Kipppunkte des Klimas: Eisschilde, Permafrost & Co


Erderwärmung:

Am Thermostat der Erde rumzuspielen ist Wahnsinn. Jedes 10tel Grad zählt:

Mit jedem 10tel Grad Temperaturanstieg wird die Auslösung von sog. Kipppunkten (Tipping Points, ‚Kippschalter‘) wahrscheinlicher. Bei diesen Kippelementen handelt es sich laut Schellnhuber „um die Achillesferse unseres Planeten“ (Wille 2020): Sind solche Points of no return überschritten, kommt es zu sich selbst verstärkenden Prozessen (=Rückkopplungseffekte; Kettenreaktionen, ‚Feedback-Loops‘), die dann Dynamiken in Gang setzen, die unumkehrbar und nicht mehr beherrschbar sind, die wie Dominosteine einer nach dem anderen umkippen und den jeweils nächsten Dominostein mit sich reißen:

  • „Es ist jener Punkt, ab dem es kein Halten mehr gibt“ (Langer 2019), „ganz gleich, was wir dann auch tun mögen“ (Bregman/Götze 2021, 20).
  • „Stellen Sie sich vor, Sie schieben eine volle Kaffeetasse über den Schreibtischrand. Auf den ersten Millimetern passiert wenig, die Tasse verändert nur ihre Position. Doch irgendwann erreicht sie einen kritischen Punkt, an dem sie kippt, abstürzt und ihren Inhalt auf den Teppich ergießt“ (Rahmstorf 2019).

Im Fachjournal Nature warnte Ende 2019 „[e]ine Gruppe von führenden Forschern [unter Beteiligung von Rahmstorf und Schellnhuber]…, dass bei mehr als der Hälfte der 16 Kippelemente das ‚Umlegen des Schalters‘ bereits gefährlich nahe sei“ (Wille 2020) und sprachen von einer „planetaren Notsituation“ (ebd.).

  • „Klimawandel ist keine Krankheit wie Diabetes, mit der man leben kann; er gleicht eher einem Tumor, den man entfernen muss, bevor er Metastasen [=rückkoppelnde Kipppunkte] bildet“ (Foer 2019, 100).


An dieser Stelle ist vorab noch einmal explizit darauf hinzuweisen, dass die Klimakrise keineswegs für sich alleine steht, sondern wir uns zudem am Anfang oder auch mitten im sog. sechsten Massenaussterben (Mass Extinction) befinden: „Artensterben und Klimawandel sind Zwillingskrisen“ (Baier 2019). Letzteres bedeutet auch, dass Klimakrise und Artensterben sich gegenseitig befördern und verstärken – womit die im Folgenden beschriebenen Kippelemente nochmals an Bedeutung für die Menschheit gewinnen.

>> s.a. Abschnitt Massenaussterben | Biodiversitätsverlust, S. 669ff.


Systematik: 16 Kippelemente (nach PIK 2020)

Eiskörper:

Schmelzen des Arktischen Meereises | Verlust des Grönland-Eispanzers | Kollaps des Westantarktischen Eisschildes | Teilkollaps in der Ostantarktis | Auftauen der Yedoma-Dauerfrostböden | Methan-Ausgasung aus den Ozeanen

Strömungssysteme:

Abschwächung der Atlantischen Thermohalinen Zirkulation | Störung des El Niño-Phänomens | Verlangsamung oder Einrasten der Planetarischen Wellen des Jetstreams | Destabilisierung des Indischen Monsuns | Verlagerung des Westafrikanischen Monsuns mit Auswirkung auf die Sahara | Austrocknen des Nordamerikanischen Südwestens

Ökosysteme:

Umwandlung des Amazonas-Regenwaldes | Rückgang der Nordischen Nadelwälder (Borealwälder) | Zerstörung von Korallenriffen | Abschwächung der Marinen Kohlenstoffpumpe

>> Graphik zu Kippelementen siehe https://www.pik-potsdam.de/services/infothek/kippelemente/kippelemente (Abrufdatum 5.5.2020)
>> Hinweis: Die Soziologin Ilona Otto weist darauf, dass es auch ‚soziale Kipppunkte‘ der Klimakrise gibt, s. Fußnote auf S. 210.


Quellen des einleitenden Abschnitts

Im Folgenden seien einige der Kipppunkte noch einmal genauer herausgegriffen:



‚Ewiges‘ Eis, Meeresspiegelanstieg & Gletscherschmelze

‚Ewiges‘ Eis

Die drei an Land befindlichen Eisschilde – von Grönland, Ostantarktis und Westantarktis – haben gewaltige Ausdehnungen:

  • „[D]ie beiden antarktischen Eisschilde … erstrecken sich über 14 Millionen Quadratkilometer, das entspricht der Fläche der USA und Mexikos zusammen. … 4 Kilometer hoch türmt sich das Eis an der dicksten Stelle in der Ostantarktis, im Mittel sind es 2 Kilometer“ (Kriener 2019, 8).
Abspann des Films „Chasing Ice“ (2013) mit dem prophetischen Songtext-Zeile „Just a taste of things to come“, gesungen von Scarlett Johannson

>> Eindrucksvoll ist die Film-Doku Chasing Ice von Jeff Orlowski über das per ‚Dauerfotografie‘ sichtbar gemachte Verschwinden des (nördlichen) Polar-Eises, DVD, 2012.

Antarktis 2012 >> 2018 = Verdreifachung des Schmelzwassers (vgl. Schadwinkel 2018)

Erwärmung der Arktis: „doppelt bis dreifach so schnell wie der Rest der Welt… Die mittlere Temperatur hoch im Norden liegt bereits zwei Grad höher als noch vor 50 Jahren, in Teilen Alaskas ist es gar bis zu vier Grad Celsius wärmer“ (Evers 2019, 105).

Stefan Rahmstorf:

  • „Der Arktische Ozean hat in den letzten vierzig Jahren rund drei Millionen Quadratkilometer Eisbedeckung verloren – das entspricht der achtfachen Fläche von Deutschland“ (2020).
Trailer zur Doku Chasing Ice, 2012

Derweil „warnte ein Forscherteam rund um Dirk Notz von der Universität Hamburg 2020, dass der arktische Ozean mit hoher Wahrscheinlichkeit noch vor dem Jahr 2050 in manchen Sommern komplett eisfrei sein könnte“ (Eichhorn 2020a).


Fritjof „Nansens ‚mächtig erstarrtes‘ Polareis ist in Relation zu 1979 um 80 Prozent seines Volumens geschrumpft. Grönland verliert 300 Kubikkilometer Eis pro Jahr… das Schmelzwasser, das allein im Juli 2019 ins Meer geströmt ist, würde ganz Deutschland einen halben Meter fluten“ (Rühle 2020). Der Masseverlust 2019 war noch größer als beim bisherigen Rekordjahr 2012: 530 Mrd. t (vgl. Zeit 2020).

>> 300 Kubikkilometer = 300.000.000.000 Kubikmeter = 300.000.000.000 t = 300 Mrd. t… 1 Kubikmeter Wasser = 1.000 Liter = 1 t

Details zu 'Fritjof Nansens mächtig erstarrtem Polareis'

Spielt auf eine Schilderung des Norwegers Fridtjof Nansen (1861-1930) an, der auf der seinerzeit bahnbrechenden Nordpolarexpedition (1893-1896) gemeinsam mit Fredrik Johansen (1867-1913) versuchte, mittels dem mit Absicht ins Packeis eingefrorenen Schiff ‚Fram‘ (das heute in Oslo zu besichtigen ist) letztlich als erste Menschen den Nordpol zu erreichen. Dieser Idee des Schiff-Einfrierens folgt gewissermaßen die derzeitige, seit 2019 laufende Expedition der ‚Polarstern‘. – Update August 2020: Das Einfrieren in die Scholle ist teilweise ausgefallen: Die ‚Polarstern‘ hat nun den fast eisfreien Nordpol erreicht: „Der Eisbrecher konnte daher [in den letzten Wochen ‚in rascher Fahrt‘] größtenteils im offenen Wasser fahren, wie [der Expeditionsleiter Markus] Rex sagte“ (NDR 2020, vgl. Spiegel 2020b). What would Nansen say? Ein Schiff ist eigenhändig über den Nordpol gefahren.

Ludovico Einaudi: „Elegy For The Arctic“, 2016 – und das Making of: https://youtu.be/IUMog65A-nM (Abrufdatum 14.3.2022)


Josef Zens vom Geoforschungszentrum Potsdam zum Abschmelzen des Eisschilds von Grönland:

  • „3.800 Tonnen Eis gehen pro Sekunde verloren.“ – „Das sind ungefähr 150 Tanklaster … stellen Sie sich vor, Sie würden pro Sekunde 150 solcher Laster auf der Autobahn überholen“ (Schadwinkel 2018).
Details: Der Name 'Grønland'

Grønland: „Den Namen erhielt das Land ursprünglich von Erik dem Roten, einem isländischen Mörder, der auf die Insel ins Exil verbannt wurde. In der Hoffnung, dass der Name Siedler anziehen würde, nannte er es ‚Grünland‘. Doch laut wissenschaftlicher Forschungen war Grönland vor über 2,5 Millionen Jahren tatsächlich weitgehend grün. Eine neue Studie belegt, dass sich in einer Tiefe von etwa 3 Kilometern unter dem Eis seit Millionen von Jahren uralte tiefgefrorene Erde befindet“ (visitgreenland.com). Die Aussicht, Grönland könne künftig weniger eisig und somit dessen Bodenschätze vermehrt zugänglich sein, veranlasste den 45. US-Präsidenten zu der in Dänemark und Grönland gar nicht gut angekommenen Offerte, Grönland zu kaufen (vgl. Welt 2019).


Eine im August 2020 veröffentlichte Studie der Ohio State University geht davon aus, dass der Grönländische Eisschild verloren ist.

  • „Um das Jahr 2000 [kippte das System und es] begann die von der Landfläche ins Meer fließende Eis- und Wassermenge beständig anzuwachsen[, wurde also nicht mehr durch den jährlichen Schneefall ausgeglichen]. ‚Der Rückzug der Gletscher hat die Eisdecke in einen ständigen Zustand des Verlusts versetzt‘, sagt auch … Ian Howat, Mitautor der Studie. ‚Selbst wenn das Klima gleich bleiben oder sich etwas abkühlen würde, hätte das immer noch einen Eisverlust zur Folge‘“ (Spiegel 2020a).

Der Autor einer zweiten, im gleichen Zeitraum veröffentlichten Studie,

  • „Ingo Sasgen[,] möchte sich [bei der Frage, ob der Point of No Return bereits erreicht ist,] nicht festlegen. ‚Es kommt vor allem darauf an, wie sich die Temperaturen weiter entwickeln.‘ … Der Kipppunkt sei überschritten, wenn durch die Erderwärmung Ausnahmejahre wie 2019 zur Regel würden. ‚Wir sind in der Nähe des Punktes, und irgendwann haben wir ihn erreicht‘“ (Jung-Hüttle 2020).


In der Westantarktis ist der Kipppunkt bereits überschritten.

Dazu hält der Atlas der Globalisierung fest:

  • „Gleich ein halbes Dutzend Forschungsberichte bestätigen es: Die Eismassen des westantarktischen Eisschilds sind instabil geworden und haben einen sogenannten Kipppunkt überschritten. Damit ist ihr Abschmelzen zu einem Selbstläufer geworden“ (Kriener 2019, 8)
  • Womit bereits jetzt klar ist, dass der Meeresspiegel (innerhalb der nächsten Jahrhunderte) unumkehrbar um ca. 3,5 Meter steigen wird (vgl. S. 102).
  • Ein Reminder von Klimaforscher Anders Levermann:
    • „Wenn der westantarktische Eisschild kippt[, was der Stand der Wissenschaft ist], dann verlieren wir Hamburg, Shanghai, Kalkutta, New York, Tokio und so weiter“ (2020).

>> siehe dazu NASA-Video No Turning Back – West Antarctic Glaciers in Irreversible Decline aus dem Jahr 2014 https://youtu.be/W2pYHMx5bN8 (Abrufdatum 25.8.2020)
>> Bereits „1978 [schrieb US-Forscher John Mercer] in Nature in weiser Voraussicht, der Verlust des westantarktischen Eisschilds wäre wahrscheinlich die erste desaströse Folge der weiteren Nutzung fossiler Brennstoffe“ (Kriener 2019, 9).


Ein Grund für das rasche Abschmelzen des ‚ewigen‘ Eises liegt in der sog. Eis-Albedo-Rückkopplung:

  • Weißer Schnee und bzw. weißes Eis reflektieren „einen hohen Anteil der einfallenden Strahlung zurück ins Weltall“ (Nelles/Serrer 2018, 52) – Bei Schmelze kommen vermehrt dunklere Flächen wie Wasser, Schmutz oder Geröll/Gestein zum Tragen = geringere Reflektion >> mehr Eisschmelze >> selbstverstärkend.

Gleiches gilt für das gigantische arktische Polarmeer zwischen Grönland, Nordamerika und Eurasien, das plötzlich im Sommer mehr und mehr eisfrei ist:

  • „Die Eismassen sind ein riesiger Reflektor, sie werfen einen großen Teil der Sonneneinstrahlung zurück ins All. Wenn im Sommer immer größere Eisflächen abschmelzen, dann fehlt dieser Spiegel. Der unter dem Eis liegende Ozean kann die Wärme der Sonne dagegen perfekt aufnehmen und speichern“ (Kriener2019, 10).

Wohlgemerkt, hier ist das Eis um den Nordpol herum gemeint.


Der Mensch fügt der natürlichen Eis-Albedo-Rückkopplung noch eine anthropogene Variante hinzu:

Das Eis der (vor allem nördlichen) Polarregionen, des Himalaya und der weltweiten Gletscher wird zunehmend (auch unabhängig von der Eis-Albedo-Rückkopplung) schwarz – z.B. durch Industrie- bzw. Feinstaub, Ruß, Waldbrandasche (z.B. von Bränden borealer Wälder), oder – um mal einen natürlichen Vorgang zu nennen: Vulkanasche (vgl. Bojanowski 2015, vgl. Nestler 2019 u. vgl. Eichhorn 2019, 12).

Bezogen auf den Himalaya hält der Atlas der Globalisierung explizit fest:

  • „Große Flächen Eis und Schneedecke haben sich mittlerweile schwarz verfärbt. … [D]ie Rußpartikel stammen hauptsächlich aus Metropolen Indiens und Chinas … Die Luftverschmutzung beschleunigt also noch die Gletscherschmelze“ (Eichhorn 2019, 12).


Abseits des Eis-Albedo-Effektes und der Verrußung kommt beim Schmelzen von Landeis hinzu, dass die Höhenlinie des Eises sinkt – und somit gerät die Oberfläche des Eises in tiefere und somit wärmere Lagen – was das Schmelzen wiederum verstärkt (vgl. Weiß 2019a).

Meereis der Arktis:

  • 1979 – 2016: Flächenverlust = ca. -43%, Volumenverlust = -77% (Nelles/Serrer 2018, 51)

    Gemäß einer „aktuelle[n] Übersichtsstudie [vom April 2020] … wird der Arktische Ozean mit hoher Wahrscheinlichkeit noch vor dem Jahr 2050 in vielen Sommern eisfrei sein – selbst wenn sich die Menschheit noch zu Klimaschutzmaßnahmen durchringen sollte, die diesen Namen verdienen“ (Seidler 2020, vgl. Notz 2020).


Meeresspiegelanstieg

Arctic sea ice growing younger, thinner; Quelle: NOAAClimate, 31.12.2016, https://www.youtube.com/watch?v=c6jX9URzZWg (Abrufdatum 1.10.2019)
Die „arktische Todesspirale“ (Arctic death spiral) – große Version: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Arctic-death-spiral.png – Man achte auch auf die deutliche Veränderung ab 2010.

Monthly averages from January 1979 – January 2014. Data source via the Polar Science Center (University of Washington). Data visualisation by Andy Lee Robinson.
CC by 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

Die Erderwärmung bzw. die Schmelze zieht einen weltweiten Meeresspiegelanstieg nach sich. Bei künftig vollständigem Abschmelzen folgender Eisschilde erhöht der Meeresspiegel wie folgt:

Grönland = 7m | Westantarktis = 3,5m | Ostantarktis = 55m

  • Meeresspiegelanstieg zurzeit 3 cm pro Jahrzehnt, immer stärkere Zunahme (vgl. Rahmstorf/Schellnhuber 2018, 77)
  • Die WMO geht 2020 angesichts der beschleunigten Schmelze der grönländischen und westantarktischen Eisschilde von einem Meeresspiegelanstieg von etwa 4,8 mm pro Jahr aus (vgl. Eichhorn 2020b). Ein Jahr zuvor war man noch von fast 4 mm pro Jahr ausgegangen, verbunden mit einer immer stärkeren Zunahme (vgl. Weiß 2019b).
  • Meeresspiegelanstieg gegenüber vorindustrieller Zeit derzeit: 23 cm. Jährlicher Anstieg nimmt mehr und mehr zu (vgl. Nelles/Serrer 2018, 73)
  • „Selbst bei striktem Klimaschutz [erwarten die Experten bis zum Jahr 2100 einen Meeresspiegelanstieg] von 27 und 60 Zentimeter“ (Rahmstorf/Schellnhuber 2018, 63).

Laut IPCC-Sonderbericht ‚Ozeane und Eis‘, September 2019:

  • +2 °C = 50 cm Meeresspiegelanstieg bis 2100.
  • „Derzeit ist die Welt allerdings auf dem Weg zu einer Erwärmung um drei bis vier Grad [Celsius]. Dies würde einen Meeresspiegelanstieg von 84 Zentimetern [bis 2100] bedeuten“ (Stern 2019).

Grönland Juli 2019 = 180 Milliarden Tonnen Eisverlust innerhalb eines einzigen Monats =
0,5 mm Meeresspiegelanstieg, weltweit
(vgl. Weiß 2019a)

Grönland, 2019, innerhalb von zwei Monaten Eisverlust = Anhebung des globalen Meeresspiegels um 2,2 cm (vgl. Spiegel 2020a).


Es ist immer wieder frustriert, wie genau die Dinge berechenbar sind, die man nicht ändert.


Hinzu kommt zu alledem noch „die thermische Ausdehnung des sich erwärmenden Meerwassers.“
(Tagesschau 2020)


Naomi Klein skizziert die Lage auf dem Planeten bei einem Meeresspiegelanstieg von einem bis zwei Meter:

  • „Inselstaaten wie die Malediven und Tuvalu würden im Meer versinken, und viele Küstenregionen in Ecuador, Brasilien und den Niederlanden bis hin zu einem Großteil von Kalifornien und dem Nordosten der Vereinigten Staaten sowie riesige Gebiete von Süd- und Südostasien würden überschwemmt werden. Zu den wahrscheinlich gefährdeten Großstädten zählen Boston, New York, der Großraum von Los Angeles, Vancouver, London, Mumbai, Hongkong und Shanghai“ (2015, 24).

>> Siehe dazu Interaktive Weltkarte zum Meeresspiegelanstieg: http://flood.firetree.net/ (Abrufdatum 22.6.2019)
>> Hier das Beispiel aus obiger Website zur „Elbmündung u. Hamburg Meeresspiegel +1m“:  http://flood.firetree.net/?ll=53.5439,10.1112&zoom=10&m=1/ (Abrufdatum 22.6.2019)


Noch bevor das Meereswasser kommt, drückt das Grundwasser nach oben, sagt Kristina Hill, Professorin für städtische Ökologie an der UC Berkeley:

  • „In vielen Küstenstädten wird das Grundwasser doppelt so viel Gelände überschwemmen wie die Meeresflut, denn wenn der Meeresspiegel steigt, kann er auch das Grundwasser nach oben drücken“ (zit. in Haas 2020).


Die letzten beiden Absätze lesen sich so nüchtern – vielleicht auch deshalb, weil die Folgen für Menschen und die ganze Menschheit kaum vorstellbar sind.

>> siehe dazu den Abschnitt Konfliktpotenziale der Klimakrise: Armut, Klimakriege, ‚Natur‘-Katastrophen, Flucht, S. 625 und dort speziell den Aspekt Klimaflüchtende, S. 627.
>> siehe auch Aspekt Meeresspiegel und die Norddeutsche Tiefebene, S. 138.


In dieser Diskussion um den Meeresspiegelanstieg – sehen wir das doch mal einen Moment lang ganz pragmatisch – bleibt unterbelichtet, dass eine unübersehbare Zahl von Millionenstädten neu gebaut werden müsste. Mit welchem Baumaterial? Mit welcher Energie? Mit welchen Fachkräften? Mit welchem Zeitaufwand? Und wenn die globalen Ozeane nicht (noch mehr als bisher) vollkommen verseucht werden und weiterhin als Lebensraum für uns ernährende Fische etc. dienen soll, dann wären in jeder einzelnen potenziell untergehenden Küstenstadt schon bei den ersten relevanten Überspülungen im Ergebnis sämtliche Chemietanks und sonstige das Wasser verdreckenden Gegenstände umweltkonform rückzubauen bzw. zu beseitigen. Wer wird das machen? Von welchem Geld? Und wohin mit dem Schrott?

Ja, von welchem Geld?: In den USA kriegt man es z.Zt. nicht mal hin, Bohrlöcher von pleite gegangenen Fracking-Firmen zu verschließen, vgl. S. 518f.


‚Gletschersterben‘

Zu benennen sind in diesem Zusammenhang auch noch die frühzeitigen Botschafter der Erderwärmung, die seit Jahrzehnten für jede*n Bewohner*in z.B. der Alpen davon künden, was Sache ist: Die Gletscher.

In diesem Zusammenhang wird der Himalaya des Öfteren ob der großen ‚ewigen‘ Eismassen und aufgrund von 40.000 Gletschern als dritter Pol des Planeten bezeichnet (vgl. Mihatsch 2017, vgl. Eichhorn 2019, 12).

  • „Das Himalajagletschergebiet ist mit seiner Ausdehnung von 2.400 km [= 100.000 m2 = 12 Mal so groß wie Deutschland] das größte Inlandgletschergebiet der Welt außerhalb der Pole und ein wichtiges Süßwasserreservoir“ (Gonstalla 2019, 69; Zahl vgl. Mihatsch 2017).


Alles hängt mit allem zusammen:
Das zunehmende Abschmelzen des Eises der Region beeinflusst den Monsunregenfall. So kommt es dort „[i]n der Monsunsaison … inzwischen vermehrt zu Überflutungen und Erdrutschen, in der Trockensaison zu Wasserknappheit“ (Gonstalla 2019).

Ähnliches gilt für die Gletscher der Anden in Südamerika. So ist „dokumentiert…, dass die Schneefallgrenze in den tropischen Anden im Laufe des 20. Jahrhunderts um durchschnittlich 45 Meter gestiegen ist… Der letzte Gletscher Venezuelas wird wahrscheinlich ‚bis 2021‘ verschwunden sein, bis 2050 dürften in der gesamten Region nur noch einige der größten und höchstgelegenen Gletscher übrigbleiben… 61 Prozent der Wasserversorgung von La Paz[, dem Regierungssitz Boliviens mit zwei Mio Einwohner*innen,] speist sich gewöhnlich aus Schmelzwasser, in trockenen Jahren sogar bis zu 85 Prozent“ (Gouverneur 2020, 4).

Und:

  • „Viele Berggipfel weltweit bröckeln zusehends, da das Eis, das sie zusammenhält, schmilzt und es dadurch vermehrt zu Lawinen sowie zu Steinschlägen und Bergstürzen kommt… Viele alpine Wander- und Klettertouren gelten bereits als zu gefährlich, insbesondere im Sommer, und wurden aus Wanderführern genommen“ (Maxton 2020, 45; vgl. Spiegel 2020c).
    • Womit z.B. der alpine Tourismus über den Ausfall der Skisaison vor weiteren, für Außenstehende durchaus unerwarteten Herausforderungen steht.

Der Karikaturist Thomas Plaßmann fasst das Gletschersterben unter der Überschrift „Sag zum Abschied leise Servus“ wie folgt: Ältere Dame ächzt: „Eine Gletscherwanderung?“ – Ihr Mann dazu: „Komm! Die fünf Minuten haben wir noch.“ (Quelle)


Quellen des Abschnitts ‚Ewiges‘ Eis und Meeresspiegelanstieg



Permafrost

Ausdehnung von Permafrost auf der Nordhalbkugel
Quelle: Flickr (2016): Permafrost extent in the Northern Hemisphere; ursprl. Hugo Ahlenius, UNEP/GRID-Arendal Lizenz: CC BY-NC-SA

= 1/5 der weltweiten Landmassen
= darunter annähernd 2/3 des gesamten russischen Territoriums (vgl. Bigalke 2020a)

Definition ‚Permafrost‘:

Permafrost[boden] ist ein „Untergrund, welcher über mindestens zwei Jahre hinweg Temperaturen von 0° oder weniger aufweist“ (Nelles/Serrer 2018, 62).

>> Die 110 km nördlich des Polarkreises liegende Kleinstadt Werchojansk (67° 33′ N, 133° 23′ O), meldet im Juni 2020 einen neuen Temperaturrekord: 38 °C (vgl. Bigalke 2020a), „gut 18 Grad mehr als üblich in diesem Monat“ (Evers 2020) – an zehn Folgetagen (vgl. Müller-Hansen/Rodemann 2020). Bisherige Maximaltemperatur im Januar: -44,7 °C, jährliche Durchschnittstemperatur: -10,2 °C (vgl. wikipedia 2020b). „Werchojansk gilt neben Oimjakon mit einer Tiefsttemperatur von -67,8 °C als Kältepol aller bewohnten Gebiete der Erde“ (ebd.).

>> „[O]hne den Klimawandel wäre die sibirische Hitzewelle quasi unmöglich gewesen [und wäre höchstens alle 80.000 Jahre vorgekommen (vgl. Spiegel 2020a)]. Laut World Weather Attribution (WWA), einem internationalen Projekt unter Beteiligung der Universität Oxford, hat der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für so hohe Temperaturen in Sibirien um mehr als das 600-Fache erhöht. Eine ähnliche Hitzewelle wäre vor 30 Jahren noch zwei Grad kühler ausgefallen“ (Müller-Hansen/Rodemann 2020, vgl. World Weather Attribution 2020, vgl. Eichhorn 2020).

>> zu aktuellen Forschungen, welchen Anteil der Klimawandel an Wetterereignissen hat siehe Website der World Weather Attribution https://www.worldweatherattribution.org/ (Abrufdatum 28.8.2020)

Permafrostboden (auch: Yedoma-Dauerfrostboden) ist oft von einer dünnen Humusschicht bedeckt und ansonsten ein wilder Mix aus Erde, Pflanzenresten und gefrorenen Tierkadavern, besiedelt teilweise von Borrealem Nadelwald, der nur existieren kann, wenn der Boden fest bleibt:

>> „Borealer Nadelwald … ist der Oberbegriff für Welt der kaltgemäßigten Zone [Taiga]“ (wikipedia 2020a).

„drunken trees“ public domain, Foto von Jon Ranson (Abrufdatum 27.7.2019)
  • „Teilweise sinken bereits (jetzt) in ganzen Waldstücken die Bäume um, weil sie im aufgeweichten Boden keinen Halt mehr finden“ (Rahmstorf/Schellnhuber 2018, 58).


Mehrere Jahre wurde nur über eben diese sogenannten ‚betrunkenen Bäume‘ berichtet, doch geht es um viel mehr:

  • Kommt der Boden ins Schwanken, brechen die Rohre1, Pipelines, Straßen, Fundamente, ganze Industriekomplexe, Tanklager2, Eisenbahngleise, Rollbahnen, „Minen werden geflutet, Felder verderben“ (Bigalke 2020b). – es kommt bereits jetzt zu großen Infrastruktur-Schäden, die künftig weiter stark zunehmen werden, sodass zukünftig ganze Regionen und Städte mutmaßlich aufgeben werden müssen.
    • Eine Studie geht 2020 von gefährdeter industrieller Infrastruktur im Wert von 84 Mrd. US-Dollar aus: „Wohnhäuser sind da noch gar nicht mit eingerechnet“ (Bigalke 2020a).
Details: Erläuterungen zu Aspekten 1 'Rohre' und 2 'Tanklager'

1 Auch auf Island verbiegen und verkanten bereits Abwasserrohre, hier allerdings, weil „[d]urch die Schmelze der schweren Gletscher auf der Insel … sich auch die Landmasse gehoben [hat]“ (Maxton 2020, 40).

2 Ende Mai 2020 berstete auf der russischen Arktik-Halbinsel Taimyr unweit der sibirischen Stadt Norilsk etwa 300 Kilometer nördlich des Polarkreises der Tank eines Wärmekraftwerkes, sodass 20.000 t Diesel in die umliegenden Böden und Flüsse ausliefen. Anfang Juli 2020 ist die Rede von einem „verseuch[t]en Gebiet, halb so groß wie Deutschland“ (Rühle 2020). In dem kaum erschlossenen Gebiet mit nur wenigen Straßen in der Arktis könne man „nur in den kurzen Sommerperioden arbeiten“ (Clasen 2020, 7), sodass die Katastrophe nicht besonders effektiv einzudämmen ist. „Das Firmengelände, das auf Permafrostboden gebaut sei, leide unter dem von Klimaveränderungen hervorgerufenen Auftauen auch tieferer Schichten des Bodens. Aus diesem Grund hätten sich die Träger des Dieseltanks nicht mehr stabil halten können“ (ebd.).

  • „Wissenschaftler der finnischen Universität Oulu prognostizieren, dass bis 2050 3,6 Millionen Bewohner der Arktis von den Folgen des schwindenden Permafrostes betroffen sein werden, drei Viertel der derzeitigen Bevölkerung. 1.200 Siedlungen stehen auf gefährdeten Böden, darunter Großstädte wie Jakutsk in Russland sowie 100 Flughäfen. 45 Prozent der arktischen Öl- und Gasinfrastruktur Russlands stehen auf Permafrostböden, die immer instabiler werden“ (Thelen 2019, 87).
  • „Ganze Inselgruppen, die aus Permafrostboden bestanden, sind bereits ohne jede Spur in der Arktischen See verschwunden“ (Langer 2019).
  • Im Permafrost eingelagerte Abfälle – und das dürften angesichts der gängigen Praxis der Sowjetunion eine ganze Menge sein – vergiften „Boden und Wasser…, wenn es taut“ (Bigalke 2020a).
Tipp: Min 5:20 – eine in den Permafrost gehauene Höhle zeigt,
wie der Boden zusammengesetzt ist.
www.youtube.com/watch?v=-4NW_jeom-E
Russland: Das Ende des Permafrosts | Weltspiegel-Beitrag =
gekürzte Version des Filmes Klimafluch und Klimaflucht
von Thomas Aders (2018), siehe ARD Mediathek
(siehe hier insbesondere Min 22ff wg einen heftiger
Krater-Erosion (Batagaika-Krater in Sibirien)
beim Tauen des Permafrostes)

Und dann gibt es da noch in Jakutien ‚Das Tor zur Unterwelt‘, wie es die Einheimischen nennen: eine riesige Absackung, die aussieht wie das gigantische Relief einer Kaulquappe – ein Krater, der immer größer wird. „In Folge von Straßenbauarbeiten in den [19]60er Jahren wurde ein kleines Waldstück gerodet. [Damit war die den Permafrost vor direkter Sonneneinstrahlung schützende Bodenschicht entfernt.] Das war der Beginn einer radikalen Erosion des darunter liegenden Permafrostbodens“ (Aders 2018). Heute hat der Batagaika Megaslump eine Länge von 1,5 Kilometern, ist etwa 1 Kilometer breit und bis zu 100 Meter tief (vgl. ebd.). Er ist nach meinem Kenntnisstand bislang der einzige Krater dieser Dimension.

>> s. Ausschnitt der  ARD-Doku Klimafluch und Klimaflucht von Thomas Aders, https://youtu.be/NvJCFeGxFAI?t=1338; ein Satellitenbild dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Batagaika_Megaslump#/media/Datei:Batagaika_crater_NASA.jpg (Abrufdatum jeweils 29.8.2020)


Taut der Boden vermehrt, dauerhaft und/oder in tieferen Lagen auf, beginnen zudem massive Zersetzungsprozesse:

  • „Organisches Material, Pflanzenreste vor allem, Jahrtausende im Permafrost tiefgekühlt, werden nun für Mikroorganismen zugänglich. Bakterien etwa können die aufgetaute Biomasse abbauen. Es kommen Stoffwechselprozesse in Gang, die Kohlendioxid [und insbesondere auch Methan] freisetzen“ (Langer 2019).

Hier lagert und lauert die eigentliche CO₂- und Methan-Zeitbombe – und diese hat eine vollkommen andere Potenz als sämtliche anthropogene CO₂-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung:

  • „Grob geschätzt ruht dort im Untergrund etwa doppelt so viel Kohlenstoff, wie in der Atmosphäre enthalten ist“ (Charisius 2019).
  • Anderen „Schätzungen zufolge enthält der Permafrostboden der Arktis dreimal so viel Kohlenstoff wie wir derzeit in der Atmosphäre haben“ (Seidler 2019).
  • „Allein im obersten [und wohl am schnellsten auftauenden] Bereich der Permafrostböden stecken rund 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff und damit rund doppelt so viel, wie es derzeit in der gesamten Erdatmosphäre gibt“ (Wille 2020).

Die Schätzungen sind also eher unpräzise – aber keine von ihnen ist beruhigend.

In der gleichen Weltregion sind auch die Tiefseeböden bislang i.d.R. gefroren gewesen:

  • „Am Grund des arktischen Ozeans lagern 50 Milliarden Tonnen gefrorenes Methan.“ „Das entspricht [zusätzlich zu den Permafrostböden] einer Potenz von einem globalen Temperaturanstieg um zusätzliche 1,3 Grad“ (Thelen 2019, 86).

Lange Zeit galt der Kipppunkt ‚Permafrost‘ als erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts relevant.

Das ist ein Grund, weshalb man das Svalbard Global Seed Vault (dt: Saatgut-Tresor auf Svalbard), „eine Art biologisches Bankschließfach“ (Seidler 2017), eine Rückversicherung für das pflanzliche Leben auf der Erde mit der größten Sammlung von [rund 900.000] Saatgutproben „nahezu alle[r] Staaten der Welt“ (Hinrichs 2016), genau hier ohne technische Kühlung im ‚ewigen Eis‘ auf Spitzbergen und nicht woanders gebaut hat. Man war sich seiner Sache also sehr sicher.

Doch: Wenn sich Klimaforscher*innen zu korrigieren haben, dann i.d.R. zu noch dramatischeren Ergebnissen. Die Süddeutsche Zeitung hält dazu im Juni 2019 fest:

  • Die UN hat den auftauenden Permafrost „als eines der gravierendsten Umweltprobleme der Menschheit identifiziert“ (Charisius 2019).
  • „In der Arktis weicht der Permafrostboden derzeit mit ungeheurer Geschwindigkeit auf. Messungen zeigen, dass in einigen kanadischen Regionen der Boden bereits so stark abgetaut ist, wie Experten es eigentlich erst für das Jahr 2090 erwartet hatten“ (ebd.).


Womit auch auf Spitzbergen das im permanenten Frost angelegte pflanzliche Gen-Backup der Menschheit gefährdet ist und in dessen Anlage z.B. 2017 vermehrt Schmelzwasser eindrang (vgl. Seidler 2017).


Graeme Maxton erwähnt, das die globale Methankonzentrationen seit 2014 auffällig deutlich gestiegen seien, was daran liege, „dass die Permafrostböden im Norden Kanadas und in Sibirien aufzutauen beginnen“ (2020, 31) – sodass folglich der Auftauprozess auch bereits unmittelbar in der Atmosphäre messbar ist. Aber auch „die zunehmende Fracking-Praxis“ (2020, 31) trage dazu bei.

Diese globalen Vorgänge rund um Eisschmelze und Permafrost sind auch räumlich nicht so weit entfernt, wie es sich für uns Europäer*innen anfühlt:

  • „Von Berlin bis zum nördlichen Polarkreis sind es lediglich rund 1.500 Kilometer – die Arktis ist uns näher als Madrid: Wir sind sehr nah dran am Klimawandel“ (Langer 2019).

Und noch ein Aspekt im Sinne von ‚Alles hängt mit allem zusammen‘:

  • „In den Permafrostgebieten der Erde ist doppelt so viel Quecksilber gespeichert wie in allen anderen Böden und der Atmosphäre zusammen“ (Götze 2018).

Schmilzt der Permafrost, gelangt dieses Quecksilber (laut Spiegel: 800.000 Tausend Tonnen) ins Grundwasser und ins Meer – und von dort aus in die Nahrungskette: „Die zusätzliche Belastung durch den Metallaustrag aus den getauten Permafrostböden könnte gar dazu führen, dass es bedenklich und gefährlich wird, Fisch zu essen… Weltweit ernähren sich allein drei Milliarden Menschen hauptsächlich von Fisch“ (ebd.; Spiegel = Thelen 2019, 87).

>> Jarchau spricht von mehr als einer Milliarden Menschen die auf „[d]as Meer … [als] die größte Nahrungsquelle der Welt … direkt angewiesen sind“ (2019; vgl. Aspekt Ernährung der Weltbevölkerung, S. 623).

>> vgl. Aspekt Ozeane: Erwärmung, Versauerung, Leben im Meer, Überfischung und Verschmutzung, S. 115.


Update Juli 2019:

Die Erderwärmung begünstigt Torfmoorfeuer in der Arktis und beeinflusst negativ den Permafrost (vgl. Fischer 2019).

„[D]ie Saison, in der es brennt, dauert mit den Jahren immer länger.“ (Vallentin 2020)


Update August 2019:

  • „Waldbrände so nah am Polarkreis beschleunigen laut Greenpeace Russland das Auftauen von Permafrostböden, die gigantische Mengen gefrorene Biomasse enthalten. … Außerdem bedeckten Rußpartikel Eis- und Schneeflächen“ (Zeit 2019).


Wärme begünstigt Feuer begünstigt Rußbildung auf (dann schwarzem) Eis begünstigt Schmelze begünstigt Wärme begünstigt…


Greenpeace-Aktivist Anton Beneslavsky:

  • „[E]s gibt keine großflächige Brandbekämpfung. Diese ist den Verantwortlichen in Moskau zu teuer, sie sehen sie als ‚wirtschaftlich unzumutbar‘… Neun von zehn Bränden entstehen durch menschliches Handeln – das kann vom Wegwerfen eines Zigarettenstummels bis hin zu krimineller Brandstiftung reichen… 90 Prozent der Wälder, die derzeit in Flammen stehen, liegen in sogenannten ‚Kontrollzonen‘: Bei Bränden, die in solchen Zonen auftreten, sind Regionalregierungen gesetzlich nicht dazu verpflichtet, einzugreifen, wenn keine lebensbedrohliche Gefahr besteht“ (2019).
  • „Der größte Teil der Brände aber wird sich selbst überlassen. Das ist eine bewusste Entscheidung, die auch Staaten anderer subarktischer Gebiete, wie Kanada, bereits vor zehn Jahren getroffen haben“ (Vallentin 2020).


Tatjana Popowa, die Leiterin des Dorfsowjets von Artjugino im in der Taiga befindlichen Bezirk Bogutschany in Krasnojarsk in Russland:

  • „Wenn früher der Blitz in einen Baum fuhr, brannte der Baum. Jetzt brennt nicht nur der Baum, sondern auch noch all das Holz, das seit mehr als einem Jahr am Boden liegt und völlig ausgetrocknet ist. Das flammt sofort auf, die Brände breiten sich unglaublich schnell aus. Früher … haben wir die gerodeten Flächen geräumt und dann neue Bäume gepflanzt. Heute holen sich die Privatunternehmer nach Belieben das erste Holz, und dann lassen sie alles andere liegen“ (2020).


Update Juni 2020:

  • „Auch in diesem Jahr brannte laut Greenpeace bereits eine Fläche so groß wie Griechenland, Wälder und Steppe“ (Bigalke 2020a), was Alex Rühle ergänzt um die Aussage, dass es dort „[z]war … auch in früheren Sommern viel gebrannt [hat], aber in den vergangenen 18 Monaten … mehr Kohlendioxid freigesetzt [wurde] als in den 16 Jahren zuvor“ (2020).


Update Juli 2020:

  • „Das nördlichste zurzeit aktive Feuer befinde sich weniger als 8 Kilometer vom Arktischen Ozean entfernt, so die [Weltwetterorganisation] WMO. Auf russischen Satellitenaufnahmen seien am 22. Juli 188 wahrscheinliche Brandherde zu sehen gewesen“ (taz 27.7.2020, 9).
  • „In den Jahren vor 2019 … haben sich die Brände [üblicherweise] südlich des Polarkreises ereignet … Aktuelle Satellitendaten zeigen, dass das Ausmaß der Brände 2020 sogar die ungewöhnlich hohe Aktivität des vergangenen Jahres übertrifft“ (Vallentin 2020).
  • „Die Auswertung von Holzkohle in Sedimentbohrkernen legt nahe, dass die Zunahme der Feuer in den borealen Wäldern ein seit mindestens 10.000 Jahren einmaliges Niveau erreicht hat“ (Rahmstorf 2020).


Update September 2020:

  • „Die Wald- und Buschbrände in der Arktis haben laut Klimaexperten schon bis Ende August 2020 mehr Kohlendioxid freigesetzt als im gesamten Vorjahr. Allein die Feuer am Polarkreis bliesen von Januar bis Ende August 244 Megatonnen CO₂ in die Atmosphäre. 2019 waren es über das ganze Jahr betrachtet 181 Megatonnen… Die Forscher gehen … davon aus, dass in vielen Fällen sogenannte Zombie-Feuer [also Feuer, die im Winter im Torfboden ‚überwintert‘ haben] die Ursache sind“ (Spiegel 2020b).

>> vgl. auch Aspekt (globale) Waldbrände, S. 135f.

>> Ein bemerkenswert guter Artikel von Marco Evers mit einer m.E. etwas zu reißerischen Überschrift bringt im Juli 2020 die Situation rund um Permafrost/Eisschmelze/Waldbrände auf den Punkt:
Evers, Marco (2020): „38 Grad im Polarkreis: In Sibirien droht die Superschmelze“. in: Der Spiegel, 28.7.2020, online unter https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/klimawandel-wird-2020-zum-bisher-heissesten-jahr-inferno-im-eis-a-00000000-0002-0001-0000-000172178937 (Abrufdatum 28.7.2020)


Quellen des Abschnitts Permafrost



Regenwälder

Photosynthese wandelt CO₂ in Sauerstoff (O₂) um (>> daher die Bezeichnung der Regenwälder als die ‚Lungen unseres Planeten‘).

Bäume sind langjährige Kohlenstoff-Speicher (=das nach der Photosynthese verbleibende ‚C‘).

Rodung gibt CO₂ direkt und sofort in die Atmosphäre.

Plantagen-Pflanzen speichern viel weniger Kohlenstoff C – die Pflanzen sind meist saisonal und geben ihren gespeicherten Kohlenstoff C als CO₂ schnell wieder zurück in die Atmosphäre.

Entwaldung = Bodenerosion, Veränderung des Mikroklimas, Eingriff in Wasserkreislauf, Vernichtung von Lebensräumen und Biodiversität = massiver Beitrag zum sechsten Massenaussterben

Franz Alt: Wir leben mit nur noch einer Lunge

Franz Alt:

„Die Hälfte der Regenwälder, die die Lungen unseres Planeten sind, haben wir in den letzten Jahrzehnten bereits vernichtet … wir zerstören … unsere eigene Lebensgrundlagen. Unsere Erde lebt nur noch mit einem Lungenflügel“ (2020, 113).

  • „Zwischen 1990 und 2020 sind laut den Daten der FAO [Food and Agriculture Organization of the United Nations = Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen] etwa neun Prozent aller Urwälder verschwunden – und zwar auf allen Kontinenten“ (Müller-Hansen/Rodemann 2020).
  • Die Welt verlor allein 2018 eine Fläche von 12 Mio Hektar Regenwald – „das entspricht ungefähr der Fläche Englands“ (Fedrich 2020, 74).
  • „Im Juni [2019] verschwand [in Amazonien] jede Minute ein Waldgebiet von der Größe eines Fußballfeldes. Trotz des geltenden Soja-Moratoriums. Und trotz freiwilliger Selbstverpflichtungen der globalen Konsumgüterkonzerne wie Nestlé und Unilever“ (Greenpeace 2019).
  • „Ca. 28% der jährlichen CO2-Emissionen werden von den Wäldern aufgenommen“ (Gonstalla 2019, 14).
  • „Durch Abholzung des Regenwaldes und vor allem durch Brandrodung werden jährlich 10-15% der weltweit emittierten Treibhausgase freigesetzt“ (ebd., 48).
  • „[Z]wischen 1980 und 2000 entstand mehr als die Hälfte der neuen landwirtschaftlichen Nutzflächen in den Tropen durch die Abholzung von Wäldern, zwischen 2000 und 2010 waren es sogar geschätzte 80 Prozent. Zwei Länder, Indonesien und Brasilien, waren für über 50 Prozent dieses Tropenwaldverlustes verantwortlich. Dabei ist gerade in den tropischen Ländern Asiens und Lateinamerikas die Anzahl und Vielfalt der Insekten besonders hoch. Wichtigste Gründe für die Abholzung: neue Weideflächen für Rinder, Plantagen für die Palmölproduktion und Rohstoffvorkommen dicht unter der Oberfläche“ (Chemnitz 2020, 15).
  • „In Brasilien liegen rund 60 Prozent des tropischen Regenwaldes weltweit“ (Spiegel 2020a).
  • Rodung im Amazonasgebiet läuft nicht, wie sich das Viele vorstellen per Streichholz ab, sondern isti.d.R. ein geplanter und Logistik-intensiver Prozess. Der Geologe Pedro Luiz Côrtes dazu:
    • „Als Erstes werden [die wertvollen] Bäume gefällt, dadurch floriert nebenbei der illegale Holzhandel. Danach wird das Gehölz mit Traktoren und Bulldozern niedergerissen. Und schließlich wird in der Trockenphase … durch Brände die Endreinigung vorgenommen … [Das bedeutet auch: E]in großer Teil des Schades passiert bereits vorher“ (2020, 9) – So wird versucht, „öffentliches Land im Regenwald in Privatland umzuwandeln und professionell auszubeuten“ (ebd.).

Über die Situation in Brasilien ist im Herbst 2019 im Spiegel zu lesen:

  • „‚Unter [dem seit Anfang 2019 amtierenden brasilianischen Präsidenten Jair] Bolsonaro ist die Abholzung explodiert‘, sagt Tasso Azevedo von der Umweltschutzorganisation Observatorio do Clima. … [Wenn das so weiter geht,] könnte der Amazonasurwald nach Ansicht von Experten bereits Ende dieses Jahrzehnts unwiederbringlich verloren sein. … [Man schätzt,] dass der ‚Tipping Point‘, an dem sich der Urwald in Savanne verwandelt, erreicht ist, wenn 25 Prozent zerstört sind. Knapp 20 Prozent sind bereits vernichtet.
  • ‚Der Regenwald ist ein geschlossenes System‘, sagt [der von Bolsonaro entlassene Direktor des Raumfahrtinstituts INPE, das in Brasilien für die Satellitenüberwachung des Regenwaldes zuständig ist Ricardo] Galvão. ‚Er muss eine große Fläche bedecken, damit er existieren kann‘. Wenn der Wald zur Steppe wird, falle auch im dichtbesiedelten Südosten Brasiliens weniger Regen, so Galvão: ‚Wenn wir den Amazonas verlieren, gibt es [mangels Regen] auch keine Landwirtschaft mehr‘“ (Glüsing 2019).


Update Juni und Juli 2020:

Im ersten Quartal 2020 wurden in Brasilien über 1.000 qm Regenwald gerodet – das sind 55% mehr als im Vorjahreszeitraum (vgl. Zeit 2020a).

Für Juli 2020 stellt der Spiegel fest, dass Covid-19 das Thema aus den Schlagzeilen verdränge, jedoch „die Situation in Brasilien nun noch dramatischer als zur gleichen Zeit im vergangenen Jahr“ (2020b):

  • „[I]m Juli dieses Jahres [wurden] 6.804 Feuer registriert, 5.318 waren es im Juli 2019. Das entspricht einem Anstieg um 28 Prozent“ (ebd.).


Update August 2020: 7.766 Feuer (Zeit 2020b)

>> s.a. im Zusammenhang ‚Rodungen für Massentierhaltung‘ auch Abschnitt Fleisch, Fisch & Ernährung, S. 549
>> s.a. Aspekt Waldbrände Amazons & global, S. 135


„Unser Haus brennt. Buchstäblich. Der Amazonas-Regenwald –
die Lunge, die 20% des Sauerstoffs unseres Planeten produziert – brennt.“


Emmanuel Macron, August 2019


Quellen des Abschnitts Regenwälder



Golfstrom

korrekt:

Nordatlantikstrom als Teil der Atlantic Meridonal Overturning Circulation (AMOC); auch: Atlantische Thermohaline Zirkulation

Die AMOC ist ein sehr komplexes Naturphänomen, bei dem aber mittlerweile davon ausgegangen wird, dass der Atlantikstrom heute um etwa 15% abgeschwächt ist (vgl. Rahmstorf zit. in Ehring 2018).

  • „Angetrieben wird dieser Strom vor allem von dem dichten und schweren Salzwasser, das vor Grönland in die Tiefe sinkt. Wird dieses Wasser nun durch genug [geschmolzenes] Süßwasser verdünnt, dann könnte sich der Golfstrom [weiter] abschwächen…“ (Evers 2019, 110).
  • „Modellsimulationen zeigen, dass sich die AMOC durch den Anstieg der menschengemachten Treibhausgasemissionen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um 11 bis 34% abschwächen könnte“ (Nelles/Serrer 2018, 75).
  • Schwächt sich die AMOC ab oder würde sie ganz ausfallen, würde es im nördlichen Atlantikraum zu einer relativen (!) Abkühlung kommen, aber:
  • „Die Südhalbkugel würde sich dafür umso stärker erwärmen“ (Rahmstorf/Schellnhuber 2018, 67), weil ja die Wärmeenergie nicht mehr nach Norden transportiert wird, sondern vor Ort bliebe.


Update September 2020:

Zwei neu erschienene Studien bestätigen die Abschwächung. Und: „[D]ie neueste Generation (CMIP6) der Klimamodelle [zeigt]: Wenn wir die Erderwärmung weiter vorantreiben, wird sich die Golfstromzirkulation weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis zum Jahr 2100. Damit könnten wir dem Kipppunkt, ab dem die Strömung instabil wird, gefährlich nahe kommen“ (Rahmstorf 2020).


Quellen des Abschnitts Golfstrom



Ozeane: Erwärmung, Versauerung, Leben im Meer, Überfischung und Verschmutzung

Ozean-Erwärmung:

  • Die Ozeane haben zwischen 1971 und 2010 „93% derjenigen [Wärme-]Energie aufgenommen, die durch den menschengemachten [=anthropogenen] Klimawandel zusätzlich auf der Erde gehalten wurde“ (Nelles/Serrer 2018, 68). Das bedeutet, dass nur die Tatsache, dass der blaue Planet zu einem Großteil aus Ozeanen besteht, die bisherigen Landtemperaturen nicht gänzlich ‚explodieren‘ lassen hat. Die Ozeane sind eine gigantische Wärmeenergie-Senke.
  • Oberflächenwasser der Weltmeere im Durchschnitt seit 1955: +0,6 Grad Celsius (laut Greenpeace, vgl. Baier 2019)
  • „In den oberen zwei Metern der Weltmeere wird so viel Wärme absorbiert wie in der gesamten Atmosphäre.“ (Hewitt 2023)
  • Bis etwa 3.000 Meter Tiefe haben sich die Ozeane „bereits deutlich erwärmt“ (laut Greenpeace, vgl. Baier 2019).


Ozean-Versauerung:

  • Die Ozeane fungieren bislang nicht nur als Wärmeenergie-, sondern auch als ebenso bedeutsame ‚CO₂-Senke‘ und speichern viel von den jährlichen anthropogenen CO₂-Emissionen. („22%“ = Nelles/Serrer 2018, 68; „ungefähr 1/4 = Latif 2014, 174)
  • Der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif hält fest:
    „Seit Beginn der Industrialisierung haben die Ozeane fast die Hälfte des von den Menschen durch das Verbrennen der fossilen Brennstoffe in die Luft gepustete CO₂ geschluckt“ (Latif 2014, 174).
  • „Meere absorbieren Kohlenstoff, indem an der Wasseroberfläche Kohlendioxidgas mit Wassermolekülen reagiert. Dabei wird Wasserstoff freigesetzt, wodurch die Versauerung der Ozeane zunimmt“ (Atlas der Globalisierung 2019, 3).
  • „Insgesamt ist in den Meeren … mehr als fünfzig Mal so viel CO2 gespeichert wie in der Atmosphäre“ (Gonstalla 2019, 15).
    • Es gilt: Je mehr gesättigter (=saurer!) das Meer mit CO₂ ist, desto geringer das weitere CO₂-Speicher-Vermögen (vgl. Latif 2014, 174).
  • „[D]er durchschnittliche pH-Wert der Meeresoberfläche [ist] von 8,2 auf 8,1 gesunken. Dieser winzige Schritt auf der logarithmischen pH-Skala entspricht einem Anstieg des Säuregehalts um 30 Prozent“ (Baier 2019).
  • Über ein Zuviel an CO2 im Meer der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif:
    • „Kohlendioxid ist … nicht nur ein Klimakiller, sondern vor allem auch ein Umweltgift.“
    • Die Ozeanversauerung stellt schon für sich allein ein extrem großes Risiko für das gesamt Ökosystem im Meer dar.“
    • „Eine zu starke Versauerung könnte dem Leben im Meer im wahrsten Sinne des Wortes den Garaus machen“ (Latif 2014, 175, 177, 251).
  • Versauerung = niedrigerer PH-Wert = ‚Entkalker‘ = dünnere Schalen/Skelette bei Muscheln, Schnecken, Krebse, Korallen etc. (en détail: Latif 2014, 175ff.)
  • Latif dazu:
    Die im Meer lebenden Organismen, die Photosynthese betreiben – vor allem pflanzliches/bakterielles (Phyto-)Plankton, aber auch Korallen und allgemein Meerespflanzen –, produzieren 50% unseres globalen Sauerstoffgehalts (ebd., 288) – das bedeutet im Umkehrschluss, dass sie „genauso viel Kohlenstoff wie sämtliche Landpflanzen zusammen“ (ebd., 289) binden. „Die lebende Biomasse im Ozean beträgt allerdings nur etwa ein Zweihundertstel der in Landpflanzen enthaltenen Biomasse“ (ebd.) – Folglich sind die Organismen im Meer also wesentlich effizienter (Faktor 200).

    Alles in allem:

    „Ohne die Meere geht auch biologisch betrachtet auf Land nicht viel, zumindest wenn es sich um sauerstoffbasiertes Leben handelt“ (ebd., 290).

    Das ist sehr vornehm ausgedrückt für:

    Sterben die Meere, stirbt auch der Mensch (und, ja: die Tiere auch).


Doch bevor er stirbt, reist er – der Mensch – aber gerne noch zu sterbenden Orten: ‚Extinction Tourism, ‚Desaster-Tourismus‘ oder auch ‚Last Chance-Tourism‘ gibt es schon länger – er führt viele Menschen in ökologisch stark gefährdete, durch Massentourismus noch mehr bedrohte Gegenden nach Grönland, ins eisige Patagonien – oder zum Great Barrier Reef.

…mehr

Rether 2010, während des Improvisierens am Flügel über „Schlaf, Kindlein Schlaf“:

„Neulich sagt ‘ne Freundin zu mir, sie hätte gehört die Malediven saufen ab wegen der Klimaerwärmung und sie fliegt jetzt noch mal zwei Mal hin, damit sie sichs noch reinziehen kann, sonst sind die weg… was machst Du mit solchen Leuten?“. Frei assoziiert: Ist Katastrophentourismus sozusagen eine Art „extended version“ von dem, was Leute machen, wenn sie Feuerwehreinsätze behindern und Unfallopfer fotografieren?

Überfischung der Meere:

  • „Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) sind heute insgesamt 660 bis 820 Millionen Menschen direkt oder indirekt von der Fischerei abhängig. Bis zu zwölf Prozent der Weltbevölkerung leben demnach von diesem Wirtschaftszweig“ (Latif 2014, 292).
  • „Das Meer ist noch immer die größte Nahrungsquelle der Welt, auf die mehr als eine Milliarde Menschen direkt angewiesen sind“ (Jarchau 2019).

>> Susanne Götze weist derweil darauf hin, dass „sich allein drei Milliarden Menschen hauptsächlich von Fisch [ernähren]“ (2019, vgl. Aspekt Quecksilber im schmelzenden Permafrost, S. 108).
>> vgl. Abschnitt Eine zweite gute Nachricht: Ernährung der Weltbevölkerung, S. 620ff.

  • Aquakulturen sind: Massentierhaltung – und oft große Umweltverschmutzer: Fischmehl, starker Antibiotika-Einsatz (>>Antibiotika-Resistenzen, siehe S. 183), Fischfäkalien, Chemikalien (vgl. Latif 2014, 294)
  • Aquakulturen = 66 Mio t : ‚Wildfang‘ = 80 Mio t (Zahl der FAO 2012, zit. in Latif 2014, 293)

>> vgl. Abschnitt Fleisch, Fisch & Ernährung, S. 549, Aspekt Fisch, S. 564 ff.


Verschmutzung:

  • z.B. durch Öl, radioaktive Stoffe, (Mikro-)Plastik, Verklappungen, Kreuzfahrtschiff-Abfall…
  • „[W]enn die Ozeane zu Schmutzwasser und die Meeresökosysteme kippen würden[, würde] … [d]er Hunger auf der Erde … dramatisch zunehmen“ (Latif 2014, 292-293).


Alle Faktoren setzen sowohl jeweils einzeln für sich genommen als auch als Ganzes Meeresbewohner unter erheblichen Stress, wobei der größte Stressfaktor die Unterwasserhitze ist:

Massive Korallenbleichen sind eine Folge, z.B. beim australischen Great Barrier Reef:

  • „Das größte Riff, das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens, erstreckt sich über eine Länge von 2.300 Kilometern und umfasst eine Fläche so groß wie ganz Deutschland. Es ist das größte von Lebewesen erschaffene Bauwerk unseres Planeten“ (Rahmstorf 2019).
    • „[Z]eitweise [waren im Jahr 2016] 93% der Riffe im Great Barrier Reef in Australien von der Korallenbleiche betroffen und in Flachwasserbereichen im Pazifik starben mehr als die Hälfte der Korallen von Februar bis Oktober 2016 ab“ (Nelles/Serrer 2018, 100).


Definition ‚Korallenbleiche‘: Die auf den Korallen sitzenden Algen sterben ab.

  • „Ab 1 °C höherer Temperatur als das [bisher normale] sommerliche Maximum gerät die Alge in einen Schockzustand und produziert Gift statt Zucker. Die Koralle stößt dadurch ihren Partner ab und verliert damit ihre Farbe“ (Gonstalla 2019, 73).
  • „Die Algen geben den Korallen ihr bunt schillerndes Aussehen und dienen ihnen als Nahrungsquelle. Wenn die Wassertemperaturen wieder sinken, haben die Riffe die Möglichkeit, sich zu regenerieren. Wiederholte Bleichen aber… können der Studie zufolge die Korallen selbst abtöten – und zwar binnen Tagen oder Wochen und nicht wie bisher angenommen über Monate und Jahre“ (Zeit 2019). In der Konsequenz löst sich das Korallengerippe in Folge von Hitzewellen innerhalb kurzer Zeit regelrecht auf. (Im März 2020 melden die Medien nach 2016 und 2017 eine weitere massive Korallenbleiche in weiten Teilen des Great Barrier Reef (vgl. SZ 2020, Pötter 2020)).
  • „Das Ergebnis [des Absterbens] ist ein von schleimigen Algen überzogener, braungrüner Korallenschrott“ (Wälterlin 2020, 4).
  • Der Zustand des Great Barrier Reef ist laut australischer Regierung „sehr schlecht“ (vgl. Rahmstorf 2019).

>> Arbeitsplätze Reef = 70.000; australische Kohleindustrie „ein paar tausend“ (Wälterlin 2020, 5). „Gäste, die nach einem Schnorchelgang enttäuscht sind von der mangelnden Farbenpracht, werden [von Guides] auch schon mal belehrt, die farbigen Bilder in den Verkaufsbroschüren seien ‚eben mit Photoshop nachbearbeitet‘“ (ebd.).


Allgemein – für alle Korallen(riffe) – gilt:

  • globale Durchschnittstemperatur = + 1,5 °C = 10-30% aller Korallen könnten überleben (ebd.)
  • globale Durchschnittstemperatur = +2 °C = Verlust von 99% aller Korallen (Weiß 2019)

Korallenriffverluste haben weitere massive Konsequenzen:

  • „25% aller Meereslebewesen sind von Korallenriffen abhängig“ (Gonstalla 2019, 61). „[E]ine halbe Milliarde Menschen [ist] auf intakte Korallenriffe angewiesen, weil sie ihre Nahrungsmittelversorgung decken, ihnen ein Einkommen sichern oder die Küsten vor Überschwemmungen schützen“ (Rahmstorf 2019).

Quellen des Abschnitts Ozeane: Erwärmung, Versauerung, Leben im Meer, Überfischung und Verschmutzung



Kipppunkte lösen Kipppunkte aus.

Alles ist mit allem verbunden. Alles hängt mit allem zusammen.

unsplash/Charl Folscher
unsplash/Charl Folscher
  • Spielen wir das mal anhand einer sehr stark vereinfachten und überaus unvollständigen Dominostein-Kaskade durch:

    Der schmelzende Permafrost setzt Unmengen Methan und CO₂ frei, die für eine beschleunigte Erderhitzung sorgen, die das ‚ewige Eis‘ vermehrt schmelzen lässt, sodass der Meeresspiegel schnell ansteigt, wodurch das Trinkwasser niedriggelegener Regionen versalzt, womit nicht nur die Trinkwasserversorgung gefährdet ist, sondern auch die Böden und damit die Ernten etc. pp.

Hiermit ist nur eine ganz einfache Kettenreaktion beschrieben – unerwähnt blieb zum Beispiel, dass es durch höhere Temperaturen auch vermehrt in den Polarregionen brennt, die Artenvielfalt des zerstörten Regenwaldes verschwindet, und der Gletscherverlust z.B. in Indien Milliarden von Menschen das Trinkwasser nimmt…


Auch kann es zu Kettenreaktionen kommen, die vielleicht der/dem Nicht-Klimatologe*in ersteinmal weniger nahe liegen:

  • „Simuliere man [per Klimamodell im Großrechner] … ein komplettes Abschmelzen Grönlands, könnten tropische Regenwälder wie der [des] Amazonas austrocknen.“ „Denn wenn Süßwasser aus der Arktis massenhaft in den Atlantik gelangt, könnte das den Wärmeaustausch durch Meeresströmungen so stark beeinflussen, dass es in Teilen der Tropen weniger regnet. Regenwälder wie der Amazonas könnten trockener werden, Brände hätten leichteres Spiel“ (Müller-Hansen/ Rodemann 2020).


An dieser Stelle möchte ich indezent an die Eiszeit erinnern, die (neben vielem Anderen) die Alpen geformt hat. Was für eine Machtdemonstration der ‚Mutter Erde‘! Kann es etwas Vermesseneres geben, als dieses klimatische ‚Russisch Roulette‘ zu spielen? Finger weg vom Thermostat.


Diese Domino-Effekte sind bislang nicht oder kaum eingetreten – im Gegenteil. Zurzeit ‚helfen‘ uns Erdenbewohner*innen die Ökosysteme noch. Yadvinder Malhi, Ecosystem Sciences, Oxford dazu:

  • „Bislang verhält sich die Biosphäre quasi wie ein Freund – sie bremst den Klimawandel ab. Etwa 40% des Kohlendioxids, das wir Menschen emittieren, wird von der Biosphäre absorbiert, wodurch der Klimawandel deutlich verlangsamt wird. Eine der großen Sorgen, die wir Wissenschaftler haben, ist die entscheidende Frage: ‚Wie lange wird die Biosphäre noch unser Freund sein?‘ – Es besteht die Gefahr, dass irgendwann in der Zukunft diese Bremse zu einem Gaspedal wird“ (Aders 2018, ab Minute 30).

Stefan Rahmstorf fasst den Sachverhalt in andere Worte:

  • „Von dem CO2, das wir in die Luft geblasen haben, wurde bislang ein Drittel von den Wäldern aufgesogen und ein Viertel vom Ozean. Nur weniger als die Hälfte ist in der Atmosphäre geblieben. Ohne diesen Effekt wäre die Erderwärmung bereits doppelt so stark ausgefallen. Das bedeutet, die Natur nimmt derzeit netto CO2 auf und setzt es nicht frei“ (2020).


Was passiert, wenn uns die Natur nicht länger ‚hilft‘?


Quellen des Abschnitts Kipppunkte lösen Kipppunkte aus



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