (tendenziell) dieses negative Menschenbild haben, erwarten wir (tendenziell) nichts anderes von Mitmenschen und Gesellschaft – und handeln in dieser Erwartungshaltung (tendenziell und) prophylaktisch negativer als es notwendig wäre. Womit unsere Gesellschaft entsprechend geprägt wird.

Details: Begriff 'Nocebo'

Nocebo ist die negative Variante des Placebo-Effekts: Wenn wir in Erwartung von Nebenwirkungen eines Medikaments diese wirklich entwickeln und spüren. Allgemeiner gesagt ist ein Nocebo die Bestätigung einer negativen Erwartungshaltung, eine negative self-fulfilling prophecy (vgl. Abschnitt Windkraft, Aspekt Infraschall in Deutschland, S. 537). 

Aber das bedeutet auch:

  • „Sobald wir glauben, dass die meisten Menschen gut sind, ändert sich … alles“ (Bregman 415).

„Ich gehe wie Rutger Bregman davon aus, dass Menschen einen guten Kern haben. Die Frage ist: Können wir den ausleben oder wird er permanent von außen attackiert?“ (Armin Steuernagel in Fuchs 2022)

Schlussgedanken:

  • Es gibt immer den einen Deppen. Es ist sehr wertvoll, sich klarzumachen, dass es allzu oft diesen Einen gibt, aber er eben nur der Eine ist, der sich daneben benimmt. Dass wir von den Vielen, die sich angemessen verhalten eben deshalb kaum etwas mitbekommen. Das befreit uns von dem Gedanken, dass die Welt voll ‚Schlechtigkeit‘ ist.
  • Wenn also ein negatives Menschenbild gemeinhin als realistisch gilt, wird das Gegenteil als unrealistisch – und provokant – angesehen: Wer ein positives Menschenbild vermittelt, betritt vermintes Terrain – und wird umgehend als naiv und als Gutmensch (vgl. Handbuch S. 215)1 verunglimpft. „Für jedes menschenfeindliche Argument, das man für ungültig erklärt, kriegt man zwei zurück … Wer sich für den Menschen einsetzt, tritt auch gegen die Mächtigen der Erde an“ (Bregman 2020a, 37).
Details: Erläuterungen zu (1)

1 Harald Welzer wehrt sich gegen die „Komfortzone des Einverstandensein“ (2016, 133), gegen das „dumpfe Einverstandensein“ (ebd. 17), in dem er feststellt, die herabsetzende Bezeichnungen wie ‚Gutmensch‘ „doch nur die Invektiven[, d.h. Beleidigungen] der mit allem Einverstandenen gegen die, die ihnen am eigenen Beispiel demonstrieren, dass es keinen, aber auch nicht den geringsten Grund gibt, stolz noch auf die eigene soziale Impotenz zu sein. Schließlich sind die so Apostrophierten ja Menschen, die für etwas eintreten, und dagegen kann man ja nur sein, weil das die eigene Lethargie in Frage stellt“ (ebd.) (s.a. Fußnote S. 215). 

Ergo: Was haben die vorangegangen Ausführungen mit der Biodiversitäts- und Klimakrise zu tun?


Eine Menge.

Weil auf Basis eines positiven Menschenbildes inkl. der Erkenntnis, dass der Mensch ein zutiefst soziales Wesen mit dem Bedürfnis nach Sinnstiftung und Gemeinschaft statt nach Ellbogen und Materialismus ist, Veränderungen wesentlich leichter möglich sind.

Anders ausgedrückt:

Zurückkommend auf die Ausgangsüberlegung

„Wäre die Fassadentheorie allumfassend korrekt und der Glaubenssatz, der Mensch sei ‚im Grunde schlecht‘ insgesamt richtig, würde dies ein bedenkliches Licht auf die Möglichkeiten, der Klimakrise und sechstes Massenaussterben mittels einer sozial-ökologischen Transformation zu begegnen werfen.“

ist festzuhalten, dass der Befund, dass der Mensch ‚im Grunde gut‘ ist die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation nicht nur grundsätzlich leichter und realistischer erscheinen lässt, sondern darüber hinaus dazu beitragen könnte, dass mehr Menschen das Leben als sinnstiftend erleben und umgekehrt weniger bspw. materielle Surrogate vonnöten sind, was hinsichtlich Ressourcenverbrauch, Klimaschutz und Klimagerechtigkeit eine verdammt gute Nachricht ist.

Details: Erläuterungen zu (1)

1 Definition ‚Glaubenssatz‘ s. Fußnote auf S. 227. Wie tief viele von uns Bürger*innen gedanklich in das derzeitige Wirtschaftsmodell verstrickt sind, wird m.E. deutlich, wenn wir uns klar machen, dass das einzige Business, welches während des Covid-19-Lockdowns i.d.R. keine Kürzungen hinzunehmen hatte, das Miet- bzw. Schuldenwesen war. Zu keiner Zeit wurde (abseits von einigen Global Playern, die hier nicht gemeint sind) in der deutschen Gesellschaft grundlegend die Frage gestellt, ob es wirklich angemessen ist, dass quasi alle Bürger*innen und Unternehmer*innen Einbußen im laufenden Geschäft haben, aber die Mieten für Ladengeschäfte, die nicht mehr wirtschaften konnten, ohne Lastenverteilung auf den Cent genau weiterzuzahlen waren. 

Aber kommen wir noch einmal konkret zum wahrscheinlich stärksten Glaubenssatz1 unserer Zeit, d.h. zur 


‚Mär vom unabdingbaren Wachstumszwang‘

Hört man hochrangigen Managern in Florian Opitz‘ Doku ‚System Error – Wie endet der Kapitalismus?‘ von 2018 zu,

Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer BDI 2011-2017:

  • „Ich halte das [=Wachstum] für ähnlich unabänderbar wie die Schwerkraft“ (ca. Min 6)

Andreas Gruber, der „120-Milliarden-Mann“1, Allianz:

  • „Ich möchte mir eine Welt ohne Wachstum nicht vorstellen.“ (Min 30)

Tarek Mashhour, Leiter Produktionsstrategie Audi:

  • „Wachstum ist ein Naturgesetz – und dem Naturgesetz können wir uns nicht verschließen.“ (Min 68)

Anthony Scaramucci, Ex-Berater des 2020 amtierenden US-amerikanischen Präsidenten:

  • „Es gibt heute diese Vorstellung in diesen elitären Akademikerkreisen, dass wir nicht weiter wachsen werden. Das ist einfach falsch. 5.500 Jahre Menschheitsgeschichte zeigen doch, dass wir Menschen enorm wissbegierig und erfindungsreich sind… Wir werden Asteroiden aus dem All holen, die voller Platin sind… (ab Min 86).

bekommt man einen profunden Eindruck, wie tief der Glaube an das ‚ewige‘ Wachstum gerade auch bei Menschen, die sich quasi täglich mit selbigem beschäftigen, verankert ist – es trägt religiöse Züge.

Details: Erläuterungen zu (1)

1 So lautete 2007 eine Überschrift eines Artikels über Gruber im Handelsblatt. 

ca. 5 min: Harald Lesch: Der Backfire-Effekt: Glaubenstatsachen ist mit Fakten nur schwer zu begegnen, https://youtu.be/OQem_nMk65I (Abrufdatum 1.8.2022)

Harald Welzer:

  • Man „braucht gar nicht eigens zu begründen, wofür Wachstum ausgerechnet im Angesicht umfassender Knappheit taugen soll – es ist eben längst zu einer fraglosen Glaubenstatsache geworfen, das Wachstum, und Gläubige argumentieren nicht“ (2016, 58).

Graeme Maxton:

  • „Die Wirtschaftslehre ist keine Naturwissenschaft, auch wenn manche Experten sich das wünschen würden. Sie ist ein Glaubenssystem, eher wie eine Religion, aber ohne die philosophischen Grundpfeiler. … Doch so, wie die meisten Menschen früher alles glaubten, was in der Bibel stand, glauben die meisten Menschen heute an viele Ideen der modernen Wirtschaftslehre“ (2020, 54).

Spannend ist, dass – „[s]o wichtig Wachstum heute daherkommt[, es a]ls ökonomisches Konzept historisch verblüffend neu [ist]. Zum ersten Mal prominent wird es in der Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise in den 1930er“ (Welzer 2016, 59).

42 min – Harald Welzer über Wachstum und Stillstand im SPIEGEL-Podcast »Klimabericht« | 19.10.2021, online unter https://youtu.be/e0ji49dQz0w (Abrufdatum 26.11.2021)

Harald Welzer schlägt vor, die Vokabel durch die Umschreibung „gesteigerter Verbrauch“ zu ersetzen:

  • „Man stelle sich nur mal vor, der Koalitionsvertrag, den wir bald sehen werden, beginnt mit der Aussage: ‚Wir werden für gesteigerten Verbrauch sorgen.‘ Klingt gleich ganz anders, oder? Dann wäre bestimmt ein anderes Bewusstsein dafür da, was diese wohlklingenden Wachstumsbeschwörungen in Wahrheit immer bedeuten. Vor allem für die Umwelt“ (2021).


Interessanterweise entlarven Kinder ‚ewiges Wachstum‘ meistens sofort als ‚Quatsch mit Soße‘
– Erwachsene brauchen da i.d.R. sehr viel länger, dabei hat es der US-amerikanische Ökonom Kenneth E. Boulding schon vor Jahrzehnten auf den Punkt gebracht:

Way Of Capitalism - Eigenes Foto einer Nische zwischen zwei Häusern in Hamburg | handbuch-klimakrise.de
Way Of Capitalism – Eigenes Foto einer Nische zwischen zwei Häusern in Hamburg | handbuch-klimakrise.de

„Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum kann andauernd weitergehen in einer endlichen Welt, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.“

Kenneth E. Boulding (1910-1993), US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler („Anyone who believes exponential growth can go on forever in a finite world is either a madman or an economist.”)


Moderner – und beeindruckend einfach – drückt sich hier der Club of Rome aus:

„Dass die Wirtschaft ein Subsystem der Ökosphäre ist, scheint zu offensichtlich, um es extra zu betonen.“ (Weizsäcker et al. 2017, 110)

Tim Jackson:

  • „Es herrscht fast so etwas wie eine kollektive Schizophrenie. Einerseits starrt uns das Offensichtliche quasi ins Gesicht. Das ist etwas, dass sogar meine Kinder oder Schulkinder verstehen können: Man kann in einem begrenzten Raum nicht ewig weiterwachsen. Die einzigen natürlichen oder biologischen Systeme, die das tun, bringen am Ende ihren Wirt um“ (zit. in Opitz 2018, ab Min 82).


Die Frankfurter Allgemeine Zeitung jedenfalls – unverdächtig, linke Parolen auszugeben – hat schon 2006 in Nachlese des Stern-Reports (vgl. S. 161) klargemacht, dass das Medium FAZ weder ‚verrückt‘ noch ‚Ökonom‘ ist:

  • „Entscheidungsträger, die jetzt noch Wachstum als das oberste Ziel vorgeben, sollten als Selbstmordattentäter betrachtet werden“ (Paoli 2006).


Dabei ist es durchaus korrekt, dass es – wie sich der Massachusetts Institute of Technology-Ökonom Andrew McAfee ausdrückt – die Menschen (vornehmlich in den Industrienationen) vermehrt gelingt „mit weniger Ressourcen mehr Wohlstand zu schaffen“ (Heuser/Pletter 2020, 21)1. Aber wir belassen es eben nicht bei den weniger Ressourcen, weshalb es eben nur eine relative, aber keine absolute Entkopplung gibt, vgl. auch Aspekt Rebound-Effekt, S. 257.

  • Hinzu kommt, dass die (zu) vielen derzeit verbrauchten Ressourcen von sehr wenigen Menschen verbraucht werden.
  • Doch genau dieses Weniger einer absoluten Entkopplung benötigen wir, wenn es weitergehen soll für uns auf diesem schönen Planeten. Weil wir absolut zu viele Ressourcen verbrauchen.
Details: Erläuterungen zu (1)

„Zur Wahrheit gehört, dass die Daten zum sinkenden Ressourcenverbrauch bislang nur die wohlhabenden Nationen betreffen. Global betrachtet, ist der Verbrauch von Mineralien und von Öl, Gas und Kohle in den vergangenen zwei Jahrzehnten weiter kräftig gestiegen“ (Heuser/Pletter 2020,21). Womit klar ist, dass die Diskussion müßig ist, ob es eine absolute Entkopplung geben könnte – angesichts der teils überschrittenen planetaren Grenzen brauchen wir da gar nicht mehr weiter drüber nachzudenken: Wir brauchen jetzt, sofort und eigentlich noch heute ein klares Weniger, um die planetaren Grenzen einzuhalten; vgl. Aspekt Earth Overshoot Day, S. 450f. 

… eigentlich trivial.

Fassen wir das Thema ‚ewiges weltweites Wachstum‘ doch mal in einen Dreisatz:

  1. Wir haben endliche Ressourcen auf der Welt, die sich nur über lange Zeiträume langsam – und nur teilweise – regenerieren.
  2. Wachstum basiert auf Ressourcen. Nicht nur auf physischen Ressourcen, aber definitiv zu einem guten Teil auf physischen Ressourcen.
  3. Daher ist ein weitgehend, dauerhaft und global von Ressourcen absolut entkoppeltes Wachstum – auch wenn Herr Lindner das anders sieht – aufs Ganze gesehen nicht möglich.

Doch die Betriebswirtschaftlehre – „souveräne[r] Verächter des Wirklichen“ (Welzer 2016, 51) – geht genau davon grundlegend aus.

Der Redaktionsleiter von Bloomberg News London, Simon Kennedy, erklärt explizit:

  • „Den [ökonomischen] Lehrbüchern nach gibt es keine Grenzen des Wachstums“ (zit. in Opitz 2018, Min 44).


Franz Alt hält nicht so viel vom althergebrachten Curriculum der Betriebswirtschaftslehre:

  • „Gegenüber dieser Irrsinns-Ökonomie ist die Theologie beinahe eine exakte Wissenschaft“ (2020, 99) und schließt noch ein Zitat von Hans Joachim Schellnhuber an: „Wenn ich mit einem Ökonomen spreche, das ist für eine Physiker die Höchststrafe…“ (ebd.).

Luisa Neubauer und Philip Repenning stellen fest:

  • „Je höher das BIP [Bruttoinlandsprodukt], desto mehr Treibhausgase emittiert es, statistisch betrachtet. … Auch wenn es immer mehr Ländern gelingt, das Wachstum ihres BIPs vom Wachstum der Emissionen relativ [!] zu entkoppeln – der globale Trend ist eindeutig: Je höher der materielle Wohlstand und damit das BIP, desto größer ist dessen CO2-Fußabdruck“ (2019, 169).

Maja Göpel pointiert:

  • „Wirtschaftwachstum in seiner heutigen Form heißt Klimawandel. Und mehr Wirtschaftswachstum heißt noch mehr Klimawandel“ (2020, 76-77).

Manfred Folkers:

  • Gewissermaßen „sind Vermehrung, Gewinn und Maximierung Illusionen, die ausblenden, dass diese Phänomene an anderer Stelle gleichzeitig zu Verminderung, Verlust und Dezimierung führen“ (Folkers/Paech 2020, 94).

Naomi Klein bemerkt dazu:

  • „[D]as Klima der Erde so zu verändern, dass chaotische, katastrophale Zustände eintreten, ist leichter zu akzeptieren als die Aussicht, die fundamentale, wachstumsgestützte, profitorientierte Logik des Kapitalismus aufzugeben“ (2015, 114).


Was in diesem Wachstums-Gedankenuniversum aus dem Blick geraten ist und vollkommen verdrängt wurde:

Wirtschaft, Kapital und Besitz unterliegen der Sozialbindung. Geld hat eine dienende Funktion.

Schaut man jedoch auf die ‚Kollateralschäden‘ des unhinterfragten Wachstumsdogmas (vgl. das gesamte Handbuch), drängt sich der Eindruck auf, es handele sich um einen Selbstzweck, um ein Wachstum um des Wachstums willen.

Dabei ist hervorzuheben, dass Wachstum per se erst einmal nichts Schlechtes ist. Wir brauchen es sogar:

Im Sinne der Klimagerechtigkeit (‚Climate Justice‘) ist noch in vielen Regionen des Globalen Südens Wachstum notwendig, damit die dort lebenden Menschen (endlich!) ein menschenwürdiges Leben erlangen können.


Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes:

  • „[I]n in der ganzen Welt [gibt es] Menschen, deren Einkommen und damit auch die Konsumkraft noch steigen sollten. Das gilt ganz besonders für die Ärmeren im globalen Süden, die mit weniger als drei Dollar am Tag auskommen müssen. Wachstum komplett zu stoppen geht nicht“ (2020, 33).


„Ich habe nie gesagt, dass wir kein Wirtschaftswachstum haben können. Ich habe nur kritisiert, dass sich die Machthaber darauf und auf Geld konzentrieren, anstatt über das menschliche Leben und das Ökosystem zu sprechen.“
Greta Thunberg
(zit. in Urisman Otto 2019, 9)

Tim Jackson:

  • [E]s ist wichtig zu betonen, dass einige Gesellschaften es auch heute noch brauchen. Sie brauchen dieses Wachstum, brauchen Nahrung, Kleidung, Wohnraum. Länder, in denen arme und unterernährte Menschen täglich von Weniger leben, als wir für einen Cappuccino ausgeben. Da ist Wachstum sinnvoll“ (zit. in Opitz 2018, Min 9).


Aber hier in Deutschland? Noch mehr Wachstum? Immer, immer weiter? Dann müssen wir noch mehr Überfluss leben, noch mehr Überflüssiges kaufen, damit der Konsummotor brummt.


Wollten wir nicht weniger…?


Der Club of Rome folgert im Jahr 2017:

  • „Die Menschheit steht vor nichts anderem als der Schaffung eines neuen Denken und einer neuen Philosophie, da die alte Wachstumsphilosophie nachweislich falsch ist.1
  • Es müssen zwei unterschiedliche Entkopplungsaufgaben verfolgt werden: Entkopplung der Produktion von Naturverbrauch… und Entkopplung der Zufriedenheit der menschlichen Bedürfnisse vom Imperativ zu immer mehr Konsum.“

(Weizsäcker et al. 2017, 121) (bezieht sich auf Maja Göpel (2016): The Great Mindshift. Berlin: Springer, 20-21)

Details: Erläuterungen zu (1)

1 Diese deutlichen Worte werden vom Club of Rome – und auch von Weizsäcker – durchaus widersprüchlich durch die Idee eines Faktor Fünf relativiert. Einem gleichnamigen Club of Rome-Bericht zufolge sei „in den vier ressourcenintensivsten Branchen – Bauwesen, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft – eine fünffache Steigerung der Ressourcenproduktivität möglich“ (Weizsäcker et al. 2017, 171). Das Problem besteht in der dahinterliegenden Technologie-affinen Grundthese, dass eine weitgehende Entkopplung von Wachstum und Ressourcennutzung möglich sei – womit m.E. der Fokus auf ein „Weniger“ unterbleibt. Hinzu kommt, dass Faktor Fünf lediglich eine Idee, Annahme und These ist: In Berechnungen für Pläne und Maßnahmen kann man jedoch nur bestehende, d.h. unmittelbar jetzt zur Verfügung stehende und nicht etwa potenziell-irgendwann nutzbare Technologien einbeziehen.

‚Weniger ist mehr‘ in dieser ‚Welt des Zuviels‘:

  • Individuell:
    • Mal ernsthaft, was brauchen wir wirklich, um ein gutes Leben zu führen? 
    • Wie viel brauchen wir von dem Mist der in unseren Wohnungen und Kellern vor sich hinvegetiert?
    • Wie viele Dinge schaffen wir an, weil andere sie haben, weil es zum guten Ton gehört, weil wir mithalten wollen?
    • Was sind diese Dinge am Ende – am Ende Deines Lebens – wert?
  • Gesellschaftlich:
    • Denken wir den Bauboom,
    • den Flächenverbrauch durch Neubausiedlungen,
    • die Trinkwasserverseuchung durch Export-orientierte Massentierhaltung, die immer noch zunehmenden Autozulassungen pro Jahr –
    • den vermeintlichen ‚Wachstumszwang‘ mal zu Ende – und zwar konsequent:

Dann wäre Deutschland irgendwann eine einzige zersiedelte versiegelte zuasphaltierte Stadt im Dauerstau, die unendlichen Häuserzeilen nur unterbrochen von Massentierställen.


Am Swimmingpool dieses sog. Traumhauses liegt nicht notwendigerweise ein zufriedener Mensch. Zumal dieser Mensch mutmaßlich gar keine Zeit hat, um am Pool zu liegen, sondern damit beschäftigt ist noch mehr Geld ranzuschaffen… für einen zweiten Pool? – Es wird nie genug sein. Konsumismus kennt keinen „Maximalzustand“.

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es für Konsumismus eigentlich keine wirkliche innere Obergrenze, kein definitives ‚Genug‘ gibt, sondern es eher den Charakter einer Immer-mehr-Spirale hat? Deshalb spricht Welzer von „chronischer Bedürfnisinkontinenz“ (2016, 39). Der griechische Philosoph Epikur von Samos formulierte es so: „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug“ (zit. in Grün 2019, 34). Anselm Grün: „Die Weisen aller Religionen und Kulturen sprechen davon, dass wir mit Wenigem zufrieden sein sollen. Darin besteht die Kunst des Lebens… Ich bin vielmehr zufrieden, weil ich vieles nicht brauche. Die Zufriedenheit ist also ein Kennzeichen innerer Freiheit“ (2019, 23). Schon der chinesische Philosoph Lao Tse stellte fest: „Wenn Du erkennst, dass es dir an nichts fehlt, gehört die die ganze Welt“ (zit. in Grün 2019, 30), frei übersetzt ins Deutsche in Form des Sprichwortes „Froh zu sein bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König“.


Noch einmal zum Thema ‚Wachstum und Climate Justice‘:

  • Dem Globalen Süden und „Afrika Entwicklungschancen einzuräumen heißt, dass sich die Industrie- und Schwellenländer noch viel mehr um Ressourcensparsamkeit kümmern müssen“ (Demograf Reiner Klingholz in: Schmundt 2019, 113).

Anders ausgedrückt:

Die Industrieländer müssen sich viel mehr als bisher und viel mehr als bislang absehbar um ihre CO₂-Einsparungen kümmern, um dem Globalen Süden Chancen zu eröffnen und Wachstum zu ermöglichen – in eigenem Interesse.

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In solchen Zusammenhängen wird des Öfteren gesagt/geschrieben, die gesamte Menschheit, ob reich, arm, im Norden oder Süden wohnend, sitze im gleichen Boot. Die Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen mag dem m.E. zu Recht nicht folgen: „Ich finde, das Bild passt nicht. Es ist doch so, dass die reichen Länder des Nordens die Klimakrise größtenteils verursacht haben, die Hauptleidtragenden leben aber im Süden. … [N]eulich[,] auf einem Podium… fiel der Vergleich, wir säßen schon alle in einem Boot, aber das Boot habe halt verschiedene Etagen. Die ganz unten haben schlechtere Chancen, wenn das Boot sinkt. Aber selbst dieses Boot kann ich mir nicht vorstellen. Wie viele Stockwerke soll das denn haben? Nein, das Bild passt nicht, auf dieser Welt sitzen nicht alle im selben Boot“ (zit. in Schwarz 2020, 9). Die taz bringt es am 25.9.2020 auf Seite 1 auf den Punkt: „Alle im selben Sturm, aber nicht im selben Boot: In welchem Boot wir sind, bestimmt wann wir untergehen.“ 


Im Namen der Freiheit brauchen wir: Grenzen.

Kinder brauchen Grenzen. | Erwachsene ‚Kinder‘ brauchen Grenzen. | Erwachsene brauchen Grenzen. | Gesellschaften brauchen Grenzen. | Wirtschaft braucht Grenzen. | Die Natur setzt Grenzen. | Die wir ignorieren können, bis zu einem gewissen Grad. | Doch irgendwann meldet sich die Natur lauter und lauter. | Und irgendwann wird sie ggf. die sich schlecht benehmenden ‚Gäste des Planeten‘ einfach rausschmeißen.

>> vgl. Abschnitt Wir sind Erde, S. 46f. u. S. 699.


Das Schlusswort dieses Abschnitts überlasse ich dem Club of Rome:

  • „Im Angesicht der grausigen Gefahren ist es einfach nicht akzeptabel, dass Selbstsucht und Gier weiterhin positive soziale Wertschätzung als angebliche Triebkräfte des Fortschritts genießen. Fortschritt kann sehr wohl auch in einer Zivilisation gedeihen, die Solidarität, Demut und Respekt für Mutter Erde und künftige Generationen verlangt“ (Weizsäcker et al. 2017, 132).

Quellen des Abschnitts Glaubenssätze dechiffriert: Von ‚Wachstumszwängen‘ und anderen Glaubenssätzen



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