Generationengerechte Politik für die Zukunft: Menschheits- und Lebensschutz in ökonomischer Perspektive

Die Biodiversitäts- und Klimakrise sowie die damit einhergehenden immer zahlreicheren und heftigeren Katastrophen kosten:
VIEL Geld.
Von Jahr zu Jahr mehr.

  • Es ist finanziell wesentlich günstiger, frühzeitig ein Feuer zu löschen, als ihm erst einmal eine Weile zuzusehen:
    • „Die Kosten, nicht zu handeln, werden um Potenzen größer sein. Die menschliche Ökonomie funktioniert nur auf Basis einer intakten Ökologie.“ (Schwägerl 2019)

Wenn also die Ökonomie nur auf Basis einer intakten Ökologie funktioniert, werden die hier herausgehobenen Kosten nicht mehr in Geld verrechenbar sein, weil es die Ökonomie so nicht mehr geben wird.

Hanno Charisius hebt in der SZ darauf ab, dass konkret CO₂-Vermeidung ökonomisch das Vernünftigste sei:

  • „Berechnungen zeigen auch, dass es billiger ist, Kohlendioxid zu vermeiden, als das Treibhausgas später wieder aus der Atmosphäre zu holen, etwa durch Aufforstung des Planeten. Politik, die solche Studien nicht berücksichtigt, ist nicht weitsichtiger als ein Schwarm Heuschrecken, der über einen Acker herfällt“ (2019).


In gleichem Sinne äußerte sich auch schon vor zu vielen Jahren der damalige EU-Kommissionspräsident José Barroso:

„Es ist billiger, den Planeten jetzt zu schützen, als ihn später zu reparieren.“ (2009)

>> EU-Kommissionspräsident José Barroso, Dezember 2009, zitiert in Bonner/Weiss 2017, 138.


Solch eine finanzielle Betrachtung des Klimaschutzes kann man auch ‚in den falschen Hals‘ bekommen. Die FAZ merkt zu Überlegungen, inwieweit sich „das Unterfangen [der Klimarettung] rechnet“ (Poli 2006) überaus zutreffend an, dass, [w]enn einem Land der Krieg erklärt wird, … sich die Angegriffenen nicht [fragen], ob sich die Verteidigung finanziell lohnt.


Barroso bezieht sich hier auf den Stern-Report von 2006, über den in der FAZ seinerzeit folgendes zu lesen war:

  • „Wenn Vorstellung und Selbsterhaltungstrieb versagen, muß der Taschenrechner ran. Jetzt kennen wir den Preis des Unberechenbaren: Es geht um 5.500 Milliarden Euro.“


Und dass er damit nicht übertreibt, zeigen dann Zahlen wie diese:

  • „[A]llein die Hurrikane in der Karibik haben [2017]… Schäden in der Höhe von 320 Milliarden Dollar verursacht“ (Welzer 2018).
  • „Die durch Unwetter verursachten Schäden für die US-Wirtschaft werden sich im kommenden Jahrzehnt auf jährlich mindestens 360 Milliarden Dollar summieren… Zu diesem Ergebnis kommt der ‚Universal Ecological Fund.‘ Die [NGO] macht vor allem den Verbrauch fossiler Brennstoffe für das Problem verantwortlich“ (Spiegel 2017).
  • „In den USA kostet die Bekämpfung der Waldbrände mittlerweile bereits über 3 Milliarden US-Dollar jährlich, 13-mal mehr als 1985. Laut US-Handelsministerium schlagen die indirekten Kosten mit weiteren 71 bis 348 Milliarden US-Dollar jährlich zu Buche (Maxton 2020, 41).
  • 2020 wurden die vom Stern-Report berechneten ökonomischen Kosten – Stern ging von 5% der globalen Wirtschaftsleistung aus – nach oben korrigiert: „Ohne durchgreifende Klimapolitik wird die globale Wirtschaftsleistung im Jahr 2100 um sieben bis 14 Prozent niedriger sein, als sonst zu erwarten ist. In Ländern in den Tropen können es sogar mehr als 20 Prozent sein. Dabei sind die Folgen von zunehmenden Wetterextremen noch gar nicht eingerechnet“ (Wille).

Und das ist ja nur der Anfang.

Ab und zu wird darüber berichtet, dass eisfreie Meeres- und Landteile wirtschaftliche Vorteile bringen können. Das könnte lokal/regional auch durchaus tatsächlich der Fall sein.
Bei einer solchen ‚frische Erdbeeren aus Grönland‘-Perspektive wird jedoch außer Acht gelassen, dass klimaverwüstete (!) Meeres- und Landteile nicht mehr für Fischerei, Ackerbau etc. pp. zur Verfügung stehen werden.


Wie soll man sich das logistisch vorstellen?
Dass die Weltgemeinschaft mal eben sämtliche Küstenstädte in den beiden Polregionen neu baut? (vgl. S. 103)


Bleiben wir bei der Einpreisung der Umwelt- und Klimaschäden:

  • „Allein das Entweichen des Methans aus dem Permafrost der Ostsibirischen See würde Kosten in Höhe von 60 Billionen Dollar erzeugen, schätzen Forscher der Universität Rotterdam und Cambridge, was in etwa der Gesamtgröße der Weltwirtschaft im Jahr 2012 entspricht“ (Thelen 2019a, 87).

>> vgl. Abschnitt Kipppunkte des Klimas: Eisschilde, Permafrost & Co; Aspekt Permafrost, S. 106f.

  • „Wenn es die [zurzeit auf einem drei-bis-vier-Grad-Pfad befindliche1 Weltgemeinschaft schafft, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, so Schätzungen der Weltbank, entstehen ab 2030 in den Entwicklungsländern jährliche Schäden von 400 Milliarden US-Dollar“ (Thelen 2019b).

Fakt ist, wir reden hier allein nur und ausschließlich über den potenziellen, kompletten Zusammenbruch der Weltwirtschaft.

Details: Erläuterungen zu (1)

1 vgl. Abschnitt Konkrete politische Ziele, S. 448. 

Das aus alledem erwachsene immense menschliche Leid ist in diesem Kapitel noch gar nicht eingegangen – um nicht zu schreiben: eingepreist.


Die Formel ‚Später wird teurer‘ klingt zunächst gut und logisch. Sie impliziert jedoch machbare Reparaturmaßnahmen – sie suggeriert, dass wir davon ausgehen hätten, dass der Planet schlimmstenfalls in einen Zustand gerät, der (weitgehend) reparierbar ist.

‚Später wird teurer‘ suggeriert die vorgebliche Reparierbarkeit des Angerichteten – und diese Grundannahme ist so nicht haltbar, weil ein Überschreiten der Kipppunkte eine Rückkehr zum vorherigen Zustand unmöglich macht.

Wir reden über die Existenzbedrohung der Zivilisation.

Und hier wird die Argumentation mit Geld unsinnvoll.

Das sieht auch Graeme Maxton so:

  • „Im Grunde genommen tut Geld hier nichts zur Sache. Wir haben ohnehin nur die Wahl zwischen a) radikalen Lösungen zugunsten einer nachhaltigeren Zukunft oder b) dem existenziellen Kollaps… Geld ist doch bloß ein menschliches Konstrukt. Es ist nicht real“ (2018, 109).

Hinzuzufügen ist, dass eine Währung – wenn überhaupt – nur so lange stabil und Geld und Besitz nur so lange relevant sind, solange die bestehende (Rechts-)Ordnung bzw. die Zivilisation aufrecht erhalten wird.

Es ist es definitiv wesentlich sinnvoller, für und nicht gegen die Zukunft zu arbeiten.


Ist es nicht ohnehin moralisch anmaßend und verwerflich, eine sich anbahnende Klimakatastrophe per finanzieller Kalkulation zu bewerten? Was also sollen solche Berechnungen? Gibt es einen Preis, den man zu bezahlen bereit wäre? Wer entscheidet darüber? Wer teilt diese Entscheidung den Betroffenen mit? Hat das jemals ein*e Entscheidungsträger*in durchdacht?


Treffender als Barrosos ‚Später wird teurer‘-Blickwinkel erscheint mir dieses Bild zu sein, welches 2020 in Le monde diplomatique gezeichnet wurde:

„Es ist wie bei einem mittellosen Kreditnehmer, der zur Tilgung seiner Schulden immer neue Kredite zu immer höheren Zinsen aufnimmt.“ (Descamps/Lebel 2020, 8)

Im Unterschied zu Barrosos‘ Satz schließt der hier genannte Gedanke den möglichen Zusammenbruch mit ein – denn irgendwann ist der erwähnte Kreditnehmer – oder eben die Kreditnehmerin – pleite, bankrott, zahlungsunfähig. Und damit innerhalb des bestehenden Systems – hier Geldsystems – aus eigener Kraft handlungsunfähig.


Aber blenden wir das mal aus, dass eine finanzielle Gegenüberstellung von einem ‚Weiter so‘ und der ‚Rettung der menschlichen Zivilisation‘ keinen Sinn macht – und begeben uns auf eine rein ökonomische Ebene:

Es macht ökonomisch grundsätzlichreichlich Sinn, in Klimaschutz zu investieren:

  • Klimaschutz ist ein gigantisches Zukunftsprojekt. Und das bedeutet globale Marktchancen für Innovationen und Weiterentwicklungen in Bereichen wie Gebäudedämmung und -sanierung, Energieeffizienz, Energiespeicher, neue Formen von Mobilität…
  • „Die notwendigen internationalen Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgasen führen zu neuen Märkten für klimafreundliche Güter und Dienstleistungen im In- und Ausland. Der Klimaschutz eröffnet damit erhebliche Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft“ (Kahlenborn et al. 2019).

Schon jetzt machen „Exporte dieser Klimaschutztechnologiegüter … mit gut 100 Mrd. Euro im Jahr 2013 9,4 Prozent der deutschen Warenexporte aus“ (ebd.).

  • „Insgesamt gehen gut 530.000 Beschäftigte [=Arbeitsplätze] auf die Nachfrage nach Gütern für den Klimaschutz zurück. Zusammen mit den Beschäftigten durch Klimaschutzdienstleistungen liegen die Beschäftigungswirkungen des Klimaschutzes damit bei rund 1 Million Personen. Werden wegfallende Arbeitsplätze in der Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern mit eingerechnet, ergeben sich immer noch deutlich positive Netto-Beschäftigungseffekte der Energiewende“ (Kahlenborn et al. 2019).


Auch im Bereich ‚Automobilindustrie‘ ergeben sich durchaus Chancen: So rechnet eine Studie der European Climate Foundation (ECF), an der auch Vertreter*innen von DaimlerBMW und VW mitgewirkt haben, vor, dass bis 2030 durch den Umstieg auf Elektromobilität 145.000 Arbeitsplätze entstehen könnten – anders als pessimistischere Studien bezieht diese Studie andere Branchen mit ein – sowie die Tatsache, dass der benötigte Strom ja nicht wie das Öl aus Saudi Arabien etc. stammt, sondern in Deutschland hergestellt würde (Zeit 2017).

>> s.a. Abschnitt Thema ‚Autoindustrie‘, Aspekt Arbeitsplätze, S. 322f.


Apropos Arbeitsplätze:

Im günstigen Fall kann die Bundesrepublik Deutschland mittels eines investitionsorientierten Klimaschutzes sogar ‚Innovationsmotor‘ für die globale Klimawende werden, wovon sie zweifellos wirtschaftlich stark profitieren könnte.

  • Letztlich erscheint es m.E. geradezu fahrlässig, diese Zukunftsmärkte, die kommen müssen, nicht proaktiv zu besetzen.

So konstatiert dann auch das Umweltbundesamt:

  • „Neben der Verwirklichung umweltpolitischer Ziele bietet der Klimaschutz auch zahlreiche ökonomische Vorteile“ (ebd.).

Update Oktober 2019:

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Prognos AG kommt zu dem Ergebnis, dass in bestimmten Branchen wie Automobilbranche, Bergbau und konventionelle Energieerzeugung selbstredend Arbeitsplätze verloren gehen werden, aber „Reformen sich langfristig leicht positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken werden“ (Cwiertnia 2019). Interessant ist, dass diese Studie den Arbeitsmarkt modelliert für den Fall, dass Klimaziele von Paris erreicht werden würden. Demnach würden durch den ambitionierten Klimaschutz auch viele neue Jobs entstehen – allein in der Baubranche sei mit 20.000 neuen Arbeitsplätzen zu rechnen (vgl. ebd.).

>> Eine Liste mit Zahlen zu in Aussicht gestellten, zukunftsfähigen Arbeitsplätzen im Mobilitätsbereich siehe Ende des Aspektes Fazit: Verkehr & Mobilität: Der IST-Zustand des MIV, S. 334f.

Update Januar 2020:

Auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2020 wächst nunmehr u.a. angesichts der verheerenden Wald- und Buschbrände in Australien die Erkenntnis, dass ökologische Folgen der Ökonomie schaden:

  • „Die Tourismusbranche leidet, die Einkaufslaune der australischen Konsumenten sinkt und damit die Wachstumsaussichten Australiens. Die Notenbank des Landes könnte wegen der Waldbrände gezwungen sein, die Leitzinsen zu senken. Das gab es in der Finanzgeschichte so noch nie. Immer mehr Menschen sterben in Europa infolge von Hitzewellen, das – so zynisch kann Ökonomie sein – verringert auch die Zahl der vorhandenen Arbeitskräfte. Flutwellen zerstören Gebäude und wichtige Infrastruktur“ (Brinkmann 2020).

Fazit des Abschnitts Klimaschutz in ökonomischer Perspektive

Es gibt unvorstellbar große finanzielle Interessen, ausgediente Geschäftsmodelle zu verteidigen – und es gibt diverse innovative Geschäftsfelder, die ohne nationale und internationale gesetzliche Leitplanken bislang riskanter – aber mittelfristig Chancen-reicher – und vor allem zukunftsfähig sind.

Das alles bedeutet: Umweltschädigendes Verhalten, umweltschädigende Geschäftsmodelle und ebensolche Investments dürfen sich nicht mehr lohnen, damit sich die dekarbonisierte Wirtschaft – die ja die wahren Preise widerspiegelt bzw. die externen Kosten internalisiert, etablieren kann.


Quellen des Abschnitts <em>Klimaschutz in ökonomischer Perspektive</em>



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